Tschentscher beklagt ungerechte Impfstoff-Verteilung

Arzneimittelhersteller erwarten neue Impfstoff-Generation noch 2021

Vor dem Impfgipfel von Bund und Ländern sorgt die Verteilung der Impfstoffe für Unmut. Hamburgs Erster Bürgermeister Peter Tschentscher (SPD) sagte dem „Spiegel“, an sein Land seien mehr als 40.000 Impfdosen zu wenig geliefert worden. „Die Impfstoffverteilung in Deutschland ist ungerecht“, so Tschentscher. „Jede Woche wird die Benachteiligung größer.“ Es müsse jetzt zügig einen Ausgleich geben. Hamburg verweist auf das Impfdashboard des Bundesgesundheitsministeriums (BMG).

Demnach seien bis zum 25. Mai knapp 1,1 Millionen Impfdosen in sein Bundesland geliefert worden. Das seien 44.500 weniger, als das Bundesland gemäß seinem Anteil an der Bevölkerung erhalten sollte. In kein anderes Land sei demnach so wenig Impfstoff geliefert worden wie nach Hamburg. Sollte es keinen Ausgleich durch das BMG geben, könnten im Hamburger Impfzentrum im Juni keine Erstimpfungen mehr erfolgen, warnte Tschentscher. Das Versprechen des Bundes, allen Bürgern bis zum Ende des Sommers ein Impfangebot zu machen, müsse auch für Hamburg gelten. Tschentscher zeigte sich allerdings skeptisch: „Die vom Bund bis Ende Juni avisierte Liefermenge von über 90 Millionen Impfdosen wird voraussichtlich deutlich verfehlt“, sagte er. „Geliefert wurden bisher rund 51 Millionen Dosen.“ Schon jetzt gebe es kaum noch Impftermine, weil es an Impfstoff fehle. „Dennoch werden immer neue Bevölkerungsgruppen zur Impfung aufgerufen und die Priorisierung aufgehoben“, kritisierte der SPD-Politiker. „Viele Menschen hoffen jetzt auf eine schnelle Impfung und werden bitter enttäuscht.“

Lehrerverband sieht Impfbereitschaft in Gefahr

Lehrerverbandspräsident Heinz-Peter Meidinger befürchtet eine niedrigere Impfbereitschaft. „Ich befürchte einen großen Vertrauensverlust bei Lehrern und Schülern, weil Bundesgesundheitsminister Jens Spahn jetzt vorgeprescht ist mit dem Impfversprechen bis Ende August“, sagte er der „Neuen Osnabrücker Zeitung“. Die Ständige Impfkommission (Stiko) bremse aber „deutlich“. Sein Lehrerverband würde sich „natürlich wünschen, dass möglichst schnell alle Kinder und Jugendlichen an Schulen ein Impfangebot bekommen und sich dann auch impfen lassen“. Aber wenn die Stiko sage, dass die Risiken noch zu wenig untersucht wurden, könne und wolle man das als Lehrerverband nicht anzweifeln. „Die unterschiedlichen Signale von Politik und Wissenschaft sind jetzt ein Problem“, sagte Meidinger. Er erwarte, „dass die Politik, bevor sie zeitliche Impffahrpläne für Kinder aufstellt, sich mit den zuständigen Expertengremien abgestimmt hat“. Er habe für das jetzige Vorgehen von Jens Spahn kein Verständnis und befürchte eine große Verunsicherung der Eltern und Kinder, was sich auch langfristig auf die Impfbereitschaft auswirken könne. „Auch wir als Lehrerverband können doch unter diesen Umständen nicht den Schülern vorbehaltlos die Impfung empfehlen“, so Meidinger. Der Deutsche Landkreistag dringt hingegen auf schnelle Schüler-Impfungen, um einen reibungslosen Präsenzunterricht im neuen Schuljahr zu gewährleisten. Es sei richtig, den Schülern ab dem 12. Lebensjahr ein Impfangebot zu unterbreiten, sagte Landkreistagspräsident Reinhard Sager den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Voraussetzung dafür ist, dass genügend Impfstoff vorhanden ist. Bislang reichen die Mengen der Lieferungen hierfür nicht überall aus.“ Je nach Bundesland könnten die Schüler-Impfungen in Schulen, Sporthallen oder in den Impfzentren angeboten werden, schlug der Landrat des Landkreises Ostholstein vor. „Mit einer weitreichenden Impfquote dort ginge auch der reibungslose Unterricht in Präsenz für das neue Schuljahr einher.“ Auch SPD-Chefin Saskia Esken dringt auf ein schnelles Impfangebot für Minderjährige. „Kinder und Jugendliche haben jetzt weit über ein Jahr auf vieles verzichten müssen und leiden besonders unter den Einschränkungen in der Pandemie“, sagte sie den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wenn sichergestellt ist, dass die Impfstoffe ausreichende Wirksamkeit haben und keine schweren Nebenwirkungen auftreten, plädiere ich deshalb dafür, Kindern über 12 Jahren und allen Eltern zügig ein Impfangebot zu machen.“ Zugleich nahm Esken Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) in die Verantwortung, für mehr Impfstoff zu sorgen. „Es kann doch nicht sein, dass wir fünf Monate nach dem Impfstart noch immer keine ausreichende Impfstoffbeschaffung haben“, kritisierte sie. „Der Gesundheitsminister muss jetzt handeln und sicherstellen, dass sehr bald alle geimpft werden können, die das wünschen.“

Frauenärzte wollen Impfempfehlung für Schwangere

Der Chef des Berufsverbands der Frauenärzte, Christian Albrig, will eine Impfempfehlung für Schwangere. „Es wäre zum Schutz der Mütter und ihrer Ungeborenen außerordentlich hilfreich und wünschenswert, wenn beim Impfgipfel eine solche Empfehlung zugunsten der Schwangeren ausgesprochen würde“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Die Ständige Impfkommission habe leider noch keine generelle Empfehlung für die Corona-Impfung für Schwangere ausgesprochen, beklagte der Mediziner. „Es könnten aber – so wie in Sachsen bereits geschehen – andere Länderregierungen oder gar das Bundesgesundheitsministerium entsprechende Beschlüsse fassen“, forderte er. Albrig fügte hinzu: „Die Bereitstellung einer entsprechenden Menge an mRNA-Impfstoff für die frauenärztlichen Praxen, insgesamt etwa je 500.000 Dosen für Erst- und Zweitimpfung, würde das Paket entsprechend abrunden.“

Arzneimittelhersteller erwarten neue Impfstoff-Generation noch 2021

Der Verband der forschenden Arzneimittelhersteller (vfa) geht von einer zweiten Impfstoff-Generation noch 2021 aus. „Mehrere Unternehmen erproben ihre Impfstoffe der nächsten Generation bereits in Studien mit Freiwilligen“, sagte vfa-Präsident Han Steutel der „Rheinischen Post“. „Erste Zulassungen dürften noch in diesem Jahr möglich sein.“ Aber auch längerfristig angelegte Projekte, bei denen der Schutz vor Varianten auf ganz neuartigen Konzepten beruhe, könnten in kommenden Jahren ein wichtiger Beitrag zum Schutz vor weiteren Corona-Ausbrüchen sein. Bereits die Impfstoffe der ersten Generation böten Schutz vor den bislang bekannten SARS-CoV-2-Varianten, „nur nicht immer maximalen“. Deshalb sei es gut abgestimmt, dass sich die deutsche Politik derzeit vor allem auf die Erstimpfungen in der Bevölkerung konzentriere und die EU zur gleichen Zeit schon Impfstoff für anschließende Impfkampagnen vorbestelle, so Steutel. Vom Impfgipfel am Donnerstag erwarte er sich „wichtige Weichenstellungen“ dafür, wie die stetigen Impfstofflieferungen in diesem Sommer vorrangig verwendet werden. Die Impfstoffhersteller hätten in den letzten Wochen durch konsequente Produktionsausweitung ihre Zusage wahr gemacht, die Lieferungen substanziell auszuweiten. „Da sich Produktion nicht auf Fingerschnippen hin erweitern lässt, sieht man hier die Früchte der Aufbauarbeit von Monaten durch die Originalunternehmen und ihre Produktionspartner in Deutschland und ganz Europa. Weitere Firmen dürften in den nächsten Wochen und Monaten ebenfalls in die Serienproduktion eintreten und die Liefermengen nochmals aufstocken.“ +++