Versammlungsrecht: Vorstoß stößt parteiübergreifend auf Ablehnung

Jusos Fulda beobachten die Entwicklungen mit Sorge

Trotz der Eskalation der Corona-Demonstrationen am vergangenen Samstag wenden sich Politiker parteiübergreifend gegen eine Änderung des Versammlungsrechts. „Ich glaube, dass der bestehende rechtliche Rahmen vollkommen ausreicht, um die hohen Rechtsgüter der Gesundheit und der Versammlungsfreiheit in einen guten Ausgleich zu bringen – auch in Zeiten einer Pandemie“, sagte Grünen-Fraktionsvize Konstantin von Notz der „Welt“. „Ich rate sehr davon ab, jetzt eine Diskussion um die gesetzliche Einschränkung der Versammlungsfreiheit anzufangen.“ Der innenpolitische Sprecher der FDP-Bundestagsfraktion, Konstantin Kuhle, sagte: „Nach der Demonstration in Berlin, bei der Abstands- und Hygieneregeln verletzt wurden und Rechtsradikale bis auf die Reichstagstreppe gelangt sind, sollte man sich mit Forderungen nach einer Änderung des Versammlungsrechts zurückhalten.

Das Durchbrechen der Absperrung vor dem Reichstagsgebäude ist nicht auf eine rechtliche Lücke zurückzuführen, sondern liegt an einem mangelhaften Sicherheitskonzept.“ Der CDU-Innenpolitiker Armin Schuster hatte Änderungen des Versammlungsrechts gefordert. „Die Gesetze sind in Anbetracht der Pandemie-Lage nicht mehr präzise und zeitgemäß genug. Es muss möglich sein, eine Demonstration verbieten zu können, wenn eine Versammlung offensichtlich nur dazu dient, mit Ordnungsverstößen wie dem Nichteinhalten der Corona-Regeln zu provozieren“, sagte er. Linke-Innenpolitikerin Ulla Jelpke hält das Demonstrationsrecht in seiner jetzigen Form ohnehin schon für zu eng gefasst. „Wenn der Kollege Schuster von Präzisierung des Demonstrationsrechts spricht, dann zielt er damit wohl auf eine weitere Einschränkung dieses Grundrechts ab. Dafür sehe ich absolut keinen Bedarf – im Gegenteil.“ Auch der parlamentarische Staatssekretär im Innenministerium, Günter Krings (CDU), widerspricht Schuster: „Wenn schon abzusehen ist, dass Abstands- und Hygieneregeln missachtet werden und Polizisten sich bei eine r Demo-Auflösung großen Gefahren aussetzen, dann geht schon nach heutigem Recht ein vorheriges Verbot.“ Aus Krings Sicht wurde das Verbot in Berlin nicht gut genug durchargumentiert: „Das muss die Verwaltung natürlich stichhaltig begründen. Die Entscheidungen von zwei Berliner Gerichten alleine rechtfertigen noch keine Grundgesetzänderung.“ Statt das Versammlungsrecht zu ändern, solle vielmehr das Strafrecht verschärft werden, meint der CDU-Politiker. „Was wir jetzt unmittelbar tun können, ist die Wiedereinführung des von Rot/Grün 1999 verwässerten Bannmeilengesetzes, einschließlich des Straftatbestands der Bannkreisverletzung.“ Die Würde des Parlaments gebiete es, dass Aufmärsche von Radikalen auf den Stufen des Reichstages wieder in jedem Falle strafbewehrt seien, unabhängig davon, ob drinnen gerade eine Sitzung stattfinde.

Jusos Fulda beobachten die Entwicklungen mit Sorge

Als politische Organisation der Zivilgesellschaft beobachten wir die Entwicklungen auf Hygienedemos und das neue Selbstverständnis vieler Maßnahmenkritiker mit wachsender Sorge. Wir richten uns mit dieser Stellungnahme an all jene Maßnahmenkritiker, welche tatsächlich unter den wirtschaftlichen oder persönlichen Folgen der Schutzmaßnahmen leiden müssen, also all jene Menschen, welche ihre Arbeitsstelle verloren haben, oder Gefahr laufen sie zu verlieren, welche kranke und sterbende Angehörige nicht in Krankenhäusern besuchen können, welche ihre Lokale schließen und um ihre Existenz bangen oder unter psychischen Problemen leiden müssen. Wir sind davon überzeugt, dass es in einer demokratischen Gesellschaft Platz für sachliche Kritik geben muss, Platz welchen im Rahmen einer Demonstration selbstverständlich auch die Straße bieten muss. Das gekippte Demoverbot in Berlin bekräftigte hierbei, dass wir eben nicht in einer undemokratischen Diktatur oder einer neuen DDR leben, sondern in einem demokratisch verfassten Land mit funktionierender Gewaltenteilung, dessen Organe unsere Verfassung sehr ernst nehmen. Bedauerlicherweise, haben sich von Beginn der Hygienedemos an, politisch fragwürdige Teilnehmer unter die Demonstranten gemischt und leider auch Führungsrollen im Protest eingenommen. So müssen sich Demonstranten mit legitimem Anliegen darüber im Klaren sein, dass diese Protestbewegung durchsetzt ist von Verschwörungstheoretikern, welche nicht selten aus dem rechtsextremen und antisemitischen Milieu stammen und die Existenz oder die Legitimität der Bundesrepublik in Frage stellen, oder sie direkt abschaffen wollen. Durchsetzt ist von offen rechtsextremen Organisationen wie dem III. Weg, der Identitären Bewegung, der NPD und der AfD, welche nicht nur allesamt zur Teilnahme an den Demonstrationen der vergangenen Monate, sowie auch der Demo am 29.08.2020 in Berlin aufgerufen haben, sondern sich an deren Spitze gestellt und sie mit organisiert haben.

So waren auch beim sogenannten „Sturm auf den Reichstag“ – welchen Neo-Nazis bereits in ihren Netzwerken als vollen Erfolg deklarieren – Vertreter der AfD aus Brandenburg in der ersten Reihe
zwischen Kaiserreichsflaggen zu finden. Eine Bewegung steht immer in der Pflicht sich für ihre fragwürdigsten Mitglieder erklären zu müssen. Somit bitten auch wir um eine Erklärung für die Haltung der Demonstranten – welche das Grundgesetz schützen und die Demokratie erhalten wollen – für den bereitwilligen Schulterschluss mit bekennenden Rechtsextremisten. Zugegebenermaßen gibt es keinen Mangel an Gründen für berechtigten Protest, nicht nur gegen die einzelne Ausgestaltung der Maßnahmen, sondern auch für deren soziale Konsequenzen. Fest steht, es gibt eine Pandemie und fest steht auch, dass es zum größten Teil den Maßnahmen und unserer Infrastruktur zu verdanken ist, dass uns nicht das gleiche Schicksal wie die USA oder Italien ereilt hat. Fest steht aber auch, dass die sozialen und wirtschaftlichen Konsequenzen die am härtesten treffen, welche bereits vor der Pandemie Gefahr liefen wirtschaftlich und auch gesellschaftlich abzurutschen. Wir möchten all jenen – welche der Maßnahmenpolitik der Regierung die alleinige Schuld für ihre prekäre Lage und ihre Existenzängste geben – ins Gedächtnis rufen, dass wir schon seit vielen Jahren massive, soziale Schieflagen erleben. Seien es Gehaltsungerechtigkeiten durch Tarifflucht, mangelnder Wohnungsbau und daraus resultierende Mietenexplosionen, seien es eklatante Rückstände bei der Digitalisierung in den Schulen oder die desolate Versorgungssituation in der Pflege und in Krankenhäusern. Die Hygienedemos haben einen großen, blinden Fleck, nämlich die soziale Frage. Und die beantwortet man nicht gemeinsam mit Rechtsextremisten, sondern mit Demokraten.

Corona-Demos: Zentralrat der Juden sieht zunehmenden Antisemitismus

Josef Schuster, Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, warnt nach den Corona-Protesten in Berlin vor zunehmendem Antisemitismus. „Wenn zum Beispiel den Rothschilds die Verantwortung für die Pandemie zugeschoben wird, dann ist das ein Synonym für Juden“, sagte Schuster der „Bild“. „Seit Monaten werden in der Corona-Debatte Verschwörungsmythen mit antisemitischer Grundtendenz bewusst geschürt“, erklärte Schuster. Dafür macht er unter anderem „sehr rechte und rechtsextreme Gruppen“ verantwortlich, die sich unter die Demonstranten gemischt hätten. Über die Teilnehmer der Proteste sagte Schuster, dass sicherlich „nicht alle, die am Samstag in Berlin demonstriert haben, Rassisten oder Antisemiten“ seien. „Aber sie machen sich mit diesen gemein.“ Schuster appelliert an die Menschen, dass sie „wissen müssen, mit wem sie mitlaufen oder wer mit ihnen mitläuft“. Die Menschen müssten wissen, „dass sie die Argumente von Antisemiten indirekt unterstützen, wenn sie sich an solchen Demonstrationen beteiligen.“ Die Bilder von der versuchten Stürmung des Reichstags nannte Schuster „erschreckend und empörend“. „Wenn im Jahr 2020 die Reichsflagge direkt vor dem Eingang des Deutschen Bundestages weht, dann läuft etwas falsch“, sagte Schuster.

Kühnert warnt vor zu viel Aufmerksamkeit für rechte Demonstranten

Nach dem Protest vor dem Reichstag warnt der stellvertretende SPD-Vorsitzende Kevin Kühnert davor, rechtsextremen Demonstranten zu viel Aufmerksamkeit zu schenken. „Wir sollten nicht den gleichen Fehler machen, den wir in der Vergangenheit schon bei Pegida gemacht haben, dass man sich immer nur denen zuwendet, die am lautesten schreien“, sagte Kühnert in der Sendung „Frühstart“ von RTL und n-tv. „Daraus wird dann auch irgendwann ein Vorbild: Wer am meisten auf den Putz haut, der kriegt die politische Aufmerksamkeit und wird ein bisschen bei der Seele gestreichelt. Mit Nazis spielt man nicht.“ Umfragen zeigten, dass etwa 90 Prozent der Bevölkerung die Corona-Maßnahmen unterstützten oder gar für zu gering hielten. Gleichzeitig forderte Kühnert einen härteren Kurs des Staates. „Mit Rechtsextremisten setzt man sich nicht auseinander, indem man mit ihnen einen Stuhlkreis bietet und darüber redet, was ihre Seelenlage gerade so beschäftigt“, so der SPD-Vize  . Die Sicherheitsbehörden müssten sie viel stärker in den Fokus nehmen. Mit Blick auf die Proteste vom Samstag in Berlin sagte Kühnert: „Es sind rechtsradikale Gruppen, die offen proklamieren, einen gesellschaftlichen Umsturz machen zu wollen. Die sagen nicht nur Sturm auf Berlin, sondern sie vollziehen es am Ende auch.“ Kühnert sprach sich dafür aus, das Sicherheitskonzept für den Bundestag zu überdenken. Möglicherweise müsse der Bund die Zuständigkeit vor Ort übernehmen. „Es ist ein offenes Parlament. Das soll es auch vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte sein. Aber es darf natürlich nicht in Naivität ausarten. Der Missbrauch des Reichstagsgebäudes als Kulisse für politische Ideologie verbietet sich – und zwar für alle.“ Zu einem neuen Verbotsversuch für die nächste Corona-Demo in Berlin äußerte sich Kühnert skeptisch. Das Demonstrationsrecht sei eines der höchsten Güter. Es in diesem Fall einzuschränken, berge auch noch eine andere Gefahr: „Gerade wenn Menschen auf die S  traße gehen, die den Eindruck vermitteln wollen, wir wären hier auf halbem Wege in eine Diktatur, gilt natürlich besondere Vorsicht, ihnen dafür nicht die Stichworte zu bieten.“ Der Juso-Vorsitzende regte an, über andere Orte für solche Demonstration nachzudenken – nicht in der beengten Innenstadt, sondern auf großen Freiflächen. +++