Verteidigungsexperte Ischinger warnt vor „Atommacht Deutschland“

Deutschland als Totengräber des internationalen Nichtverbreitungsregimes?

Berlin. Der Vorsitzende der Münchener Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger, hat den Bundestag aufgefordert, sich verstärkt um Verteidigungspolitik zu kümmern und mehr Geld in die Bundeswehr zu investieren. Es brauche eine „entschlossene Politik, unsere konventionellen militärischen Fähigkeiten weiterzuentwickeln und mit den notwendigen Ressourcen rasch auf Vordermann zu bringen“, schreibt Ischinger in einem Gastbeitrag für die „Welt“. „Nur so werden wir in Washington als Nato-Alliierte und in Moskau als Verhandlungspartner ernst genommen werden.“

Das setze auch voraus, dass „deutsche und europäische Verteidigungspolitik im Bundestag in Berlin endlich nicht mehr stiefmütterlich behandelt, sondern zur Chefsache erklärt wird“, so der Botschafter. So werde das Parlament auch seiner Verantwortung für die Bundeswehr gerecht. Ischinger wandte sich gleichzeitig strikt gegen Überlegungen, Deutschland angesichts der schwindenden sicherheitspolitischen Zuverlässigkeit der USA unter Präsident Donald Trump zur Atommacht zu entwickeln. „Kurz- und mittelfristig, also mindestens für die nächsten zehn bis 15 Jahre, bleibt Deutschland abhängig vom US-Nuklearschirm, ohne realistische Alternativen. Punkt“, so Ischinger. Allein die Eröffnung einer Debatte über eine deutsche Nuklearbewaffnung wäre ein „verhängnisvoller Zug“. Er reagierte damit auf einen entsprechenden Vorstoß des Politikwissenschaftlers Christan Hacke in der „Welt am Sonntag“. Eine Atommacht Deutschland sei schon durch völkerrechtliche Verträge ausgeschlossen, argumentierte Ischinger: „Wenn Deutschland jetzt aus dem Status einer Nichtnuklearmacht ausbrechen würde, was sollte dann zum Beispiel die Türkei oder Polen hindern, diesem Schritt zu folgen? Deutschland als Totengräber des internationalen Nichtverbreitungsregimes? Wer kann das wollen?“

Weiter führe ein solcher deutscher Schritt zwangsläufig zu militärischen Gegenmaßnahmen Russlands. Schließlich sei eine nukleare Bewaffnung Deutschlands auch innenpolitisch nicht durchsetzbar. Langfristig denkbar seien allerdings Überlegungen hin „zu einer nuklear gestützten europäischen Verteidigungsunion, die durchaus sinnvoll erscheinen“, schreibt Ischinger. Voraussetzung dafür wäre die Bereitschaft Frankreichs, „künftig eine erweiterte nukleare Rolle“ im Sinne einer erweiterten Abschreckung zu übernehmen. „Dies würde eine grundsätzliche Neuorientierung, Erweiterung und Europäisierung der französischen Nuklearstrategie erfordern, die sich vermutlich nur mit umfassenden Fortschritten und politischen Grundsatzentscheidungen in Richtung einer europäischen Verteidigungsunion begründen ließe“, so Ischinger. Deutschland könnte dann womöglich finanzielle Beiträge zu den französischen Aufwendungen leisten. Aus heutiger Sicht sei das aber noch „reine Zukunftsmusik“. +++