GSP-Mitglieder besuchten KZ-Gedenkstätte „Mittelbau Dora“

Mahnung und Lehre aus der Geschichte

Nur wenig erinnert mehr an den Horror, das tägliche Grauen, das die rund 60.000 Häftlinge vor mehr als 80 Jahren in der von Überlebenden so genannten „Hölle von Dora“ bei Nordhausen erleiden mussten. Blauer Himmel, wie mit dem Pinsel gemalte Wattebausch-Wölkchen und lebhaftes Vogelgezwitscher über der gepflegten, grünen, geradezu „idyllischen“ parkähnlichen Landschaft der KZ-Gedenkstätte „Mittelbau Dora“ „übertünchen“ die furchtbare Vergangenheit dieses Ortes. Fast – denn selbst die nur spärlich erhaltenen Relikte auf dem Außengelände, vor allem die in den 90er Jahren durch einen neuen Tunneleingang wieder zugänglich gemachten drei der ursprünglich 46 Querstollen sowie ein Teil des rund 1,8 Kilometer langen Fahrstollens A des gewaltigen Komplexes im Kohnstein lassen die Geschichte(n) der Opfer wieder fassbar werden. Drastisch führt gerade der Rundgang durch die düsteren, kühlen, feuchten Stollengänge die Folgen des Handelns eines menschenverachtenden Regimes vor Augen. Auf bedrückende Weise erfahren die Besucher, wie die Helfershelfer des nationalsozialistischen Terrors Gefangene zu Nummern degradiert, damit entmenschlicht, durch Hunger und Zwangsarbeit gequält, gefoltert und schließlich tausendfach ermordet haben.

Notwendige Erinnerungskultur

Gerade vor diesem Hintergrund ist die KZ-Gedenkstätte „Mittelbau Dora“ für die Mitglieder und Gäste der Fuldaer Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik (GSP) mehr als nur eine Begegnung mit einem furchtbaren Teil deutscher Geschichte. Die inhaltliche Auseinandersetzung mit der Existenz dieses NS-Lagers ist vielmehr Teil der notwendigen Erinnerungskultur. „Im Bewusstsein, dass so etwas niemals wieder auf deutschem Boden geschehen darf, wollen wir als GSP mit dieser Fahrt unseren Beitrag zu Demokratie, Freiheit und Frieden leisten. Wir wollen der Opfer gedenken, ihr mahnendes Vermächtnis wach halten“, bekräftigt Sektionsleiter Michael Schwab während des Rundgangs, der nicht ohne Wirkung bleibt. Still, nachdenklich, bedrückt oder betroffen wirken die Gäste aus Fulda auf ihrer „Reise“ in ein düsteres Kapitel der Vergangenheit, die am Mahnmal für die Opfer in einem überzeugten „Nie wieder!“ gipfelt.

Produktionsverlagerung

Zurück geht die fast 130 Hektar große Anlage des KZs „Mittelbau-Dora“ auf den geheimen Raketenbau in Peenemünde auf der Insel Usedom. Dort, in der ehemaligen Heeresversuchsanstalt, hatte Raketenforscher Wernher von Braun nach der V 1 die A4-Rakete, im Propagandajargon auch „V 2“ (Vergeltungswaffe 2) genannt, durch sein Experten-Team konzipieren und ab Frühsommer 1943 produzieren lassen. Ein schwerer Luftangriff der Royal Air Force in der Nacht auf den 18. August 1943 bereitet der Peenemünder Raketenproduktion jedoch ein jähes Ende. Auf der Suche nach einer alternativen, noch dazu bombensicheren Produktionsstätte für beide Waffensysteme werden die Experten im Stollensystem der Wirtschaftlichen Forschungsgesellschaft (Wifo) im Kohnstein bei Nordhausen fündig. Bereits seit 1936 hatte die Wifo dort ein unterirdisches Treibstofflager für die Wehrmacht ausbauen lassen, das im Spätsommer 1943 nahezu fertiggestellt ist und kurzerhand zur Waffenproduktion umfunktioniert wird. Unter der Leitung des berüchtigten Generals der Waffen-SS Hans Kammler, Heinrich Himmlers Sonderbeauftragten für das A4-Programm, beginnt die Untertageverlegung der Raketenproduktion in das Stollensystem des Kohnsteins.

Unmenschliche Bedingungen

Unter unmenschlichsten Bedingungen graben sich die Bau-Häftlinge in den Kalkstein-Fels des Kohnsteins, um kilometerlange Tunnel anzulegen, in denen die Gefangenen auf drei Ebenen anfangs sogar leben und arbeiten müssen. „Der Stollen war kalt und feucht, die Luft stark verpestet durch die Pressluftbohrungen und Dynamitsprengungen“, erinnert sich nach dem Krieg der ehemalige Gefangene Albert van Diyk (1924-2021) an die schrecklichen Bedingungen. „Es gab so gut wie kaum Hygiene, weil es kein Wasser gab. Als Aborte dienten uns halbierte Benzinfässer, worüber Sitzbretter gelegt worden waren.“ Zivilen Mitarbeitern stehen hingegen WCs und Duschen zur Verfügung. Etwa neun Monate dauert die erste Ausbauphase der bis Kriegsende fast 20 Kilometer langen Gesamtanlage, von der heute etwas mehr als ein Kilometer wieder zugänglich ist. Katastrophal sind die Lebensumstände in den monströsen Stollenröhren. Karge Essensrationen, extremharte Arbeit, Schikane und Folter durch das in Spitzenzeiten 3.300 SS-Männer zählende Wachpersonal fordern ihren Tribut. „Tod durch Erschöpfung“ lautet im Regelfall die lapidare Diagnose bei den meisten der Opfer. Besonders hart trifft es die so genannten „Bauarbeiter“, also Häftlinge, die die Anlage ausbauen müssen. Inhaftierten Ingenieuren und Technikern geht es als „Produktionsarbeitern“ hingegen deutlich besser, denn sie sind unerlässlich für den Raketenbau der Nazis. Bei annähernd gleichen Essens-Rationen sind die „Bauarbeiter“ aufgrund schwerster körperliche Arbeit „schneller ausgelaugt“ als ihre Mithäftlinge in der Fertigung. Zwölf Stunden dauern die kräftezehrenden Schichten, wie Gedenkstätten-Mitarbeiterin Merle Berentsen ihren aufmerksamen Zuhörern erklärt. Dies sowie die massiven körperlichen Misshandlungen sorgen dafür, dass die Todesraten in den Baulagern deutlich höher ausfallen. Von den seit 1943 insgesamt 60.000 im Mittelbau Dora und seinen 39 Außenlagern Inhaftierten sterben laut Berentsen rund 20.000 – also gut ein Drittel – an Erschöpfung oder werden ermordet. Ungefähr 15.000 Gefangene sind es, die im ursprünglichen Außenlager des KZs Buchenwald gleichzeitig leben.

Abgebaut

Ein Luftbild zeigt, wie das Lager zum Zeitpunkt des 11. April 1945 ausgesehen hatte, als es von den Amerikanern befreit wird. Dass Baracken und Gebäude heute bis auf wenige Ausnahmen fehlen, liegt nicht etwa daran, dass das Gelände bombardiert worden wäre. Oder dass die Amerikaner und später die Sowjets das Lager abgerissen hätten. Sondern es liegt vielmehr an der Not in der Region nach Kriegsende. Denn über 50 Prozent Nordhausens sind in den letzten Tagen des Zweiten Weltkrieges dem heftigen Bombardement der Alliierten zum Opfer gefallen. Baumaterial ist folglich „rar und teuer“ zu jener Zeit. Weil das Konzentrationslager verlassen ist, sich niemand mehr um die Baracken, Gebäude und die Stollenanlage kümmert, beginnt der Abbau. Nur das Krematorium sowie die ehemalige Feuerwache mit Löschteich bleiben erhalten. Auch Reste des ehemalige Häftlingsgefängnisses, von dem noch die Mauer steht. Lediglich die Nummer 10 auf einem Übersichtsplan ist die letzte Baracke im Originalzustand. Sie hatte lange nicht mehr auf dem Gelände der Gedenkstätte gestanden. Nach dem Krieg entfernt, ist sie „eins zu eins in der Stadt wieder aufgebaut worden“, erklärt die wissenschaftliche Mitarbeiterin der Gedenkstätte. Erst in den 90er Jahren fällt aufmerksamen Beobachtern auf, dass diese Baracke eigentlich aus dem KZ stammt. Sie wird deshalb auf dem Lager-Areal wieder errichtet, um als Gedenkort zu dienen.

Vergessen

Fast 20 Jahre nach Kriegsende gibt es auf dem ehemaligen KZ-Gelände keinen Ort des Gedenkens, keinen Grabstein. Erst 1964 ist aus dem Krematorium (noch zu DDR-Zeiten) ein unverzichtbarer Ort des Gedenkens geworden. Bis in die 70er Jahre bleibt der Rest des Geländes weiterhin eine freie Fläche, bis schließlich der vordere Appellplatz hinzukommt. Ebenfalls noch zu DDR-Zeiten wird der Appellplatz umgebaut. Dort hält das sozialistische Regime Feierlichkeiten ab, zum Beispiel Jugendweihen oder die Vereidigung von Soldaten, was „aus heutiger Sicht kritisch zu betrachten ist“, wie Berentsen betont. Tragik der Geschichte: Das NS-Terror-Regime nutzt das Lager, um hier Menschen leiden zu lassen, zu quälen und zu ermorden. Die DDR-Regierung nutzt den gleichen Ort zunächst nicht etwa als Ort der Trauer und des Gedenkens, sondern ausgerechnet dazu, eigenes Militär aufmarschieren zu lassen. Letztlich ist es der Beharrlichkeit der Überlebenden zu verdanken, dass im Lauf der Jahre „Meter für Meter“ an Fläche eines würdigen Gedenkortes für die Tausenden von Opfern hinzugekommen ist. 2006 ist so auch das neue Museumsgebäude entstanden, mit Tagungsräumen sowie einer kleinen Ausstellung mit Fundstücken aus dem Stollensystem, Erfahrungsberichten der Opfer, aber auch Portraits der Täter, darunter Lagerkommandant Otto Förschner oder des Raketenspezialisten Werner von Braun.

Wehrhafte Demokratie

Beklemmende Gefühle, Gefühle von Wut und Trauer löst das Lager-Krematorium aus. Seit Herbst 1944 ist der Backsteinbau mit seinen Öfen in Betrieb. Etwa 5.000 Opfer sind dort verbrannt worden. Unfassbar: Ihre Asche ließ die SS am Hang dahinter einfach abkippen. Wiederum ist es die friedliche Natur, der herrliche Sonnenschein, der sanfte Wind, der durch die Bäume streicht, die die mörderische Lager-Wirklichkeit fast vergessen machen. Das überlebensgroße Mahnmal für die Opfer auf dem Gedenkplatz davor, symbolisch durch eine Gruppe Gefangener dargestellt, macht jedoch auf bedrückende Weise bewusst, weshalb die GSP-Gruppe sich an diesem Ort versammelt hat. „Um zu erinnern, zu gedenken und zu mahnen“, wie Sektionsleiter Schwab beim gemeinsamen Niederlegen einer Schale betont. „Wir erfüllen so den Satzungsauftrag unserer Gesellschaft, der GSP, und leisten ein Stück Friedensarbeit.“ In seinem Wort an die Mitglieder und Gäste der Fuldaer GSP-Sektion greift er die Erinnerungen des französischen Gefangenen Aimé Bonifas auf, der das KZ Mittelbau-Dora überlebt hat, und die Situation geflüchteter Häftlinge bereits 1946 in einem auf Französisch publizierten Erinnerungsbericht schildert. Bonifas spricht darin von Deutschland als einem „verlorenen Land.“ „Wir jedoch wollen, dass unser Land nie wieder ein verlorenes Land ist, sondern ein offenes, in dem Menschen in Frieden und Freiheit leben können. Dafür setzen wir uns mit aller Kraft ein.“ Schwabs Vorgänger Michael Trost – im Sektionsvorstand heute „Beauftragter für Informationsfahrten“ – betont: „Wenn wir uns zum ehrenden Gedenken an die Tausenden Opfer von Unmenschlichkeit, Rassenwahn und erbarmungsloser Zwangsarbeit hier an diesem Ort verneigen, versprechen wir, wie in unserer Einladung zur Tagesfahrt formuliert, die richtigen Lehren aus der Geschichte zu ziehen und die Demokratie zu stärken.“ Vor dem Hintergrund steigenden Rechtsextremismus in Deutschland wie in Europa bedeute das „für unsere Sektion auch, gemäß unserer Satzung, für eine wehrhafte Demokratie einzutreten.“ +++ ms


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