CDU-Chefin stellt sich gegen Widerspruchslösung

Annegret Kramp-Karrenbauer (CDU)

Vor der Bundestagsabstimmung über die Organspende hat sich die CDU-Vorsitzende Annegret Kramp-Karrenbauer gegen die von Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) favorisierte Widerspruchslösung ausgesprochen. „Ich bin aus tiefer Überzeugung für eine Lösung, die das Prinzip der Freiwilligkeit akzeptiert“, sagte Kramp-Karrenbauer den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Ihr falle die Vorstellung schwer, „jemand von Staats wegen zur Organspende zu verpflichten, der sich von dieser Pflicht erst wieder freimachen“ müsse.

Sie sei selbst Organspenderin. „Das ist ein Thema, das mich sehr umtreibt: Jederzeit kann ich das sein, kann das eines meiner Kinder sein, die auf ein Organ angewiesen sind“, so die CDU-Chefin weiter. Weil die Organspende für viele Mandatsträger ein höchst persönliches Thema sei, habe auch die Unionsfraktion die Debatte freigegeben – mit offenem Ausgang. „Ich wage keine Prognose, wie die Abstimmung im Bundestag am Donnerstag ausgeht“, sagte Kramp-Karrenbauer. Wenn die Debatte dazu führe, dass es mehr Organspenden in Deutschland gebe, sei das schon positiv. Die CDU-Vorsitzende gehört nicht dem Bundestag an. Dort stehen an diesem Donnerstag zwei gegensätzliche Vorstöße zur Abstimmung. Eine Abgeordnetengruppe um Spahn schlägt eine „doppelte Widerspruchslösung“ vor. Demnach sollen alle Bürger als Spender gelten, man soll dem aber jederzeit widersprechen können. Sonst wäre noch bei Angehörigen nachzufragen, ob sie einen Widerspruch des Verstorbenen kennen. Dagegen stellt sich eine andere Abgeordnetengruppe um Grünen-Chefin Annalena Baerbock. Sie schlägt vor, dass alle Bürger mindestens alle zehn Jahre beim Ausweisabholen auf das Thema Organspende angesprochen werden.

Gesundheitsminister verteidigt Widerspruchslösung

Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) verteidigt sein Werben für die doppelte Widerspruchslösung bei der Organspende. „Ich finde, die Bereitschaft, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen, kann jedem abverlangt werden. Und ja: die Widerspruchslösung bedeutet einen Eingriff in Freiheit“, sagte er dem Nachrichtenportal T-Online. „Das Recht auf Leben und Gesundheit wiegt schwerer als das Recht, einer Entscheidung in dieser Frage aus dem Weg zu gehen. Wir wollen ja keine Organabgabepflicht. Jeder kann das ablehnen, ohne irgendeinen Nachteil befürchten zu müssen.“ In Bezug auf die Angehörigen der Verstorbenen sagte Spahn: „Die doppelte Widerspruchslösung wird die Angehörigen entlasten. Sie müssen nicht entscheiden, sondern sind nur Boten des Willens des Verstorbenen.“ Spahn äußerte sich auch zu dem Vorschlag von Grünen-Chefin Annalena Baerbock, die darauf drängt, dass Bürger weiterhin nicht automatisch zu Organspendern werden. „Ich bin kein Gegner des anderen Entwurfs. Ich meine nur, dass es zu wenig ist. Wir brauchen als nächsten Schritt eine stärkere Verbindlichkeit. Alles beim Alten zu lassen wird nicht reichen, um den Tausenden Patienten zu helfen, deren Leben von einer Organspende abhängt. Nur die Widerspruchslösung macht einen echten Unterschied.“ Spahn drängte darauf, die Entscheidung über die neue Regelung bei der Organspende nicht weiter aufzuschieben. „Wir diskutieren seit Jahren immer wieder über die Widerspruchslösung. Immer dann, wenn die Organspende-Zahlen stagnieren oder sogar sinken, gibt es diese Forderung. Ich finde: Wir sollten nicht nur fordern. Wir müssen auch mal entscheiden.“

Gröhe: Widerspruchslösung stellt Selbstbestimmungsrecht infrage

Der frühere Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) kritisiert, dass die diskutierte Widerspruchslösung bei der Organspende „das im Grundgesetz geschützte Selbstbestimmungsrecht infrage stellt“. Die Organspende sei ein „Geschenk aus Liebe zum Leben“, schreibt Gröhe in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal T-Online. „Das setzt Freiwilligkeit und Zustimmung voraus. Dabei sollte es bleiben!“ Die Widerspruchslösung setze nicht bei den eigentlichen Problemen an, so Gröhe. Das Problem sei nicht, dass zu wenige Menschen einer Organspende zustimmten. „In 75 Prozent der Fälle, in denen 2018 ein Hirntod festgestellt wurde und der Verstorbene grundsätzlich als Organspender infrage kam, gab es eine Zustimmung zur Organspende.“ Doch in „mehreren Tausend Fällen pro Jahr“ werde im Krankenhaus ein vorhandener Hirntod nicht festgestellt. „Dies muss besser werden, Ansatzpunkt sind die Krankenhäuser.“ Der Bundestag stimmt am Donnerstag über eine neue Regel für Organspenden ab. Eine Parlamentariergruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hatte den Gesetzentwurf für die doppelte Widerspruchslösung eingebracht. Mit ihr würde jeder automatisch als Spender gelten, der dem nicht widerspricht. Mehrere Politiker verschiedener Parteien sind gegen die Neuregelung.

Patientenschützer: Transplantationssystem ist „falsch konstruiert“

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz hat eine staatliche Kontrolle des gesamten Transplantationssystems gefordert. „Die Kontrolle muss unbedingt in die Hände einer unabhängigen staatlichen Behörde gelegt werden“, sagte Stiftungsvorstand Eugen Brysch dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Das gesamte Transplantationssystem sei „falsch konstruiert“. Derzeit seien Organisation, Durchführung und die Erstellung von Richtlinien für Transplantationen an privatrechtliche Akteure wie die Bundesärztekammer und die Deutsche Krankenhausgesellschaft delegiert, die sich dann auch noch selbst kontrollierten. „Die Menschen müssen dem Organspende-System endlich vertrauen können. Doch die vorliegenden Gesetzentwürfe berücksichtigen das nicht“, so der Stiftungsvorstand mit Blick auf die beiden im Bundestag zur Abstimmung stehenden Gruppenanträge. Brysch forderte darüber hinaus, den Rechtsschutz für potentielle Organempfänger zu verbessern. „Derzeit ist völlig unklar, a  n welches Gericht sich Patienten wenden müssen, um eine Wartelistenentscheidung überprüfen zu lassen“, sagte er. Vom Bundestag verlangte er, klare Kriterien für die Verteilung von Organen zu bestimmen. Der Gesetzgeber habe bisher nur die Ziele „Erfolgsaussicht“ und „Dringlichkeit“ festgelegt, die Entscheidung über deren Gewichtung aber einfach an privatrechtliche Akteure wie die Bundesärztekammer delegiert. „Das darf nicht sein, denn es geht bei dieser Frage um Leben oder Tod“, so Brysch. Er forderte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) auf, eine Expertenkommission einzusetzen, welche die Details für eine umfassende Reform ausarbeiten soll. Diese müsse dann vom Bundestag beschlossen werden. „Nur er hat die demokratische Legitimation, über Lebenschancen zu entscheiden.“

Lauterbach: Widerspruchslösung bei Organspende ist „einzige Chance“

Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach hat die doppelte Widerspruchslösung als „die einzige Chance“ bezeichnet, die Zahl der Organspender in Deutschland zu erhöhen. „Angesichts der dramatischen Zahlen auf der Warteliste ist es den Menschen zumutbar, sich mit der Organspende auseinanderzusetzen“, schreibt Lauterbach in einem Gastbeitrag für das Nachrichtenportal T-Online. Die Widerspruchslösung entspreche ohnehin mehr dem Willen der Bevölkerung. 84 Prozent der Deutschen stünden einer Organspende positiv gegenüber, aber nur etwa 36 Prozent hätten einen Organspendeausweis, so Lauterbach. „Das ist das Problem, das die Widerspruchslösung auflösen könnte.“ Die Widerspruchslösung werde bereits in den meisten Ländern Europas praktiziert – „von denen wir im Übrigen dankbar Organe annehmen“, schreibt Lauterbach. Sie rücke „konsequent das Leiden der betroffenen Patienten und Organempfänger in den Vordergrund, ohne die Freiheit des Einzelnen zu missachten“. Der Bundestag stimmt am Donnerstag über eine neue Regel für Organspenden ab. Eine Parlamentariergruppe um Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) hat den Gesetzentwurf für eine doppelte Widerspruchslösung eingebracht. Mit ihr würde jeder automatisch als Spender gelten, der dem nicht widerspricht. +++