Der marktgerechte Mensch

Die meisten Menschen in Europa haben an sozialer Sicherheit verloren

Fulda. Bei den gegenwärtigen Verhandlungen über neue Kredite für Griechenland kommt nirgendwo zur Sprache, worum es dort wirklich geht. So gibt es z. B. überall im Land keine Tarifverträge mehr, außer beim staatlichen Energieversorger. Ansonsten muss jeder Arbeitssuchende sein Gehalt individuell mit dem Unternehmer verhandeln – bei einer offiziellen Arbeitslosigkeit von 26% (bei der Jugend mit 44%) ist das ein reines Diktat. Die in Deutschland in Sonntagsreden vielbeschworene Tarifautonomie ist in Griechenland bereits beerdigt. Jetzt fordern Schäuble und der IWF als Bedingung weiterer Kredite die Fortsetzung der Rentenkürzungen und die ultimative Privatisierung des Energieversorgers. So verschwinden auch dort die Tarifverträge. Und höhere Strom- und Gaspreise vertiefen die Armut in dem ausgepressten Land.

Warum erwähnt hierzulande niemand, wie das einst hoch verschuldete Griechenland in die Falle der unbezahlbaren Staatsschulden geriet: Allein mit dem Rettungspaket vom März 2012 sind dem Land Kredite über 250 Mrd. € aufgezwungen wurden, die fast ausschließlich zur Rettung der größten Banken Europas und der Welt dienten. Hätte man Griechenland nicht zu dieser Bankenrettung gezwungen, lägen die griechischen Staatsschulden heute rein rechnerisch bei ca. 72% des BIP – etwa wie in Deutschland! Aber durch das aufgezwungene Bankenrettungspaket kann das kleine EU-Land jetzt als Kolonie behandelt werden. Alle neoliberalen Experimente, die sich Herr Schäuble und der IWF ansonsten nur erträumen, werden hier praktiziert.

Der „optimal“ deregulierte Arbeitsmarkt Griechenlands scheint jetzt zum Vorbild der Welt zu werden. Trumps designierter Arbeitsminister Andrew Puzder polemisierte als millionenschwerer Chef von Fast-Food-Ketten stets gegen Mindestlohn und jegliche Regulierung des Arbeitsmarkts. Jetzt musste er zwar wegen der illegalen Beschäftigung einer Migrantin zurücktreten, aber nicht wegen seiner politischen Haltung. Sein Nachfolger wird kaum anderes verfolgen.

Schon hat Trump ein anderes Deregulierungsvorhaben angekündigt. Er will das Frank-Dodd-Gesetz aufheben, den Versuch der Obama-Regierung, die nochmalige Rettung von Großbanken mit Steuergeldern zu verhindern. Die keinesfalls wirtschaftsfeindliche FAZ meint dazu: „Nun besteht die Möglichkeit, dass Banken, die größer sind als je zuvor, so frei schalten und walten können wie lange nicht mehr. Und für Notfälle haben sie noch Freunde im Weißen Haus. Es kann einem angst und bange werden.“
Regulierungen sind Einschränkungen und Verpflichtungen für Großkonzerne gegenüber der Gesellschaft. Wer sie davon befreit, wird Elend und Verzweiflung fördern.

Als erste im Euroraum hat die rot-grüne Regierung Gerhard Schröders mit der Deregulierung begonnen. Die Liberalisierung des Arbeitsmarkts hat die heutige Welt von wiederholt befristeter Arbeit, Aufstocker, Werkverträge, Leiharbeit, und Minijobs und den größten Niedriglohnsektor Europas möglich gemacht. Die dadurch gesenkten Lohnkosten haben der deutschen Exportindustrie große Gewinne gebracht. Spanien, Frankreich, Portugal und Griechenland konnten mit dem Festhalten an erkämpften Arbeitsrechten, z.B. mit einer 36- bzw. 35-Stunden-Woche, schon bald mit Deutschland nicht mehr mithalten. Aber geht es uns Deutschen deshalb besser als zuvor? Den meisten keineswegs. Das Leben ist vor allem für die Jüngeren stressiger und unsicherer geworden. Kinder- und Altersarmut nehmen ständig zu.

Und den anderen in Europa soll es nicht besser ergehen. 2010 richtete die EU das „Europäische Semester“ ein. Damit werden die EU-Staaten verpflichtet, Sozialleistungen zu kürzen und noch günstigere Arbeitskosten für Unternehmen zu schaffen. Verstöße werden bestraft. Das wird in allen 28 EU-Mitgliedsstaaten jährlich kontrolliert. So wurden auch Frankreich und Italien zu Arbeits“reform“gesetzen getrieben, die alle erkämpften Arbeitsrechte aushebeln sollen.

Die meisten Menschen in Europa haben an sozialer Sicherheit verloren und wurden in einen Konkurrenzkampf geschickt, der zunehmend alle Lebensbereiche umfasst. Viele Menschen zerbrechen psychisch daran. Diese Entwicklung ist nicht „alternativlos“. Demokratie hat nur eine Chance, wenn Bürger ihre Interessen erkennen. +++ (der-marktgerechte-mensch.org)