Erstmals Dr.-Norbert-Schmidt-Preis für beste Doktorarbeit an der Hochschule Fulda vergeben

Forschungspreis zeigt gesellschaftlichen Beitrag

Dr. Norbert Schmidt überreichte die Auszeichnung im Rahmen einer Feierstunde an Professorin Dr. Viviane Schachler. Hochschulpräsident Professor Dr. Karim Khakzar (l.) und Vizepräsidentin Professorin Dr. Claudia Kreipl (r.) gratulierten. Foto: Nicole Dietzel

Die Dr.-Norbert-Schmidt-Stiftung hat ihren ersten mit 10.000 Euro dotierten Dissertationspreis vergeben. Die im vergangenen Jahr gegründete Stiftung geht auf eine großzügige Spende des Fuldaer Radiologen Dr. Norbert Schmidt zurück. Einmal im Jahr zeichnet sie die beste an der Hochschule Fulda abgeschlossene Promotion aus. Erste Preisträgerin ist Dr. Viviane Schachler. Sie arbeitete von 2017 bis 2021 als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Forschungsprojekt „Repräsentativbefragung zur Teilhabe von Menschen mit Behinderungen“ von Professor Dr. Markus Schäfers an der Hochschule Fulda. Thema ihrer Dissertation: „Partizipation durch Werkstatträte? Mehrperspektivische Betrachtungen und sequenzielle Mixed-Methods-Studie“. 2021 promovierte sie in einem kooperativen Verfahren der Hochschule Fulda und der Humboldt-Universität zu Berlin. Inzwischen ist Viviane Schachler Professorin an der HAWK Hochschule für angewandte Wissenschaft und Kunst Hildesheim/Holzminden/Göttingen.

Rechtliche Ansprüche und soziale Wirklichkeit

Mit ihrer Dissertation liefert die Preisträgerin einen Beitrag zur Teilhabeforschung von Menschen mit Behinderungen. Sie untersuchte, wie die rechtlichen Beteiligungsansprüche in den Werkstätten für behinderte Menschen umgesetzt werden. Konkret richtete sie ihren Blick auf die Arbeit von Werkstatträten. Diese fungieren wie die Betriebsräte im allgemeinen Arbeitsmarkt als Interessenvertretung der Beschäftigten und haben rechtlich ein Mitsprache- und Mitwirkungsrecht. Doch wie werden die gesetzlichen Vorgaben und Beteiligungsrechte der Werkstatträte in der Praxis ausgestaltet? Was hindert, was fördert eine gelingende Arbeit dieser Gremien? Und ist Partizipation in einem Setting, das sich immer wieder mit dem Vorwurf der Separierung und Aufrechterhaltung eines Sondersystems konfrontiert sieht, überhaupt möglich? Viviane Schachler legte mehr als zwei Jahrzehnte nach Einführung von Werkstatträten erstmals belastbare Daten vor, die die soziale Wirklichkeit hinter den rechtlichen Vorgaben beleuchten. „Viviane Schachlers herausragende Dissertation ist ein Beispiel dafür, wie wissenschaftliche Erkenntnisse für die Praxis nutzbar gemacht werden können. Solche fundierten kritischen Rückmeldungen sind enorm wichtig, um Praxis, Recht und Politik weiterzuentwickeln“, ordnet Professor Schäfers die Relevanz der Arbeit ein.

Forschungspreis zeigt gesellschaftlichen Beitrag

Dass der Dr. Norbert Schmidt-Forschungspreis auch für die Hochschule Fulda wie die Preisträger*innen eine große Chance ist, machten Hochschulpräsident Professor Dr. Karim Khakzar und Vizepräsidentin Professorin Dr. Claudia Kreipl deutlich. „Der Preis soll auch einer breiteren Öffentlichkeit aufzeigen, dass an einer Hochschule für Angewandte Wissenschaften im Rahmen von Promotionsvorhaben wichtige Beiträge zur Bewältigung großer gesellschaftlicher Herausforderungen geleistet werden“, betonte der Präsident. Und die Vizepräsidentin stellte heraus: „Für die Preisträgerin bedeutet die Auszeichnung nicht nur eine finanzielle Anerkennung ihrer Arbeit. Vielmehr ist es auch eine Besonderheit im Lebenslauf, welche den zukünftigen beruflichen Werdegang fördern kann. Wir danken Herrn Dr. Norbert Schmidt für seine großzügige Spende.“

Rund 300.000 Menschen betroffen

Rund 300.000 Personen mit Behinderungen arbeiten hierzulande in Werkstätten für behinderte Menschen – obwohl die UN-Behindertenrechtskonvention das Recht auf gleichberechtigte Erwerbsarbeit in einem „offenen, einbeziehenden und zugänglichen Arbeitsmarkt“ festschreibt. Da die Werkstätten als Sondersystem strukturiert sind, kann sich die Umsetzung von Partizipation – verstanden als ein Verhandeln von Interessen auf Augenhöhe – schwieriger gestalten. Die Preisträgerin befragte für ihre Untersuchung Werkstatträte, Werkstattleitungen und Vertrauenspersonen in ganz Deutschland. Über 700 Fragebögen wertete sie aus und erfasste, wie die Werkstattratsarbeit organisiert und in der Breite aufgestellt ist. Im empirischen Teil ihrer Studie analysierte sie, wie aktiv und autonom die Werkstatträte als Gremium sind.

Handlungsempfehlungen für die Praxis

Nur knapp jedes fünfte Werkstattratsgremium war demnach durchsetzungsfähig und hatte in den zwei Jahren zuvor mindestens eine Betriebsvereinbarung abgeschlossen und einmal Widerspruch in Angelegenheiten der Mitwirkung und Mitbestimmung eingelegt. In 40 Prozent der Fälle war der Werkstattrat zwar eingerichtet, aber ohne Einfluss auf das Betriebsgeschehen. Für eine große Zahl an Werkstätten für behinderte Menschen sei es „derzeit noch angemessener, lediglich von Beteiligungsmöglichkeiten zu sprechen“ als von Partizipation, so Schachler. Prinzipiell hält sie Partizipation durch Werkstatträte aber für möglich und zeigt mit umfassenden Handlungsempfehlungen Ansatzpunkte für die Praxis, wie sich eine aktivere, durchsetzungsstarke Werkstattratsarbeit erreichen lässt. „Werkstätten, die den Mehrwert eines starken Wertstattrats erkennen und die Stärkung des Gremiums als strategische Managementform begreifen“, schreibt sie, hätten „den klaren Vorteil, sich einem modernen, teilhabeorientierten Dienstleistungsverständnis (…) anzunähern“. Praxis und Politik könnten sich nicht darauf „ausruhen“, dass die Mitbestimmung rechtlich festgeschrieben sei. +++ pm

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