Alte Knochen im neuen Licht – Wie die Radiologie die Archäologie bereichert

Dieses Skelett wurde bei den Grabungsarbeiten 2022 an der Michaelskirche gefunden. Es ist deutlich zu erkennen, dass der Verstorbene nicht gerade in das Grab gelegt werden konnte, da eine der Hüften eine Fehlstellung hat.

Ein Mädchen, das gar kein Mädchen ist, die Krankheiten französischer Soldaten und ein Mönch mit höllischen Schmerzen: Wie die Radiologie Licht ins Dunkel der Archäologie bringen kann, das wurde nun bei einem spannenden Vortrag des Fuldaer Geschichtsvereins deutlich. Thema waren Untersuchungen an Knochenfunden bei Ausgrabungen in der Region.

Immer wieder mussten Stühle in den Saal des Kanzlerpalais getragen werden, so gut besucht war die jüngste Veranstaltung des Fuldaer Geschichtsvereins. „Alles rund um das Thema Archäologie trifft in Fulda auf reges Interesse“, staunte der Vorsitzende Gerhard Möller ob des großen Andrangs. Der Verein hatte zu einer Premiere geladen: Denn dass mit Milena Wingenfeld und Dr. Michael Fokko Zilles eine Archäologin und ein Humanmediziner gleichzeitig auf der Bühne stehen, das hat es in der langen Historie des Geschichtsvereins wohl noch nie gegeben. Die beiden ergänzten sich mit ihrer anschaulichen und launigen Präsentation „Alte Knochen im neuen Licht“ perfekt.

Das „Mädchen von Molzbach“ wurde in der Praxis im Münsterfeld untersucht, hinten rechts ist Dr. Michael Fokko Zilles zu sehen. Fotos: Milena Wingenfeld

Der Radiologe Zilles war vor zwei Jahren auf die Stadt- und Kreisarchäologin Wingenfeld zugekommen mit dem Vorschlag, Artefakte von Ausgrabungen mithilfe der Gerätschaften in seiner Praxis, die er gemeinsam mit Robert Hüttinger im Münsterfeld betreibt, zu untersuchen. „Wir können die Funde mit Röntgenstrahlen untersuchen, ohne sie zu beschädigen“, erläuterte der Mediziner den Vorteil dieser Methode.

Die ersten Versuche mit Holzfunden von den Grabungen an der Langebrückenstraße („L14“) waren allerdings wenig erfolgreich. „Die Hölzer waren zu nass, da sie jahrhundertelang in einem Altarm der Fulda gelegen hatten“, erklärte Wingenfeld. Der nächste Versuch brachte da schon mehr ein: Bei Knochen aus den Gräbern vom Schulzenberg wurde herausgefunden, dass einer der Bestatteten unter einer Hüftdysplasie litt. „Das hat zwei Erkenntnisse gebracht: Erstens sind solche Krankheiten keine moderne Erscheinung, sondern kamen schon vor 5000 Jahren vor, und zweitens war diese Person derart eingeschränkt, dass sie nicht zur Jagd oder zum Kampf eingesetzt werden konnte. Für sie mussten neue Aufgaben gefunden werden, zum Beispiel Kinderhüten oder Essen zubereiten“, sagte Zilles. Letztlich habe sich dieser Mensch nicht allein versorgen können und besondere Aufmerksamkeit benötigt, „also gab es auch in diesen archaischen Gesellschaften so etwas wie Pflege“.

Eine kleine Sensation kam zutage, als die Knochen des berühmten „Mädchen von Molzbach“ in der radiologischen Praxis untersucht wurden. Die Knochen waren 1931 bei Molzbach gefunden worden und stammen aus der Bronzezeit. Der Fundort gilt als reichstes Mädchengrab in Hessen. „Nur handelt es sich gar nicht um ein Mädchen“, führte Zilles aus. Anhand der Ausbildung der Weisheitszähne könne man genau nachweisen, wie alt die Person bei ihrem Tod war: 21,8 Jahre. „Das ‚Mädchen von Molzbach‘ ist also eher eine junge Frau. Wir sind die ersten, die das erkannt haben“, betonte der Mediziner. Wingenfeld fügte an: „Die früheren Theorien, die von einem Alter zwischen 12 und 15 Jahren ausgehen, sind damit widerlegt.“

Weitere Untersuchungsobjekte waren die Knochen, die bei der Umgestaltung des Parkplatzes Franzosenwäldchen 2018 entdeckt worden waren. Hierbei handelt es sich wahrscheinlich um französische Soldaten, die bei ihrem Rückzug nach der Niederlage von Napoleons Grande Armée 1813 auch durch Fulda zogen. Fehlende oder kaputte Zähne deuten zum Beispiel auf eine Mangelernährung hin. Wenn die Vorderreihe der Schneidezähne fehlt, könnte dies ein Indiz dafür sein, dass der Soldat häufig auf Papierpatronen für sein Gewehr beißen musste. Die Franzosen brachten auch Krankheiten in die Stadt, etwa Syphilis, was sich heute noch anhand der Knochen nachweisen lasse.

Auch die jüngsten Grabungen waren Thema – die zwei gefundenen Skelette an der Michaelskirche, die bei der Umgestaltung des Vorplatzes vergangenes Jahr zutage gefördert worden waren. „Dass dort Menschen begraben worden sind, war keine Überraschung, schließlich hat sich an dieser Stelle der erste christliche Friedhof Fuldas befunden“, sagte Wingenfeld. Sie geht davon aus, dass es sich bei den Funden um Mönche des Klosters Fulda gehandelt hat, genau könne man das nicht sagen. Ebensowenig stehe fest, aus welcher Zeit die Skelette stammen. Dies werde derzeit noch durch die Radiokarbonmethode ermittelt. Was die radiologische Untersuchung aber ergeben hat: Einer der Mönche ist seltsam beerdigt, schräg in das Grab gelegt worden. Der Grund dafür war eine Fehlstellung des Beines, wie Zilles erklärte: Möglicherweise habe er sich die Hüfte gebrochen, die dann schlecht verheilte. „Das Bein konnte er wahrscheinlich nicht mehr gerade halten“, bilanzierte der Radiologe. „Diese Person muss höllische Schmerzen gehabt haben.“ +++ pm