Maas schiebt die Schuld auf Bundesnachrichtendienst

Bundeswehr evakuiert weitere Menschen aus Afghanistan

Heiko Maas (SPD)

Außenminister Heiko Maas (SPD) gibt dem Bundesnachrichtendienst (BND) wegen dessen Einschätzungen zur Situation in Afghanistan eine Mitverantwortung für das jüngste Debakel. „Der BND hat offensichtlich eine falsche Lageeinschätzung vorgenommen, so wie andere Dienste auch“, sagte Maas dem „Spiegel“. Die Entscheidungen, die aufgrund dieser fehlerhaften Berichte getroffen worden seien, seien nach bestem Wissen und Gewissen gefallen. „Aber sie waren im Ergebnis falsch, mit katastrophalen Folgen“, so der Außenminister.

Das könne nicht ohne Konsequenzen für die Arbeitsweise der deutschen Nachrichtendienste bleiben, sagte der SPD-Politiker. Die Geheimdienste hätten falsche Einschätzungen voneinander übernommen. „Das muss sich ändern“, forderte Maas. „In Zukunft sollte man die Erkenntnisse anderer Dienste noch einmal sehr intensiv überprüfen.“ Auch will der Außenminister eine Debatte über die politischen Folgen des Einsatzes: „Das Scheitern in Afghanistan darf nicht dazu führen, dass wir uns außen- und sicherheitspolitisch komplett der Verantwortung auf der Welt verweigern“, so Maas. Aber Afghanistan dürfe sich auch nicht noch einmal wiederholen. Die NATO-Partner müssten diskutieren, ob das Verteidigungsbündnis überhaupt geeignet sei, Einsätze außerhalb des eigentlichen Auftrags zu führen. „Ist es unsere Aufgabe, für Frieden zu sorgen? Für die Einhaltung der Menschenrechte? Gehört es auch dazu, unsere Staatsform zu exportieren? Das ist in Afghanistan auf jeden Fall gescheitert“, sagte der SPD-Politiker. Maas forderte zudem, den europäischen Pfeiler der NATO zu stärken und sich unabhängiger von Washington zu machen. „Die Realität ist die, dass die Amerikaner vieles entscheiden und wir folgen, weil wir überhaupt nicht in der Lage sind, ohne die USA schwierige internationale Missionen durchzuführen“, so der Außenminister. „Wir müssen viel politischer diskutieren, ehe wir unsere Soldaten irgendwo hinschicken. Sonst besteht die Gefahr, dass wir immer nur die Entscheidungen Washingtons nachvollziehen, egal, wer dort Präsident ist.“

Bundeswehr evakuiert weitere Menschen aus Afghanistan

Die Bundeswehr hat in der Nacht weitere Menschen aus der afghanischen Hauptstadt Kabul evakuiert. In drei Maschinen wurden mehrere Hundert Menschen ins usbekische Taschkent gebracht, teilte die Bundeswehr am Freitagmorgen mit. Insgesamt wurden seit Anfang der Woche in elf Flügen 1.640 Menschen aus Kabul ausgeflogen, hieß es. In der Nacht sind zudem rund 60 afghanische Ortskräfte mit ihren Angehörigen im brandenburgischen Doberlug-Kirchhain angekommen. In Brandenburg sollen die Menschen drei Tagen in Corona-Quarantäne verbringen, bevor sie auf andere Bundesländer verteilt werden.

Unicef befürchtet Verschärfung der humanitären Krise in Afghanistan

Nach der Machtübernahme der Taliban befürchtet das Kinderhilfswerk Unicef eine Verschlechterung der ohnehin prekären Lage von Millionen Afghanen. Die Bevölkerung leide schon jetzt unter einer Nahrungsmittelkrise und Dürre, sagte Deutschland-Geschäftsführer Christian Schneider der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. „Wir haben fast zehn Millionen Kinder, die dringend Hilfe brauchen, um überleben zu können.“ Während des Vormarschs der Taliban seien die Versorgungsstrukturen unterbrochen worden und müssten nun schnell wieder etabliert werden. „Wir befürchten, dass bis zum Jahresende bis zu eine Million Kinder schwer mangelernährt sein könnte“, sagte Schneider. Das mache sie besonders anfällig für Krankheiten angesichts des baldigen Winters.

Gabriel für internationale Afghanistan-Konferenz

Deutschlands früherer Außenminister Sigmar Gabriel hat sich für eine internationale Afghanistan-Konferenz ausgesprochen. „Je eher sie stattfindet, umso besser“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Teilnehmen sollten auch Russland und China – auch wenn in beiden Ländern derzeit noch Spott und Häme wegen der Blamage des Westens dominierten. „Das Triumphgeheul dieser Tage in Moskau und Peking wird bald verklingen“, so Gabriel. In Wirklichkeit blickten Russland und China mit sehr gemischten Gefühlen nach Afghanistan, sagte der Ex-Minister weiter. Beide fürchteten einen neu aufflackernden islamischen Fundamentalismus in ihren eigenen Einflusszonen. Russland habe dabei die früheren Sowjetrepubliken Tadschikistan, Turkmenistan und Usbekistan im Blick, China fürchte Unruhen in seiner an Afghanistan grenzenden muslimischen Provinz Xinjiang. Es gebe also quer durch die Region ein durchaus weit verbreitetes Interesse an Stabilität. Gabriel betonte, an den Konferenztisch gehörten neben der EU nicht nur die Weltmächte USA, China und Russland, sondern auch Pakistan und der Iran. Mit Blick auf die Taliban sagte Gabriel, man werde hoffentlich mit jenen unter ihnen reden können, denen es schon immer darauf ankam, bloß keine ausländischen Truppen im Land zu dulden: „Da gibt es eine lange nationalistische, identitäre Tradition“, so der frühere Außenminister. Die spannende Frage sei, ob nach dem Abzug eine neue Art von Zusammenarbeit entwickelt werden könne, wenn der Westen diese Grundhaltung akzeptieren würde. Gabriel fügte hinzu: „Auch die Taliban wissen, dass ihr Land arm ist und dass eine Zusammenarbeit mit dem Westen in vielen Punkten in ihrem wohlverstandenen eigenen Interesse liegen kann.“ +++

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