Beuth: Rechte Verdachtsfälle bei Polizei nur Ausnahmen

Peter Beuth (CDU)

Der Hessische Innenminister Peter Beuth und Landespolizeipräsident Udo Münch haben erste Ergebnisse der Umfrage zur Studie „Polizeiliche Alltagserfahrungen – Herausforderungen und Erfordernisse einer lernenden Organisation“ in Wiesbaden vorgestellt. Per Onlinefragebogen hatten Beschäftigte der hessischen Polizei vom 6. November bis 5. Dezember 2019 die Möglichkeit, sich an dieser bundesweit einmaligen Umfrage zu beteiligen. Rund 17.000 Polizeivollzugsbeamte, Verwaltungsbeamte und Tarifbeschäftigte konnten mitmachen. 4.277 Frauen und Männer nahmen an der Befragung teil, was einer sehr guten Rücklaufquote von 25 Prozent entspricht.

„Unsere Umfrage liefert bisher nie dagewesene Einblicke in den Polizeiberuf. Sie zeichnet ein umfassendes Bild der Herausforderungen, vor denen unsere Schutzleute tagtäglich stehen. Vor allem aber verdeutlichen die Zahlen, dass die Frauen und Männer der hessischen Polizei fest an die Werte unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung glauben und sie auch vertreten. Extreme oder sogar extremistische politische Positionen sind der ganz großen Mehrheit der Kolleginnen und Kollegen fremd. Die Studie bestätigt uns deshalb in der Auffassung, dass es sich bei den rechten Verdachtsfällen in der hessischen Polizei um Einzelfälle handelt, in denen wir aber mit aller Konsequenz weiterermitteln werden“, so der Innenminister.

Zwei Drittel der Polizeibeschäftigen sehen sich selbst politisch „in der Mitte“

Fast zwei Drittel (64,4 Prozent) der Befragten positionieren sich bei der Frage nach dem „politischen Standort“ in der Mitte. 13 Prozent verorten sich bei „mäßig links“ und knapp 19 Prozent (18,8 Prozent) bei „mäßig rechts“. An den politischen Rändern positionieren sich nur sehr wenige der Polizeibeschäftigten in Hessen („ausgeprägt links“: 0,2 Prozent, „links“: 2 Prozent; „ausgeprägt rechts“: 0,1 Prozent, „rechts“: 1,6 Prozent). Nahezu alle Befragten (97 Prozent) halten die parlamentarische Demokratie eher (27,7 Prozent) oder voll und ganz (69,3 Prozent) für die beste Staatsform. Eine große Mehrheit (rund 72 Prozent) gibt sich gegenüber sozialistischen Ideen kritisch, während der Kapitalismus mit rund 62 Prozent eine deutlich höhere Zustimmung erfährt. Nahezu alle Befragten (rund 97 Prozent) halten die Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus für wichtig. Während die Gefahr nach einer „enormen Ausbreitung“ des Rechtsextremismus nur etwa sechs von zehn befragten Polizeibeschäftigten sehen. Für etwas mehr als die Hälfte (rund 56 Prozent) der Befragten ist die Existenz des Staates Israel Teil deutscher Staatsraison. Rund 28 Prozent sehen zumindest die Möglichkeit, dass Deutschland ein „islamisches Land“ werden könnte.

Große Mehrheit ist zufrieden mit der Arbeit und identifiziert sich mit dem Polizeiberuf

Die Befragten identifizieren sich stark mit ihrer Arbeit (rund 90 Prozent der Befragten) und auch die Arbeitszufriedenheit liegt mit mehr als 80 Prozent (genau: 81,5 Prozent) im Vergleich zu anderen Berufen sehr hoch. Allerdings bewerten nur etwa 60 Prozent der Befragten auch die Arbeitszufriedenheit ihrer Kolleginnen und Kollegen als entsprechend positiv. Rund zwei Drittel halten das Image der Polizei zumindest eher für gut. „Diese Werte bestätigen die Berichte der Kolleginnen und Kollegen aus den Dienststellen“, erläuterte Landespolizeipräsident Udo Münch. „Umfragen zeigen immer wieder, dass Polizisten in der Bevölkerung das größte Vertrauen genießen. Das ist für uns Ansporn und Verpflichtung zugleich. Wenn aber der einzelne Polizist mit seinem Beruf selbst zufrieden ist und gleichzeitig denkt, seine Kollegen seien es nicht, dann müssen wir mehr darüber reden: In der Dienststelle aber auch als Gesamtorganisation, insgesamt werden wir uns mehr austauschen. Dazu werden wir eine moderne Kommunikationsplattform für die hessische Polizei ins Leben rufen, die uns den direkten Austausch ermöglicht“, sagte der Landespolizeipräsident.

Größter Zufriedenheitsfaktor bei der Arbeit sind die eigenen Kollegen

Die drei wichtigsten Zufriedenheitsfaktoren für Polizeibeschäftigte sind Kollegialität (63,3 Prozent), das Betriebsklima (47,4 Prozent) und ein kurzer Arbeitsweg (42,6 Prozent). Als Unzufriedenheitsfaktoren wurden zu wenig Personal (78,7 Prozent), die Aufstiegsmöglichkeiten (58,1 Prozent) und fehlende Wertschätzung (46,4 Prozent) genannt. „Mit unseren Sicherheitspaketen werden wir dafür sorgen, dass alle Polizeibeschäftigten Verstärkung bekommen. Unser Hebungsprogramm aus dem aktuellen Haushalt wird rund 400 weitere Beförderungen für die Polizei bringen“, sicherte der Innenminister zu. „Ich kann aber gut verstehen, dass die Kolleginnen und Kollegen die personelle Entlastung lieber heute als morgen wollen. Wir stellen mit unseren Sicherheitspaketen insgesamt rund 2.000 zusätzliche Polizeivollzugsbeamte ein. Auch die Wachpolizei und die Verwaltungsmitarbeiter kriegen mehr Personal“, so Peter Beuth. „Dass Kollegialität der größte Zufriedenheitsfaktor ist, unterstreicht, dass unsere Polizeibeschäftigten füreinander da sind und sich gegenseitig unterstützen“, ergänzte Udo Münch. Eine „überzogene Abschottung oder Kameradschaft“ der Polizei nach außen haben rund 90 Prozent der Befragten bisher nicht wahrgenommen.

Sieben von zehn Befragten wurden schon Opfer von Gewalt

Teil des Fragebogens waren auch Alltagserfahrungen. In dem Zusammenhang wollten die Autoren der Studie auch immer wissen, wie sehr die einzelnen Vorkommnisse den Einzelnen belasten. Am stärksten belastet die Befragten die Überbringung von Todesnachrichten: 58,5 Prozent wählten diese Situation aus. Aber auch tödliche Verkehrsunfälle und die Unterstellung von Fremdenfeindlichkeit bzw. Rassismus nannten jeweils rund 44 Prozent der Teilnehmer als besonders belastende Situationen. Fast jeder zweite Befragte gab an, zumindest einmal Opfer einer solchen verbalen Attacke geworden zu sein. Angriffe von Bürgern auf Polizeibeschäftigte hinterlassen bei den Schutzleuten nicht nur körperliche Spuren, wie die Ergebnisse zeigen. „Mehr als 70 Prozent der befragten Polizeibeschäftigten wurden bereits von Bürgern angegriffen. Jeder zweite wurde bereits mehr als zweimal Opfer von Übergriffen. Fast 87 Prozent der Schutzpolizisten wurden mindestens einmal angegriffen. Beleidigt wurde nahezu jeder uniformierte Kollege schon einmal: 97 Prozent waren betroffen. Diese Zahlen machen betroffen, sind für uns aber leider keine Überraschung, weil sie die Daten der Polizeilichen Kriminalstatistik bestätigen. Umso mehr zeigt die Studie, wie wichtig es ist, dass unsere Gesellschaft ihrer Polizei zeigt, dass wir sie brauchen und wertschätzen. In jeder Uniform steckt ein Mensch, der seinen Job macht und dafür den Respekt und die Anerkennung seiner Mitmenschen verdient“, sagte Peter Beuth.

Solidaritätskampagne für Einsatzkräfte wird ausgeweitet

Dabei unterstrich der Innenminister seine Forderung nach einer Mindeststrafe von sechs Monaten bei Angriffen auf Polizeivollzugbeamte nochmals eindringlich. Der Innenminister und der Landespolizeipräsident kündigten eine Ausweitung der hessenweiten „Schutzschleifenkampagne“ an. Seit den Übergriffen auf Einsatzkräfte während der Eröffnung der neuen Zentrale der Europäischen Zentralbank steht die dreifarbige Schleife als Symbol für Solidarität mit den Frauen und Männern der Polizei, der Feuerwehren und Rettungsdienste. Rund 45 Prozent der von Gewalt durch Bürger betroffenen Kolleginnen und Kollegen gaben ab, dass diese Erlebnisse sie „stark“ oder „sehr stark“ belaste. Von Bürgern beleidigt wurden mehr als 85 Prozent der Befragten. Etwa jeder Vierte bewertete die damit verbundene Belastung mit mindestens „stark“. Gewaltsame sexuelle Übergriffe von Bürgern auf Polizeibeschäftigte hatten drei Prozent der Befragten bereits erlebt, während rund ein Viertel sich schon mehr als zweimal sexistische Äußerungen anhören musste. Besonders belastend für den Arbeitsalltag der befragten Polizeibeschäftigten ist das Thema Tod. Rund 59 Prozent wählten das „Überbringen von Todesnachrichten“ als eine solche Situation aus. Tödliche Verkehrsunfälle und die Unterstellung von Rassismus oder Fremdenfeindlichkeit bei polizeilichen Maßnahmen nannten jeweils vier von zehn befragten Polizeibeschäftigten als ebenfalls schwer zu verarbeitende Erlebnisse.

Auch innerhalb der Polizei werden Beschäftigte Opfer von Gewalt

Fast 70 Prozent der Polizeibeschäftigten gaben an, nie schwerwiegendes Verhalten von Kollegen beobachtet zu haben, während rund 30 Prozent zumindest einmal ein solches miterlebt haben. Wie in jeder Behörde mit vielen Tausenden Mitarbeitern sind auch bei der hessischen Polizei Fälle von Mobbing oder Sexismus feststellbar. Fast 40 Prozent der Befragten gaben an, zumindest einmal von Kollegen ausgegrenzt, gemobbt oder diskriminiert worden zu sein. Mehr als 60 Prozent der Betroffenen fühlten sich dadurch zumindest stark belastet. Etwas mehr als 20 Prozent der Befragten gaben an, einmal oder öfter Adressat einer sexistischen Äußerung geworden zu sein, was wiederum rund 20 Prozent der Betroffenen zumindest stark belastete. Ähnlich verhält es sich bei rassistischen Äußerungen: Rund 18 Prozent hörten eine solche Aussage mindestens einmal, wovon sich rund 30 Prozent der Betroffenen mindestens stark belastet fühlten.

Opfer sexueller Übergriffe wurden etwa vier von 100 Befragten, wovon etwa die Hälfte sich stark oder sehr stark belastet sah. Körperliche Gewalt durch Kollegen erfuhren zwar mehr als 93 Prozent der Befragten nie, allerdings fühlten sich ein Drittel der tatsächlich Betroffenen durch diese Erlebnisse stark oder sehr stark belastet. „Sexuelle Übergriffe oder Gewalt gegen die eigenen Kollegen dürfen in der hessischen Polizei keinen Platz haben. Die Ergebnisse der Studie bedürfen insbesondere hier einer tieferen Analyse. In Abstimmung mit dem wissenschaftlichen Beirat werden wir die Ergebnisse vertiefend analysieren und zudem eine Arbeitsgruppe mit Vertretern aller Polizeipräsidien, dem Ansprechpartner der Polizei sowie des Hauptpersonalrats einrichten, die aus den weiteren Erkenntnissen der Befragung Handlungsempfehlungen ableiten werden“, erklärte der Innenminister. Der Landespolizeipräsident erläuterte, dass es sich bei den Fällen von Gewalt und Ausgrenzung um Zeiträume von zum Teil 40 Jahren handeln könne. „Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass jeder einzelne Fall einer zu viel ist und nicht geduldet werden kann“, sagte Udo Münch.

Der Innenminister und der Landespolizeipräsident erklärten, dass die bestehenden Hilfestellen innerhalb der Polizei weiter gestärkt würden. Dazu gehören der Zentrale Polizeipsychologische Dienst, die Personalberatungsstellen in den Behörden und die nebenamtlichen Sozialen Ansprechpartnerinnen und -partner. „Wir werden aber auch weitere Angebote für die Beschäftigten entwickeln. Als Sofortmaßnahme werden wir dem Ansprechpartner der Polizei eine weibliche Kollegin zu Seite stellen. Zudem prüfen wir – zusätzlich zum Angebot des Zentralen Polizeipsychologischen Diensts – eine weitere 24-Stunden-Hotline zur psychosozialen Unterstützung der Polizeibeschäftigten einzurichten“, so Peter Beuth und Udo Münch. Der Innenminister und der Landespolizeipräsident bekräftigten, dass die hessische Polizeistudie künftig regelmäßig wiederholt werden solle. Zunächst müsse aber die umfassende Analyse der Umfrage erfolgen. Ziel aller Beteiligten sei es, den Kolleginnen und Kollegen die Arbeit bei der Polizei zu erleichtern sowie immer wieder ein umfassendes und selbstkritisches Bild auf die eigene Organisation zu erhalten und daraus konkrete Handlungsempfehlungen für die Zukunft abzuleiten. +++