Europas Wähler wenden sich vom politischen Establishment ab

Waschke: Enttäuschung, Unzufriedenheit und Frustration

Fulda. Die Präsidentschaftswahl in Österreich und das gescheiterte Referendum in Italien bereiten mir einiges Kopfzerbrechen. Betrachtet man die Wahlergebnisse, so gibt es in Europa allem Anschein nach eine große Enttäuschung, Unzufriedenheit und Frustration gegenüber dem politischen Establishment. Was bedeutet das für die Stabilität Europas?

Wenn in Österreich eine rechtsradikale, nationalistische Partei in einer Präsidentschaftswahl 48 Prozent der Stimmen gewinnt, dann sollte uns das sehr zu denken geben. In Österreich hat das Thema Europa in der Präsidentschaftswahl eine große Rolle gespielt. Es war gut, dass der gewählte Präsident Alexander van der Bellen einen klar pro-europäischen Wahlkampf geführt hat. Österreich steht wirtschaftlich gut da und Wien profitiert sehr stark von seiner Mitgliedschaft in der EU. Woher kommt aber die tiefe Unzufriedenheit der 48 Prozent Wähler, die Alexander van der Bellen und seinen Kurs ablehnen? Aus meiner Sicht gibt es dafür drei Gründe: die Zuwanderung ist in Europa nicht geklärt, das Land ist traditionell europaskeptisch und darüber hinaus über Jahrzehnte unzufrieden mit dem politischen System. Seit Jahren teilen sich quasi die beiden traditionellen Volksparteien SPÖ und ÖVP das Land unter sich auf. Damit dürfte es bald vorbei sein. Wenn mich nicht alles täuscht, werden die beiden Parteien bei den nächsten Nationalratswahlen keine 50 Prozent der Stimmen mehr zusammen erzielen.

Mit der Ablehnung der Verfassungsreform von Matteo Renzi ist eine große Unsicherheit darüber entstanden, welchen Weg Italien zukünftig einschlagen wird. Glaubt man den jüngsten Umfragen des Europäischen Parlaments zur Stimmung in der EU, so halten in Italien nur noch 38 Prozent der Bürger die Europäische Union für nützlich. Das wird Auswirkungen auf die kommenden Wahlen haben, bergen sie doch das Risiko in sich, dass sich das traditionell europafreundliche Italien von der EU abwendet. Das bedeutet für den Zusammenhalt in Europa nichts Gutes. Seit der Finanzkrise kommt Italien wirtschaftlich nicht auf die Beine, was zu dem Stimmungswandel gegenüber der EU geführt hat. Nach Expertenmeinung liegt das am geforderten Stabilitätskurs, den Italien trotz aller Bemühungen nicht erfüllen kann. Die Folgen: Es wurde nicht genug investiert, Arbeitsplätze gingen massiv in der Industrie verloren, die Arbeitslosigkeit ist allgemein sehr hoch, 36 Prozent der Jugendlichen sind arbeitslos. Zudem fühlen sich die Italiener in der Flüchtlingsfrage alleingelassen.

Finanzexperten nennen aber noch einen anderen wesentlichen Grund: Europa hat es mit einem Konstruktionsfehler zu tun: „Eine Währungsunion kann nur funktionieren, wenn die Mitgliedsstaaten ungefähr die gleiche Wettbewerbsfähigkeit mitbringen. Das war und ist in der EU aber noch nie der Fall gewesen“, wird betont. Deshalb würden auch die wirtschaftlichen Unterschiede zwischen den Staaten immer noch größer. Wir Deutschen profitierten beispielsweise vom niedrigen Euro-Kurs sehr viel stärker, als alle anderen Europäer. Das Konstruktionsproblem in der Eurozone ist das eigentliche gravierende Problem, das es dringend zu beseitigen gilt! Dass die Länder durch die geforderten Sozialeinschnitte den strukturellen Unterschied beseitigen können, hat sich nach meiner Überzeugung als kardinale Fehleinschätzung erwiesen. Nur dem kleinen Mann in die Tasche zu greifen, die großen Vermögenden aber zu schonen, hat Europa politisch an den existenziellen Abgrund geführt. Europas Wähler verweigern dem politischen Establishment zunehmend die Gefolgschaft! Wir werden nicht darum herumkommen, dass innerhalb der Euro-Zone ein größerer Geldtransfer stattfindet – von den reicheren in die ärmeren Länder. Das hören wir Deutschen nicht gerne, aber so ist die Lage. Ein weiter so wie bisher, kann es wohl nicht geben! Das wird auch bald der letzte Hinterbänkler Europas begreifen. +++ (sabine waschke)