Von der „Hilfskraft“ zur Stütze der Krankenhäuser

Krankenpflegeschule des Vogelsbergkreises feiert 60-jähriges Jubiläum

Landrat Manfred Görig

Alsfeld. Gretel und Karin saßen einträchtig in der vierten Reihe, lauschten andächtig, erinnerten sich zurück an ihre Zeit, als sie ihre Ausbildung in der Krankenpflegeschule Alsfeld begannen. 60 Jahre ist es her. Zum Jubiläum der Schule haben sich die beiden alten Kolleginnen wiedergetroffen und entdeckten sich auf ausgestellten Bildern, die von einst zeugen. Seit 1956, als Gretel und Karin – heute werden sie Frau Hartmann und Frau Jensen gerufen – mit zwei weiteren jungen Mädchen als erste die neugegründete Schule besuchten, haben über 1100 junge Menschen den Beruf in Alsfeld erlernt. Damals hieß er „Krankenpfleger oder Krankenschwester“, inzwischen wird er als „Gesundheits- und Krankenpfleger/in“ betitelt und – wenn die angestrebte Reform des Pflegeberufgesetzes sich durchsetzt – wird er künftig in „Pflegefachkraft“ umgetauft.

Auf einem 60. Geburtstag erwartet man langatmige Reden, wenig Humor und gutbürgerliches Essen. Ganz anders beim Jubiläum der Krankenpflegeschule des Vogelsbergkreises. Geistreich und prägnant fassten sich die vielen Redner kurz und haben den-noch mit ihren Worten bleibenden Eindruck hinterlassen, über die beim anschließenden Finger-Food-Buffet noch ausführlich debattiert wurde. In ihren Grußworten gingen Schulleiterin Christiane Schwind, Landrat Manfred Görig und Dr. Christof Erdmann als Verwaltungsdirektor des Eichhof-Krankenhauses Lauterbach auf die Entwicklung der Schule ein. Nicht ohne Stolz wies Görig darauf hin, dass die Krankenpflegeschule der größte Ausbildungsbetrieb des Kreises sei, dem er seine Unterstützung weiterhin zusichere. „Ich bin mir bewusst, welche Herausforderungen ihr Beruf mit sich bringt. Sie sind die Stützen der Krankenhäuser, ohne Sie würde dort nichts funktionieren“, schätze der Landrat die Arbeit der anwesenden Ehemaligen sowie der in Ausbildung befindlichen Gesundheits- und Krankenpfleger/innen wert, viele ihm nachfolgende Redner bekräftigten dies. Den Schritt, vor 40 Jahren die Krankenpflegeschulen von Alsfeld und Lauterbach in einer kreiseigenen Schule zusammenzulegen, nannte Görig als „Kristallisationspunkt der Zusammenarbeit“ zwischen Alsfeld und Lauterbach. Es sei eine wichtige, weitreichende und gute Entscheidung gewesen. Allerdings: „Der Pflegeberuf ändert sich, auch die Politik sieht das mit großen Sorgen. Wohin die Reise geht, ist noch nicht klar…“ – so der Landrat und traf mit diesen Worten auf offenen Ohren. Denn auch Christof Erdmann sowie die Festrednerin Anna Maria Bittorf nahmen sich dem Thema an, der eine kurz, die ändere etwas länger.

Christof Erdmann spielte in seiner Rede auf eine mögliche Fusion beider Krankenhäuser an, sinnierte in einem kurzen Schlenker über einen größeren Verbund und noch engere Zusammenarbeit und kam dann auf das Berufsbild des Gesundheits- und Krankenpflegers zu sprechen, das seiner Meinung nach attraktiver gestaltet werden müsste. „Dem Mangel an Fachkräften steht eine gleichzeitig immer älter werdende Bevölkerung gegenüber, mit multimorbiden Menschen“, verdeutlich Erdmann die Situation. „Die Ausbildung bekommt dadurch einen höheren Stellenwert.“ Allerdings müsste der Beruf auch mehr gesellschaftliche Anerkennung erhalten, die Entlohnung entsprechend sein und die Belastungen verringert werden. Ähnlich sah es auch die Festrednerin Anna Maria Bittorf, selbst jahrelang als Krankenschwester tätig, inzwischen Diplompädagogin und Lehrerin für Pflegeberufe sowie Vor-sitzende der Prüfungskommission des Regierungspräsidiums Darmstadt, das die Staatsexamina der Schülerinnen und Schüler der Alsfelder Krankenpflegeschule seit Jahren abnimmt. Bittorfs Vortrag unter dem Titel „Stand der professionellen Pflege“ war ein Rückblick in ihre eigene berufliche Biografie. Dabei ging sie nicht nur auf Ausbildungsinhalte, Qualifikationen und Rahmenbedingungen in den letzten Jahrzehnten ein, sondern betonte auch die zunehmende Sozialkompetenz der früheren „Hilfsberufe“, die heute notwendiger denn je sei. „Pflege ist Beziehungsarbeit“, betonte sie. „Im Krankenhaus ist sie viel-leicht sehr kurz, in anderen Einrichtungen dafür umso länger.“

In ihren Ausführungen beleuchtete Bittorf auch die geplante Reform des Pflegeberufgesetzes – durchaus kritisch. Sicherlich müsse man die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen berücksichtigen. Wettbewerb und Marktorientierungen hätten Einzug in den Pflegeberuf gehalten, der demographische Wandel erfordere Maßnahmen, sogenannte „Risikogruppen“ – wie Schlaganfallpatienten und Schwerstverletzte nach Unfällen – überlebten, seien aber nicht gesund und auch familiäre Strukturen hätten sich verändert. Zudem hätten die Pflegeempfänger heute einen höheren Anspruch, würden vieles hin-terfragen, wünschten individuelle Behandlungen und möchten sich möglichst lange ihre Selbstständigkeit bewahren. Ob dem aber mit einem Bachelor-Studium in der Pflege begegnet werden kann und ob die Studenten nach ihrem akademischen Abschluss für die Pflege am Bett befähigt seien, wage sie zu bezweifeln.

Anerkennende Worte für den Berufsstand des „Gesundheits- und Krankenpfleger/in“ fanden auch Alsfelds Bürgermeister Stephan Paule, Andreas Goldbach von der Alten- und Pflegeakademie des Vogelbergkreises sowie Chefarzt Dr. Steffen Lancee vom Kreiskrankenhaus Alsfeld als Vertreter der Ärzteschaft. Nachdem Paule den in der Pflege tätigen Mitarbeitern des Alsfelder Kreiskrankenhauses verdient ein gutes Image konstatierte, zitierte Goldbach Hermann Hesse, mit dem Hinweis, „wenn wir gute Vorbilder sind, schaffen wir das, was kommt!“ Er sehe ganz positiv in die Zukunft, auch wenn er als stellvertretender Leiter der Alten- und Pflegeakademie des Vogelsbergkreises auch unmittelbar von der geplanten Reform betroffen ist. Denn die Reform sieht unter anderem vor, die Ausbildung von Alten- und Krankenpflege in einer Grundausbildung zu vereinen, um dann spätere Schwerpunktsetzungen zu ermöglichen. „Weiß man dann von allem ein bisschen, aber gar nichts mehr richtig?“, stellte Bittorf diesbezüglich provokativ die Frage in den Raum. Ähnlich wie Goldbach blickte auch Steffen Lancee optimistisch in die Zukunft. Als „repräsentativer Vertreter einer kleinen, aber vielleicht nicht ganz unwichtigen Gruppe“ er-griff er als Arzt das Wort, vor allem um das gute Arbeitsklima und die hervorragende Zusammenarbeit zwischen dem Alsfelder Pflegepersonal und den Ärzten in wertschät-zenden Fokus zu stellen. „Die Grundausbildung eines jungen Doktors liegt in der Hand der Pflege“, stellte er fest und erinnert sich an das Legen seiner ersten Branüle (Nadel für Infusionen), das ihm eine Krankschwester zeigen musste.

Sassan Pur, als Geschäftsführer des Kreiskrankenhauses Alsfeld und damit als weiterer Ausbildungsträger der Krankenpflegeschule, sieht ebenfalls positiv der Zukunft entgegen. „Liebe Krankenpflegeschule, als du geboren wurdest, gab es noch keine Europameisterschaften. Genauso wenig wie Facebook, Twitter und Farb-TV. Ich frage mich, was haben die die ganze Zeit gemacht?!“ Als die Schule gegründet wurde, seien die jungen Erwachsenen konservativ und autoritär erzogen worden. „Die haben gemacht, was man ihnen gesagt hat“. Seine Generation sei egoistisch gewesen, habe viel gefordert, viel genommen und vieles erwartet. „Sie, liebe Schülerinnen und Schüler, sind viel kreativer, teamfähiger und lösungsorientierter als wir damals – von ihnen wird maximale Sozialkompetenz und immer gute Laune verlangt.“ Es sei früher nicht besser gewesen, aber anders. Der bekennende Fußballfan schloss den offiziellen Teil der Jubiläumsfeier mit den Worten: „Ob es dich, liebe Krankenpflegeschule, in 60 Jahren so noch gibt, weiß ich nicht, aber Fußballweltmeister werden wir in der Zeit bestimmt noch einmal“…und übergab die Deutschlandfahne und damit das „Staffelholz“ zurück an Christiane Schwind. +++ fuldainfo | kiri