Merkel nennt Erdogan-Vorwürfe „abwegig“

Leutheusser-Schnarrenberger: "Türkei ignoriert türkisches Recht"

Angela Merkel (CDU)
Angela Merkel (CDU)

Berlin. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) hat die Vorwürfe des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, sie unterstütze PKK Terroristen, als „abwegig“ bezeichnet, jedoch auf eine weitergehende Bewertung verzichtet: „Ich habe nicht die Absicht, mich an diesem Wettlauf der Provokationen zu beteiligen“, sagte Merkel der „Saarbrücker Zeitung“. Sie fügte unter Bezug auf die türkischen Angriffe gegen die Niederlande hinzu: „Die Beschimpfungen müssen aufhören“.

Merkel erneuerte ihre Bedingungen für Auftritte türkischer Politiker in Deutschland. Es müsse „mit offenem Visier“ mitgeteilt werden, „wer da zu welchem Zweck auftritt“, und die Gesetze und Prinzipien des Grundgesetzes müssten eingehalten werden. Merkel fügte hinzu: „Außerdem beobachten wir die Lage jeden Tag sehr genau aufs Neue und geben niemandem einen Freibrief für die Zukunft.“ Fragen, ob die EU-Ambitionen der Türkei sofort beendet seien, wenn das Präsidialsystem eingeführt werden sollte, wich Merkel aus: Die türkischen Wähler sollten sich frei entscheiden. „Sie sollen wissen wofür Europa steht, aber Drohungen von außen an sie halte ich nicht für sinnvoll“. Allerdings verwies Merkel in diesem Zusammenhang auf die Einschätzung der Venedig-Kommission des Europarates, wonach das Präsidialsystem ein Schritt hin zu einer autokratischen Ordnung sei und das Referendum unter den Bedingungen des Ausnahmezustandes stattfinde. „Das wiegt schwer“, sagte die Kanzlerin. Europarat und europäische Institutionen müssten sich das Gutachten genau anschauen.

Leutheusser-Schnarrenberger: „Türkei ignoriert türkisches Recht“

Die frühere Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wirft der Türkei vor, bei der Inhaftierung von Journalisten türkisches Recht zu ignorieren. „Nach dem türkischen Pressegesetz kann ein Journalist wegen strafrechtlich relevanter Äußerungen nur bis vier Monate nach dem Erscheinungstermin verfolgt werden“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger der „Welt“. „Viele der Artikel, die inhaftierten Journalisten vorgeworfen werden, liegen aber viel länger zurück.“ Um einen Terrorvorwurf zu konstruieren, „wird teilweise sogar das türkische Recht ignoriert“, sagte die FDP-Politikerin. Leutheusser-Schnarrenberger führte in ihrer Eigenschaft als Vorstandsmitglied der FDP-nahen Friedrich-Naumann-Stiftung in dieser Woche drei Tage lang Gespräche in Istanbul und Ankara. Die Situation der in der Türkei inhaftierten Journalisten wie „Welt“-Korrespondent Deniz Yücel sei bedrückend. „Das Allerschlimmste ist die absolute Ungewissheit darüber, wie lange die Haft dauern kann. Sitzt man erst einmal in Untersuchungshaft, passiert erst mal gar nichts mehr. Es gibt keine Anklageschrift, keine Unterlagen mit konkreten juristischen Vorwürfen, auf die man reagieren könnte. Man kann sich nicht verteidigen, man kann nur warten und Anträge auf Haftentlassung stellen, die wie gerade bei Deniz Yücel schnell abgelehnt werden“, sagte Leutheusser-Schnarrenberger. Anwälte hätten ihr berichtet, dass es für sie durch den Ausnahmezustand schwierig sei, den Kontakt zum inhaftierten Mandaten zu halten. „Die Treffen sind begrenzt auf einmal eine Stunde pro Woche, sie finden auch nicht vertraulich statt, sondern unter Beobachtung. Das ist insgesamt eine sehr bedrückende Situation.“ Die Atmosphäre im Land sei durch Verunsicherung und Einschüchterung geprägt. Vor allem der Ausnahmezustand sorge bei Oppositionellen „für ein Gefühl der Unsicherheit und auch Angst“. Angesichts von über hunderttausend Entlassungen und Tausenden Festnahmen seit vorigem Sommer sei „die Furcht, in den Fokus der Behörden zu gelangen und den Staatsdruck selbst zu spüren zu bekommen, verständlich“. Die Naumann-Stiftung könne ebenso wie die anderen politischen Stiftungen aus Deutschland derzeit noch arbeiten. „Aber wir wissen, dass wir beobachtet werden. Deshalb müssen wir uns gut überlegen, ob unsere Partner durch gemeinsame Auftritte womöglich gefährdet werden können. Es herrscht einfach dieses Klima der Verunsicherung.“

Umfrage: Mehrheit begrüßt niederländische Linie gegen Erdogan

Eine Mehrheit der Deutschen unterstützt die niederländische Linie gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan: In einer N24-Emnid-Umfrage begrüßen 72 Prozent der Befragten das niederländische Auftrittsverbot für türkische Regierungsmitglieder. Nur 15 Prozent der Deutschen finden das falsch. 69 Prozent der Befragten meinen, die Bundesregierung solle sich ein Beispiel an den Niederlanden nehmen und gegenüber Ankara ebenfalls eine härtere Linie fahren. 23 Prozent der Deutschen wollen sich die Maßnahmen aus Den Haag nicht zum Vorbild nehmen. 60 Prozent der Befragten halten Erdogan für den „beunruhigendsten Präsidenten“, gefolgt von US-Präsident Donald Trump (24 Prozent) und dem russischen Präsidenten Wladimir Putin (zehn Prozent). +++

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