Merz hört mit – Die Hausaufgaben des Herkules

Moderne Herkulesaufgaben

Hausaufgaben

Fulda/ Gießen. Hausaufgaben – wer wüsste es nicht – gehören zu den unangenehmsten Aspekten des ohnehin schon mühseligen und beladenen Daseins des Schülers von dem Augenblick an, da er aus dem heiteren, unbeschwerten Kindsein in den Ernst des Lebens tritt. Hausaufgaben sind also eine gar nicht ernst genug zu nehmende Sache. Sie „sind Aufgaben des Lehrers an die Schüler, die diese in der unterrichtsfreien Zeit bearbeiten sollen. Sie dienen der Nachbereitung des erteilten Unterrichts oder der Vorbereitung des bevorstehenden Stoffes. Hausaufgaben helfen bei der Übung und Festigung des Schulstoffes, stärken die Arbeitshaltung der Schüler und fördern ihre Eigenverantwortlichkeit.“ (Quelle: Wikipedia)

Nun endet der Ernst des Lebens unerfreulicherweise nicht mit dem Ende der Schulzeit und so ist es kein Wunder, dass auch der Hausaufgaben kein Ende ist. Das „Hausaufgabenmachen“ gehört z.B. zu den am meisten beschworenen Herausforderungen gerade in der Politik, in der am Ernst des Lebens ja bekanntlich kein Mangel und daher an Aufgaben eine übergroße Fülle ist. Allerdings tritt in der Politik- wie auch in anderen Bereichen des Erwachsenenlebens – das Problem auf, dass häufig unklar oder gar strittig ist, wer Lehrer und wer Schüler, wer also einerseits befugt, andererseits verpflichtet ist, Hausaufgaben zu erteilen resp. zu machen. Die Beziehung Lehrer-Schüler in der Politik ähnelt insofern stark der Beziehung Koch-Kellner oder auch Häuptling-Indianer. Ein lehrreiches Bespiel hierfür stellt aktuell die Beziehung Seehofer-Merkel dar, in der offen bleibt, wer wen wegen nicht erledigter Hausaufgaben am Ende an den Marterpfahl gestellt haben wird.

Ein Problem ist auch der häufig eher lockere innere Zusammenhang zwischen politischen Hausaufgaben und bereits erteiltem Unterricht resp. bevorstehendem Stoff. Wenn z.B. Roland Tichy, zweifellos einer der großen Oberlehrer der Nation, fordert, „Politik und Verwaltung müssen Hausaufgaben machen“ (Tichys Einblick – Das liberal-konservative Meinungsmagazin, 23. Juli 2016), so bleibt der Inhalt der Hausaufgaben offen und die Forderung entpuppt sich als enge Verwandte des in Oberlehrer-Kreisen ebenfalls beliebten „Anmahnens von Reformen“. Auch die Erläuterung „gebraucht (würden) Führungspersönlichkeiten mit Mut und Augenmaß, Weitsicht und professionellem Können, mit einer klaren Werteorientierung und Verantwortung für die Folgen ihres jeweiligen Handelns oder Unterlassens“ hilft nicht wirklich weiter, denn die Fächer „Mut und Augenmaß, Weitsicht und Professionalität, Werteorientierung und Verantwortung“ stehen auf keinem Lehrplan und deshalb kann hier keine Hausaufgabe bereits erteilten Unterricht nachbereiten oder bevorstehenden Stoff vorbereiten.

Die allgegenwärtige Forderung, „die Politik“ müsse nun endlich ihre Hausaufgaben machen, läuft also ins Leere, wenn solcherart Unklarheit über die Befugnis des Hausaufgabenstellers, über das Fach und über den Inhalt der zu erledigenden Hausaufgabe herrscht. Es wird auch dann nicht besser, wenn das Feld, auf dem Hausaufgaben zu erledigen sind, eingegrenzt wird, da nunmehr die vollkommen unübersehbare Fülle die Aufgabenerledigung erschwert. Von der Wahl des österreichischen Bundespräsidenten über die Flüchtlingskrise, den BREXIT oder Nicht-BREXIT, den Haushaltsüberschuss, den Ukraine-Konflikt bis hin zur FIFA und den Panama-Papers, überall sind Hausaufgaben zu erledigen und zwar von allen, gleichgültig ob Merkel, Putin, die EU, die österreichische briefumschlagkleberherstellende Industrie oder eben „alle“, wie die Bundeskanzlerin bereits am 5. November 2011 für die kommende Dekade verkündete, wobei sie freilich außer Acht ließ, dass die einschlägigen erlasslichen Bestimmungen es nicht zulassen, Hausaufgaben auch nur übers Wochenende, geschweige denn für einen so langen Zeitraum zu stellen.

Vollends schwierig wird die Lage, wenn es sich bei der zu lösenden Hausaufgabe um eine Herkulesaufgabe handelt. Schon Herkules wäre mit der Aufgabe, den Nemeischen Löwen zu töten, der Hydra ihre vielen Köpfe abzuhacken oder die Ställe des Augias auszumisten, völlig überfordert gewesen, hätte es sich bei ihm nicht um einen Halbgott gehandelt. Für keine dieser Aufgaben war er durch langjährige Übung in den Fächern Löwentöten, Schlangenköpfe-Abschlagen und Ställe-Ausmisten durch entsprechende stoffvertiefende Hausaufgaben vorbereitet, was – nebenbei gesagt – auf schwere curriculare Versäumnisse im Olymp hinweist, die zu erforschen eine Herkulesaufgabe künftiger Generationen von Bildungsforschern sein wird.

Umso schwerer muss die Erledigung von Herkules-Aufgaben, die es sonder Zahl gibt, für heutige Politiker sein. Die Energiewende, die nachhaltige Finanzierung der Betriebskosten global bedeutender Schutzgebiete, die Wiederherstellung heiligmäßiger Zustände im Bistum Limburg, der Klassenerhalt des SV Eichede in der Regionalliga Nord, die Olympia-Qualifikation im Eishockey, die Integration von Zuwanderern, der VW-Abgasskandal (ein moderner Augiasstall), das Aufziehen von Drillingen (in etwa dem Füttern einer dreiköpfigen Hydra vergleichbar), das Erlegen des bayerisch-nemeischen Löwen Horst Seehofer und seine Verwandlung in einen Bettvorleger – all das sind moderne Herkulesaufgaben, an denen selbst Götter scheitern müssen. Jedenfalls dann, wenn sie nicht immer ordentlich ihre Hausaufgaben gemacht haben. +++ | gerhard merz