Maas gesteht nach Chaos in Afghanistan Fehler ein

Merkel: Afghanistan-Mandat am Mittwoch im Kabinett

Heiko Maas (SPD)

Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan hat Außenminister Heiko Maas (SPD) Fehler eingestanden. „Es gibt nichts zu beschönigen“, sagte der SPD-Politiker am Montagnachmittag in Berlin. „Wir alle – die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft – haben die Lage falsch eingeschätzt“, so der Minister. „Die Geschwindigkeit, mit der sich die afghanischen Sicherheitskräfte vor den Taliban zurückgezogen und katapultiert haben, haben weder wir noch unsere Partner, auch nicht unsere Experten so vorausgesehen.“ Die dramatischen Bilder aus Kabul seien „außerordentlich schmerzhaft“. Man werde viele „auch grundsätzliche Fragen“ in der Zukunft stellen und auch beantworten müssen, so Maas. Im Moment komme es aber darauf an, „so viele Menschen wie möglich aus der katastrophalen Lage vor Ort zu retten“. Die Evakuierung und Hilfsmaßnahmen koordiniere man aktuell „mit Hochdruck“. Die erste Evakuierungsmaschine der Bundeswehr werde „in den nächsten Stunden“ in Kabul eintreffen. Zwei weitere Flugzeuge seien bereits auf dem Weg in die Region. Nach dem Außenminister will sich auch Bundeskanzlerin Angela Merkel noch am Montag zur Lage in Afghanistan äußern. Ein Statement der Regierungschefin wurde für 18:45 Uhr angekündigt.

Merkel: Afghanistan-Mandat am Mittwoch im Kabinett
Nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan will das Bundeskabinett am Mittwoch den Weg für ein Bundestagsmandat für die deutsche Rettungsaktion frei machen. Das kündigte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) am Montagabend in Berlin an. Auch um Fluchtbewegungen soll es demnach dabei gehen. Man wolle vor allem den Nachbarstaaten helfen, in die afghanische Flüchtlinge „gegebenenfalls kommen“, so Merkel. Auch mit dem UNHCR werde man Kontakt aufnehmen. Man erlebe aktuell, wie die Taliban in „geradezu atemberaubender Geschwindigkeit“ das gesamte Land wieder unter ihre Kontrolle gebracht haben. Das sei eine „bittere Entwicklung“ – auch für Deutschland und die verbündeten Nationen. Man müsse jetzt alles daran setzen, deutsche Staatsbürger in Sicherheit zu bringen, so Merkel. Die Situation am Flughafen in Kabul sei allerdings „sehr angespannt“. Man hoffe aber, dass die erste deutsche Evakuierungsmaschine bald landen könne. Die Kanzlerin forderte mehr internationale Kooperation, um mit dem Chaos vor Ort umzugehen. Die Bedingungen in Kabul seien extrem schwierig. „Es ist deshalb unabdingbar, dass die deutschen Bemühungen in die internationalen Anstrengungen eingebunden werden.“ Ansprechpartner am militärischen Teil des Flughafens seien vor allem die USA und die Türkei. Sie habe im Zusammenhang mit der Evakuierung auch bereits mit dem französischen Präsidenten gesprochen, so die Kanzlerin. Es werde eine „sehr enge deutsch-französische Zusammenarbeit“ geben. Vor Merkel hatte bereits Außenminister Heiko Maas (SPD) Fehler im Umgang mit der Situation in Afghanistan eingestanden. „Es gibt nichts zu beschönigen. Wir alle – die Bundesregierung, die Nachrichtendienste, die internationale Gemeinschaft – haben die Lage falsch eingeschätzt“, so der SPD-Politiker. „Die Geschwindigkeit, mit der sich die afghanischen Sicherheitskräfte vor den Taliban zurückgezogen und kapituliert haben, haben weder wir noch unsere Partner, auch nicht unsere Exper  ten so vorausgesehen.“

Ex-Generalinspekteur warnt vor Kampfeinsätzen für Demokratie
Der frühere Generalinspekteur der Bundeswehr, Harald Kujat, warnt Deutschland vor künftigen Kampfeinsätzen für die Demokratie. „Wir müssen verstehen: Unsere Aufgabe ist nicht, mit Waffengewalt Demokratie einzuführen und die Welt zu verbessern“, sagte Kujat, der zum Zeitpunkt der islamistischen Terroranschläge auf die USA 2001 im Amt war und von 2002 bis 2005 den NATO-Militärausschuss leitete, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Der militärische Einsatz in Afghanistan sei nicht verloren worden, „die Politik ist gescheitert“. Militärisch habe Deutschland seinen Auftrag erfüllt. „Der lautete: Bündnissolidarität nach den Terroranschlägen auf die USA 2001. Die NATO hatte erstmals den Bündnisfall ausgerufen. Und nicht zu vergessen: Die islamistischen Attentäter kamen aus Hamburg“, so Kujat. Der Satz des damaligen Verteidigungsministers Peter Struck (SPD), dass Deutschlands Sicherheit wird auch am Hindukusch verteidigt werde, habe aber nie gestimmt, sagte Kujat. „Struck wollte damit größere Unterstützung für den Einsatz bewirken. Der Westen, genauer die NATO, wollte Demokratie, wirtschaftlichen Aufschwung, selbsttragende Sicherheit nach Afghanistan bringen. Aber wir haben die Mentalität und die Wirkkraft des Islam in Afghanistan falsch eingeschätzt.“ Die Taliban hätten schon früher darauf dringen können, an der Regierung beteiligt zu werden, um dann später die Macht ganz zu übernehmen. „Sie wollten aber mit dem Sturm auf Kabul und der Besetzung des Präsidentenpalastes den Westen demütigen“, sagte der Ex-Generalinspekteur. Eine Umkehr der jüngsten Geschehnisse sei nicht möglich. „Die Taliban haben sich nicht geändert. Sie werden grausam vorgehen, um ihre Macht zu festigen und einen furchtbaren Steinzeit-Islamismus zu installieren.“ Wirtschaftshilfen aus dem Westen seien ihnen egal. „Afghanistan hat große geostrategische Bedeutung, es ist umgeben von fünf Nuklearstaaten. China und Russland haben längst Kontakte zu den Taliban geknüpft  .“ Der Westen habe mit dem Abzug der Truppen keine Basis mehr für eine politische Einflussnahme. „Anfangs hatten wir 150.000 NATO-Soldaten im Kampfeinsatz in Afghanistan. Das sollte man bedenken, wenn man ein erneutes militärisches Eingreifen fordert. Und mit Luftschlägen kann man vielleicht einzelne Terroristennester bekämpfen, aber darüber hinaus wenig bewirken“, sagte Kujat dem RND. Dass der Widerstand der durch den Westen ausgebildeten afghanischen Armee so schnell zusammengebrochen sei, liege daran, dass etwa ein Drittel der ausgebildeten afghanischen Streitkräfte bereits nach der Ausbildung zu den Taliban übergelaufen sei. „Die Taliban haben offenbar auch gezielt Leute geschickt, die Ausbildung war ja gut.“

BND nach Taliban-Machtübernahme in Afghanistan in der Kritik
Die Unionsfraktion fordert nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan Aufklärung über die Arbeit des Bundesnachrichtendienstes. „Da werden wir kritische Fragen an den Bundesnachrichtendienst haben“, sagte Unionsfraktionsvize Johann Wadephul (CDU) der „Welt“. Nachdem der Putsch in Mali komplett überraschend gekommen sei, sei es das zweite Mal, dass man in einer schwierigen Situation ohne rechtzeitige Information dastehe. In welcher Form eine solche Aufklärungsarbeit ablaufen könnte, sei vom nächsten Bundestag zu klären. „Das kann eine Enquete-Kommission sein, das kann ein Untersuchungsausschuss sein“, sagte Wadephul. Der CDU-Politiker widersprach der Ansicht, dass die Union einen Fehler begangen habe, als sie im Juni den Antrag der Grünen im Bundestag zur großzügigen Aufnahme von Ortskräften abgelehnt hat: „Diese Auffassung teile ich nicht, denn es war klar, dass das ohnehin stattfindet. Damit war der Antrag überflüssig“. Er ergänzte: „Die Grü  nen sind die Letzten, die uns belehren sollten. Die waren gegen den Bundeswehreinsatz und ohne hätten wir gar niemanden evakuieren können.“ +++