Musical „Hair“: Ein „Hair“light der Festspiele

So stone war Hersfeld noch nie

Bad Hersfeld. Gestern Abend feierte das Musical „Hair“ im Rahmen der 68. Bad Hersfelder Festspiele in der Stiftsruine Premiere. Das Stück erzählt die Geschichte des jungen Claude Bukowski, den seine Eltern zum Militärdienst zwingen wollen. In New York stößt er auf eine Clique langmähniger Hippies, die einen alternativen Stil lebt. Claude findet sich zwischen der politisch engagierten Sheila und dem Anarchisten Berger in einer Dreierbeziehung wieder sowie in dem Konflikt zwischen Kriegsdienst und Verweigerung. Die Visionen von einer friedlicheren, besseren Welt endet letztlich in einem Albtraum, in dem die Schrecken des Krieges verdeutlicht werden.

1968 am (On-)Broadway zum ersten Mal aufgeführt, ist das Musical heute, 50 Jahre später, so aktuell wie nie und wirft auf vielfältige Weise Fragen nach der politischen Haltung junger Menschen auf und stellt Assoziationen zu einer gegenwärtigen Vergangenheit her, die uns besonders heute, in politisch unruhigen Zeiten, in Atem hält. „Harmonie und Verständnis, Sympathie und Vertrauen, keine Falschheit mehr oder Spott, lebendige Träume goldener Visionen…“, davon erzählt „Aquarius“, der erste Song in der Exposition.

Bunt und lustvoll wird der der Schrei der Jugend nach Befreiung und der Massenprotest gegen den Vietnam-Krieg inszeniert und die, zu diesem Zeitpunkt noch getrennten Welten von Rockmusik und Musiktheater wachsen zusammen. Der Theaterkritiker Scot Miller schrieb damals: „Rassismus. Umweltzerstörung. Armut. Sexismus und sexuelle Repression. Gewalt in der Familie. Entfremdung von neuen Technologien und politische Korruption. Die Hippies sahen sich als die wahren amerikanischen Patrioten, die dieses Land retten wollten. Lange Haare waren ihr Emblem – nicht nur als Symbol der Rebellion, sondern auch gegen die Diskriminierung und die überkommenden Gender-Rollen.“

Über 58.000 junge Amerikaner starben im Vietnam-Krieg, der erst 1975 zu Ende ging. Der kurze Sommer der Anarchie, von dem auch die Hippies in dem Musical Hair singen, tanzen und träumen, hatte diesen Krieg trotz der Massenproteste nicht verhindern können.

50 Jahre später greift Erfolgs-Regisseur Gil Mehmert in Hair, dem neuen Musical der Bad Hersfelder Festspiele, diesen Stoff auf. Zu seiner Inszenierung sagt er: „Man kann Hair nicht mehr so spielen, wie vor 50 Jahren. Aber man begibt sich immer auf dünnes Eis, wenn man sich an der Tagespolitik oder zum Beispiel an Trump abarbeitet. Wir machen eine Ikonographie der 70er-Jahre. Es treten unter anderem Jimi Hendrix und Liz Taylor auf. Und wir zitieren Woodstock als das Happening dieser Zeit.“

Trotzdem ist der Stoff in seinen Augen so aktuell wie lange nicht: „Ich habe Hair im Jahr 2001 schon einmal inszeniert, und da kam es mir weiter weg vor. Bis zum Anschlag auf das World Trade Center lebten wir in politisch eher ruhigen Zeiten. Jetzt ist das anders, ganz besonders auch in den USA. Daher stellt sich jetzt wieder die Frage danach, wie sich gerade die junge Generation zum Weltgeschehen verhält.“, so Mehmert.

„Love and peace“ war das Motto der Hippie-Bewegung, viele, der über 30 Songs aus Hair wurden Hits. In Bad Hersfeld werden die Songs in englischer Sprache präsentiert, „weil die Songs eher Haltungen beschreiben und weniger die Handlung vorantreiben.“, begründet Regisseur Gil Mehmert diese Entscheidung. Gespielt wird aber auf Deutsch.

„Was ist Hair in dieser Inszenierung? Eine Hommage an eine Generation, die für einen Sommer mit ihren Gedanken und Gefühlen die Zeit angehalten hat? Eine Revue über Amerika und ihre Einflüsse auf Politik, Kultur und Gesellschaft? Eine Geschichte über eine Jugend, die, wie jede Jugend, vor und nach ihnen, Normen und Werte der Eltern und Älteren in Frage stellt, an den unmittelbaren Auswirkungen auf ihr Leben leidet und versucht, ein Gegenmodell zu entwickeln? Ein roter Faden sind bei uns die diese Eltern, die schließlich frei nach Brecht feststellen, dass man nach A nicht B sagen muss, sondern feststellen kann, dass A falsch war. Das Setting ist eine Hommage an Woodstock und diesen, unvergesslichen ‚Summer of Love‘ aus Musik, Liebe und Regen. Die Bühnenaufbauten sind nach diesem Open-Air-Ereignis aus dem Entstehungsjahr gestaltet. Die Texte sind immer noch eine Collage, diesmal aus dem Original-Skript, dem späteren Drehbuch, und Zitate vieler Protagonisten des Hippie-Zeitalters. Hair soll in dieser Inszenierung eine Bewegung sein, die langsam anfängt, immer mehr Fahrt aufnimmt und schließlich alles mitreißt. Hair ist und bleibt im wahrsten Sinne des Wortes ein großer Trip, ein Trip im Rausch des Lebens, das wir hier in all seinen Facetten auf der Bühne feiern. Let the Sunshine in!“, so Regisseur Gil Mehmert im Programmheft zur Musical-Inszenierung von Hair 2018 im Rahmen der Bad Hersfelder Festspiele.

In den Rollen des erstklassigen Ensembles brillierten bei der gestrigen Premiere u. a. Christof Messner in der Rolle des „Claude“, Riccardo Greco in der Rolle des „Berger“ sowie die stimmgewaltige Bettina Mönch in der Rolle der „Sheila“. Begleitet wurden die SängerInnen und TänzerInnen live von der Band der Bad Hersfelder Festspiele unter der musikalischen Leitung von Christof Wohlleben.

Hair, ein Meilenstein des Musiktheaters, wurde auch gestern im Rahmen der Bad Hersfelder Festspiele unter Regisseur Gil Mehmert faszinierend umgesetzt. Das Ensemble in Höchstform und gesanglich auf dem Punkt, die Choreografien ausgereift und bis ins Detail ausgetanzt und eine dramaturgisch raffinierte Inszenierung von Mehmert, der auch in diesem Jahr wieder einmal gezeigt hat, dass Musicals eine Bereicherung für die Bad Hersfelder Festspiele sind. +++ pm/ja