Albträume, Verlustängste, Traumata: Kinder der Stasi-Häftlinge leiden bis heute

Karl-Heinz Bomberg erzählt und singt auf Point Alpha

Zu Beginn führte Benedikt Stock kompakt ins Thema ein. Fotos: privat

Über 250.000 Menschen waren aus politischen Gründen in der DDR inhaftiert. Viele leiden noch immer an Spätfolgen ihrer Hafterfahrungen. Direkt und indirekt waren und sind auch ihre Kinder von der Inhaftierung und deren Folgen betroffen. Unter der Überschrift „Eltern-Kinder-Stasihaft. Albträume und Traumata“ ging die Point Alpha Stiftung gestern mit einem Film, einer Gesprächsrunde und Liedern der Frage nach, wie die Betroffenen mit den Traumata der Eltern umgehen. Ein Thema, das dem Publikum unter die Haut ging.

Thomas Michael ist dreizehn Jahre alt, als seine Eltern verhaftet werden. Auch er wird abgeholt – direkt aus dem Klassenzimmer – und kommt ohne Angabe von Gründen in ein Kinderheim. Später kann er bei einem Onkel bleiben. Nach elf Monaten werden die Eltern von der Bundesrepublik freigekauft und dürfen Thomas schließlich nachholen. Ein Trauma, das sich in dem Musiker festgesetzt hat und sich seiner Psyche immer wieder bemächtigt. Manchmal beispielsweise, wenn er auf der Bühne stehe und die Trompete ansetze, sei er völlig erstarrt und geschockt, berichtet er im Dokumentarfilm „Eltern-Kinder-Stasihaft. Albträume und Traumata“. Darin gehen die Autoren Jürgen Haase und Angela Henkel in Interviews mit Betroffenen der Frage nach, was die Stasi-Haft der Eltern mit den Kindern gemacht hat, wie die Erlebnisse und Erfahrungen sich sogar auf die Kinder übertragen haben und wie sie heute noch nachwirken.

Als Karl-Heinz Bomberg 1984 verhaftet wurde, war sein Sohn Hagen gerade zweieinhalb Jahre alt. Für den Vater, dessen Frau und Kind zuhause saßen und um ihn bangten, war es eine traumatische Erfahrung. Für ihn sei es „die dunkelste Vorstellung“ gewesen, dass auch seine Gattin verhaftet werden könnte und dass seine Kinder in einem Heim untergebracht würden, erinnert sich der Arzt und Liedermacher im Haus auf der Grenze. Selbstzweifel krochen in ihm hoch: War er zu weit gegangen mit seinem freiheitlichen Engagement? Bei seinem Sohn machten sich die Probleme schon bald bemerkbar. Denn die Erzählungen in der Familie hinterließen tiefe Furchen in seiner Psyche, vor allem eine ausgeprägte Verlustangst. „Ich hatte immer wieder Panik, dass die Eltern verschwinden“, sagt er im Film.

Verlustängste, Essstörungen, Schlaflosigkeit, Träume, Angst alleine zu sein, Erschöpfung – Körper, Geist und Seele reagieren mit den unterschiedlichsten Symptomen. Im Gespräch mit dem Film-Produzenten und Regisseur Prof. Jürgen Haase erzählt Bomberg von der langwierigen Auseinandersetzung mit der schrecklichen Vergangenheit und erklärt seinen persönlichen Prozess der Aufarbeitung. Ausführlich beantwortet der 66-Jährige Fragen aus dem Publikum, auch zu Wolfgang Schnur seinem damaligen Verteidiger, der als Anwalt der DDR-Oppositionellen und Wendepolitiker nahezu glorifiziert und schließlich als skrupelloser Stasi-Spitzel enttarnt wird.

„Man muss einen Weg finden, die Dinge richtig einzuordnen, zu bewerten und wahrhaftig zu sein“, berichtet Bomberg von seiner therapeutischen Arbeit als Psychoanalytiker mit Menschen, die Ähnliches erfahren haben. Die Belastungen seien linderbar und Kommunikation dabei unverzichtbare Basis. „Zur Therapie selbst gehört auch das Leben“, meint der Berliner. Bei ihm hätte zum Beispiel Musik zur Heilung beigetragen. Einige seiner Kompositionen bringt er auf Point Alpha mit der Gitarre zu Gehör, begleitet von Erika Kunz am Keyboard, die zudem mit einem Gedicht aus ihrem Lyrikband zum Nachdenken anregt.

In seiner Begrüßungsansprache bedankte sich Benedikt Stock, Geschäftsführenden Vorstand der Point Alpha Stiftung, bei den Gästen und Referenten sowie der Bundesstiftung Aufarbeitung der SED-Diktatur und dem Wilhelm-Fraenger-Institut für die Kooperation. +++ pm