Thierse rechnet mit SPD ab

Kühnert: SPD muss sich hinter Esken und Walter-Borjans versammeln

Wolfgang Thierse (SPD)

Der langjährige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse fürchtet unter der neuen SPD-Führung einen Totalabsturz seiner Partei. „Eine Partei, die nicht lernt, eigene Regierungsleistungen auch zu loben, sondern durch ein Klima der Unzufriedenheit, der Verdächtigungen und des Hasses geprägt ist, wird keine Zukunft haben“, sagte Thierse dem „Tagesspiegel“. Da sei es völlig egal, wer an ihrer Spitze stehe. Angesichts der Verwerfungen in der SPD hält Thierse eine CDU/CSU-Minderheitsregierung unter Führung von Kanzlerin Angela Merkel für eine realistische Option.

Denn der Haushalt 2020 sei beschlossen. Merkel werde dann mit der deutschen EU-Ratspräsidentschaft ab Mitte 2020 die „Königin Europas sein und die SPD kann nur noch meckern und mosern“. Die Wahl von Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken werde das ganze Dilemma der SPD und ihre Haltung zur Großen Koalition verschärfen, so Thierse. Die Logik der Personalentscheidung wäre der Ausstieg aus der Koalition , denn beide hätten mit dessen Erwartung den Mitgliederentscheid gewonnen. Sie seien aber innerparteilich dafür wiederum gar nicht legitimiert, da beim Mitgliedervotum über den Eintritt in die Koalition mit rund 70 Prozent die Wahlbeteiligung höher war als nun bei der Entscheidung über den Vorsitz – und mit 66 Prozent sei auch die Zustimmung zur Koalition mit den Unionsparteien höher gewesen als jetzt bei der Vorsitzendenwahl: Esken und Walter-Borjans wurden von rund 53 Prozent gewählt. „Ein Nichtausstieg jetzt beschädigt aber die Glaubwürdigkeit von Esken/Borjans“, so Thierse. Ein Koalitionsausstieg dagegen gefährde wichtige Erfolge der SPD, „vor allem die Grundrente, ein Hauptprojekt der SPD, für das sie lange gekämpft hat“. Wer die Koalition jetzt sprenge, werde bei der nächsten Wahl wohl dafür bestraft: „Sieger wird mit Sicherheit nicht die SPD sein, sondern vor allem die AfD und die Grünen.“

Schäuble äußert sich grundsätzlich skeptisch zur GroKo

Vor dem Parteitag der SPD, der auch über den Fortbestand der Regierung entscheiden könnte, hat sich Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble (CDU) grundsätzlich skeptisch zur Großen Koalition geäußert. „Das ist doch das eigentliche Problem: Die Große Koalition dürfte immer nur eine Notlösung sein“, sagte Schäuble der Wochenzeitung „Die Zeit“. Er fügte hinzu: „2005 ging es wohl nicht anders, 2013 ist sie passiert, und 2017 war sie auch eher aus der Not geboren. Eine immerwährende Große Koalition kann auf Dauer nur schiefgehen.“ Schäuble sagte außerdem, dass Deutschland seine eigenen Versprechen und Klimaziele nicht eingehalten habe, sei „schlimm“. Die Bundesregierung hätte bei ihrem Klimapaket „ein bisschen weiter“ gehen müssen. „Wenn man zu lange versucht, es allen recht zu machen, tendiert das kleinste gemeinsame Vielfache manchmal auch gegen null“, so Schäuble. Der CDU-Politiker äußerte Sympathie für die Klimabewegung, wies jedoch gleichzeitig deren Vorwürfe scharf zurück, die ältere Generation habe der jüngeren die Zukunft gestohlen: „Was wären denn die Jungen ohne die Alten? Die gäb es gar nicht! Die stehen auf den Schultern der Alten. Dass eine junge Generation, die jedenfalls in Europa unter Lebensumständen lebt wie keine zuvor, nun sagt, ihr habt uns unsere Zukunft geklaut, das ist nicht apokalyptisch, sondern albern.“

Kühnert: SPD muss sich hinter Esken und Walter-Borjans versammeln

Juso-Chef Kevin Kühnert hat die SPD dazu aufgefordert, sich hinter den designierten Parteivorsitzenden Saskia Esken und Norbert Walter-Borjans zu versammeln. „Alle haben vor der Wahl beteuert, wir bleiben zusammen, gleich wie das Ergebnis ausfallen wird“, sagte Kühnert der „Rheinischen Post“ mit Blick auf das Ergebnis der Stichwahl. Er denke, dass das von allen ernst gemeint gewesen sei. „Ich habe nicht den Eindruck, dass das künftige Duo den Versuch unternimmt, die Partei zu unterjochen“, sagte Kühnert. „Sie stehen für den genau gegenteiligen Stil.“ Mit Esken und Walter-Borjans habe sich ein Duo durchgesetzt, welches nicht die klassischen Strukturen im politischen Berlin repräsentiere. Das sei eine Herausforderung. „Aber es kann zeitgleich ein ganz erfrischendes Aufbrechen von Strukturen bedeuten“, so Kühnert.

Müntefering sieht mögliche Neuwahlen kritisch

Der ehemalige SPD-Chef Franz Müntefering hat seine Partei vor einem Ausstieg aus der Großen Koalition und damit verbundenen möglichen Neuwahlen gewarnt. „Wenn man in der Regierung ist, kann man mehr tun für die Menschen, die einem wichtig sind, als wenn man nicht drin ist. Möglicherweise wird sich die Ausgangslage für die SPD nach Neuwahlen nicht verbessern“, sagte Müntefering dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Außerdem werde die Partei, die „jetzt erkennbar die Schuld am Scheitern der Koalition auf sich lädt, keinen Ruhm ernten, sondern von den Wählern die Quittung bekommen“. Die Bundestagswahl 2021 sei „gar nicht so weit weg“, so Müntefering weiter. Die SPD könne Forderungen etwa nach einem Investitionsprogramm auch in das nächste Wahlprogramm aufnehmen. +++