
Nach seinem historischen Scheitern im ersten Wahlgang ist CDU-Chef Friedrich Merz nun doch zum Bundeskanzler gewählt worden. Merz erhielt am Dienstagnachmittag im Bundestag 325 Ja-Stimmen, 289 Abgeordnete stimmten gegen ihn und einer enthielt sich. Drei Stimmen waren ungültig, zwölf Stimmen wurden nicht abgegeben.
Zu einer erfolgreichen Wahl benötigte Merz in der geheimen Wahl die Zustimmung der Mehrheit der Mitglieder des Bundestages, eine sogenannte „Kanzlermehrheit“ von 316 Stimmen. Die künftige Koalition aus CDU/CSU und SPD hat gemeinsam 328 Abgeordnete. Im ersten Wahlgang hatte Merz nur 310 Stimmen erhalten. Noch nie zuvor war ein designierter Kanzler nach erfolgreichen Koalitionsverhandlungen nach einer Bundestagswahl im ersten Wahlgang im Bundestag gescheitert.
Mijatovic, Betreuungsabgeordneter für die Kreise Fulda und Vogelsberg (Bündnis 90/Die Grünen) erklärte zur Wahl: „Das Scheitern von Friedrich Merz im ersten Wahlgang zum Bundeskanzler stellt ein historisches Ereignis dar. Es zeigt deutlich die Unzufriedenheit innerhalb der eigenen Reihen und macht die mangelnde Fähigkeit von Friedrich Merz sowie Lars Klingbeil sichtbar, eine verlässliche politische Mehrheit zu organisieren. Gemeinsam mit den anderen demokratischen Fraktionen im Bundestag haben wir intensiv beraten und uns dafür ausgesprochen, dass zeitnah ein zweiter Wahlgang stattfinden muss. Für uns als Bündnis 90/Die Grünen war von Anfang an klar: Nach einem Wahlkampf, der von starker Polarisierung geprägt war, und angesichts erheblicher inhaltlicher Schwächen im Koalitionsvertrag, konnten wir Friedrich Merz in dieser Situation nicht unterstützen. Gleichzeitig erkennen wir an, dass es der Union und der SPD im zweiten Wahlgang gelungen ist, eine Mehrheit herzustellen. Für unser Land ist das in erster Linie ein Zeichen institutioneller Handlungsfähigkeit – ein Signal für Stabilität und echten politischen Aufbruch sehen wir darin jedoch nicht.“
„Diese Wahl ist historisch – aber nicht im positiven Sinn“, erklärte Desiree Becker, Landesvorsitzende der Partei Die Linke Hessen und Bundestagsabgeordnete. „Wenn Friedrich Merz und Lars Klingbeil noch nicht mal im ersten Wahlgang das Vertrauen von ihren eigenen Leuten in der Berliner Blase bekommen, wie sollen sie dann das Vertrauen der Menschen gewinnen, die mit den realen Problemen des Alltags kämpfen. Gerade Friedrich Merz gelingt es nicht zu verbinden, sondern nur zu spalten. Mit ihm als Kanzler droht eine weitere Ära der Hoffnungslosigkeit. Diese Wahl markiert den Beginn einer Regierung, die den Sozialstaat demontiert, die Rechte von Frauen, Queers und Migrant*innen einschränkt und den Schulterschluss mit Rechten zur Normalität machen will. Wir haben als Linke den Blackrock-König nicht zum Kanzler gewählt und werden eine starke linke Opposition gegen diese Regierung sein. Während Friedrich Merz die Reichen noch reicher machen wird, fordern wir endlich eine Vermögensteuer und höhere Besteuerung der Superreichen.“
Wirtschaft fürchtet Schaden durch Hängepartie
Ökonomen und Vertreter von Wirtschaftsverbänden haben den gescheiterten ersten Wahlgang bei der Wahl des Bundeskanzlers scharf kritisiert. Die „Unfähigkeit“ von CDU-Chef Friedrich Merz, „eine Mehrheit zu gewinnen, erschüttert das Vertrauen in die politische Handlungsfähigkeit und könnte dadurch auch wirtschaftlichen Schaden verursachen“, sagte Fratzscher der „Rheinischen Post“ (Mittwochausgabe). „Der Koalitionsvertrag wird von vielen Abgeordneten abgelehnt, enthält kaum verbindliche Vereinbarungen und bleibt bei zentralen Themen wie Steuer-, Renten- und Migrationspolitik vage“, sagte der Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW). „Union und SPD brauchen mehr Mut zu echten Reformen. Der aktuelle Koalitionsvertrag bietet keine tragfähige Grundlage für die kommenden Jahre.“
Der Leiter des Hauptstadtbüros des arbeitgebernahen Instituts der deutschen Wirtschaft (IW), Knut Bergmann, hat nach dem gescheiterten ersten Wahlgang von Friedrich Merz (CDU) vor den ökonomischen Folgen gewarnt. „Wichtig für die Wirtschaft wie das ganze Land ist, dass die Regierung möglichst schnell ins Handeln kommt – zu viele Themen liegen brach, zumal unter den gegebenen außen- und handelspolitischen Bedingungen“, sagte Bergmann dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwochausgaben).
„Dass Friedrich Merz nicht im ersten Wahlgang gewählt wurde, mag zwar in ein paar Monaten vergessen sein, aber für den Moment weckt dies Zweifel an der Stabilität der Koalition“, so der Ökonom. Gerade die Wirtschaft brauche verlässliche Rahmenbedingungen, zu denen auch eine stabile Bundesregierung zähle. „Der einzige Profiteur wird politisch einmal mehr die AfD sein – eine Partei, die ökonomisches Gift für unser Land ist.“
Der Präsident der Deutschen Industrie- und Handelskammer (DIHK), Peter Adrian, pochte ebenfalls auf Stabilität. „Das Scheitern im ersten Wahlgang ist ein verheerendes Signal – und eine denkbar schlechte Nachricht für die deutsche Wirtschaft“, sagte Adrian dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (Mittwochausgaben). „In einer Zeit, in der unser Land vor enormen wirtschaftlichen und geopolitischen Herausforderungen steht, ist politische Handlungsfähigkeit unerlässlich. Statt Klarheit herrscht weiter Unsicherheit“, klagte der DIHK-Präsident. „Die dringend benötigte Stabilität lässt weiter auf sich warten – das ist kein gutes Zeichen für Unternehmen und Investoren“, fügte er hinzu.
Adrian appellierte an die Abgeordneten des Bundestags, nun schnell für Klarheit zu sorgen. „Alle politischen Akteure tragen jetzt Verantwortung, zügig eine belastbare und handlungsfähige Regierung zu bilden. Die Wirtschaft kann sich keine lange Hängepartie leisten“, sagte der Kammervertreter. „Uns droht ein drittes Jahr ohne Wachstum: Unternehmen verschieben weiter Investitionen, Betriebe schließen, Arbeitsplätze geraten stärker unter Druck“. Die Unternehmen stünden bereit, ihren Beitrag zu leisten, so Adrian. „Aber sie brauchen Rückenwind – und ein verlässliches politisches Umfeld. Ohne politische Führung wird die wirtschaftliche Erholung nicht gelingen.“
Die Chefin der Wirtschaftsweisen, Monika Schnitzer, hat die Fraktionen von Union und SPD aufgefordert, rasch für politische Klarheit bei der Kanzlerwahl und der Regierungsbildung zu sorgen. „Für die Wirtschaft ist jede Form von Unsicherheit Gift“, sagte Schnitzer der „Rheinischen Post“. „Es ist deshalb zu hoffen, dass die Regierungsbildung rasch gelingt“, sagte die Vorsitzende des Wirtschafts-Sachverständigenrats der Bundesregierung.
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm sieht ein schlechtes Signal in der gescheiterten Kanzlerwahl. „Das ist ein unglücklicher Start, aber es lag auch in der Luft“, sagte Grimm der „Rheinischen Post“ am Dienstag. Die Nürnberger Ökonomin forderte nun klare Entscheidungen, damit sich die Stimmung in der Wirtschaft rasch dreht. „Einfache Signale der Zuversicht gibt es jetzt nicht, es braucht Lösungen. Einige hoffen immer noch darauf, dass sich einfach nur die Stimmung verbessern muss. Aber das ist schlicht falsch, es braucht klare Entscheidungen – wir werden sehen, ob die Regierung die Kraft dazu findet.“
Das Regieren für die Koalition von Merz werde schwierig werden. „Schwer wird es sicherlich, denn man kann es in der aktuellen Situation niemandem Recht machen. Einigen ist die Wirtschaftspolitik zu wenig marktorientiert, anderen zieht sich der Staat zu stark zurück. Die geplante Migrationspolitik ist einigen zu hart, anderen zu lasch. Es dürfte schwierig werden“, so Grimm. +++
Und wie man hört war Angela Merkel bei Verkündigung des Ergebnisses nicht mehr auf der Besuchertribüne. Der Besuch der alten Dame war daher nur von kurzer Dauer. Doch er hat seine Wirkung nicht verfehlt! ;-)