
In einem Pflegezentrum im hessischen Kalbach, einem kleinen Ort nahe Fulda, sorgte ein Notruf für erhebliches Aufsehen. Auslöser dieses Notrufs war die prekäre Personalsituation in der Einrichtung. Der Fachbegriff „prekär“ bedeutet in diesem Zusammenhang unsicher und problematisch. Diese Situation spitzte sich offenbar so dramatisch zu, dass eine Mitarbeiterin sich gezwungen sah, Hilfe von außen zu rufen. Die Heimleitung betonte zwar, dass zu keiner Zeit eine akute Gefahr für die Bewohner bestanden habe. Berichte der Angehörigen zeigen jedoch ein anderes und besorgniserregendes Bild. Angehörige erheben schwere Vorwürfe gegen die Qualität der Betreuung und Versorgung der Bewohner.
Angehörige berichten von gravierenden Missständen
Die chronische Unterbesetzung in der Einrichtung ist vielen Angehörigen schon lange bekannt. Chronisch bedeutet in diesem Fall, dass das Problem dauerhaft besteht. Sie berichten von erniedrigenden und teils unmenschlichen Zuständen, die für Empörung sorgen. Bewohner mussten wohl ohne die erforderliche Pflege liegen, was bei Familienmitgliedern Fassungslosigkeit hervorrief. Dramatische Fälle wurden bekannt, in denen Bewohner stundenlang ohne Inkontinenzmittel in ihrem eigenen Urin verharren mussten. Inkontinenzmittel sind spezielle Produkte, die bei Kontrollverlust über Blase oder Darm verwendet werden. Angehörige fühlten sich in ihrer Verantwortung oft machtlos, da es im näheren Umkreis kaum Alternativen für eine angemessene Unterbringung gab. Kurz bevor der Notruf abgesetzt wurde, eskalierte die Situation offenbar weiter. Laut Berichten herrschte ein regelrechtes Chaos auf den betroffenen Stationen. Das verbliebene Personal war bei der hohen Arbeitslast und dem Stress nicht in der Lage, die Pflege aller Bewohner angemessen sicherzustellen. Dies führte zu großer Unsicherheit unter den Bewohnern und ihren Familien.
Heimleitung betont Null-Toleranz-Politik gegenüber Fehlern
Philip Hühnerdorf, der Geschäftsführer des Pflegeheims, äußerte sich inzwischen zu den Vorfällen. Er erklärte, dass man in Bezug auf Fehler eine Null-Toleranz-Politik verfolge. Das bedeutet, dass kein Fehlverhalten geduldet wird. Konkrete Maßnahmen zur Verhinderung solcher Vorfälle in der Zukunft nannte er jedoch nicht. Die Geschäftsführung betonte, dass zu keinem Zeitpunkt eine ernsthafte Gefahr für die Bewohner bestanden habe. Dennoch wirft die Diskrepanz zwischen diesen Aussagen und den Berichten der Angehörigen erhebliche Fragen auf. Diskrepanz bedeutet hier, dass erhebliche Unterschiede zwischen den Ansichten bestehen, die nicht einfach erklärt werden können. „Wenn in unserer Einrichtung zu diesem Zeitpunkt eine aufgeheizte Stimmung geherrscht hat, dann tut mir das leid“, erklärte Hühnerdorf in einer Stellungnahme. Die Übernahme der Einrichtung im Sommer war mit Herausforderungen verbunden. „Der Zustand war nicht optimal, und wir arbeiten daran, alles besser zu machen. Doch solche Vorwürfe erschweren unsere Arbeit enorm.“ Besonders die Belegschaft habe unter den Vorwürfen und der Berichterstattung gelitten, schilderte Sandra Leps. „Die Mitarbeiter waren schockiert, manche den Tränen nahe. Wir fühlten uns belagert, konnten kaum noch nach draußen gehen, ohne angesprochen zu werden.“ Auch die Kritik in den sozialen Medien habe stark auf das Team eingewirkt. Trotz der Belastung zeigt sich die Leitung stolz auf den Zusammenhalt des Teams. „Wenn man etwas Positives daran sehen möchte, dann, dass uns dieser Vorfall stärker zusammengeschweißt hat“, betonte Leps.
Die Situation in Kalbach zeigt, wie stark öffentliche Kritik und mediale Aufmerksamkeit ein Unternehmen und dessen Mitarbeiter belasten können. Gleichzeitig hebt die Einrichtungsleitung hervor, dass es auch in schwierigen Zeiten Möglichkeiten gibt, als Team gestärkt daraus hervorzugehen. Die Verantwortlichen betonen, weiterhin an einer Verbesserung der Zustände zu arbeiten und gleichzeitig die Reputation des Hauses wiederherzustellen.
Ein systemisches Problem?
Der Vorfall in Kalbach beleuchtet ein systemisches Problem, das in der Pflegebranche über die Region hinaus besteht. „Systemisch“ bedeutet, dass das Problem das gesamte System betrifft und nicht nur einzelne Teile. Es handelt sich um chronische Unterbesetzung, den hohen Druck auf das Personal und das Leid der Bewohner, die auf gute Pflege angewiesen sind. Angehörige und Mitarbeiter fordern nun schnelle und umfassende Lösungen. Es muss alles getan werden, um eine menschenwürdige Pflege sicherzustellen. Die Menschenwürde ist ein zentraler Aspekt der Pflege und darf nicht vernachlässigt werden. Es bleibt abzuwarten, ob und wie die Heimleitung auf die Vorfälle reagiert. Die Frage ist auch, ob der Notruf als Weckruf für dringend notwendige Veränderungen dient. Klar ist jedoch: Die Pflegekrise in Deutschland ist real. Sie fordert ihren Tribut bei denen, die am verletzlichsten sind, nämlich den alten und pflegebedürftigen Menschen. Dies macht schnelles Handeln unumgänglich.
Sven Haustein, Geschäftsführer der St. Vinzenz Soziale Werke gGmbH in Fulda, betonte auf Nachfrage, dass die gesamte Pflegebranche unter dem Fachkräftemangel leidet. Dringend benötigt man hier Lösungen. Das Problem mit Fachkräften ist allerdings nicht neu. In den letzten vier Jahren hat es sich jedoch, laut Statistiken, verschärft. Bei Personalmangel sind Ausfallkonzepte nötig. In einer Region mehrere Einrichtungen zu betreiben, erweist sich als hilfreich. Im Notfall können diese sich gegenseitig unterstützen. +++
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