Suchen, was uns verbindet: hessisch-russische Beziehungen

Die überarbeitete und ergänzte Fassung der 2007 erstmals erschienenen Monographie „… der Glanz ihrer Kuppeln weist den Weg nach Russland“, in der die hessisch-russischen Beziehungen dokumentiert werden, liegt nun vor. Der Titel nimmt Bezug auf die Russische Kapelle auf der Mathildenhöhe in Darmstadt, die von 1897 bis 1899 für den letzten russischen Zaren Nikolaus II und seine Gattin Alexandra, Prinzessin von Hessen, errichtet wurde. Der Zar wollte mit seiner Frau bei seinen Aufenthalten in Darmstadt eine russisch-orthodoxe Kirche besuchen können.
Die zahlreichen dynastischen Verbindungen zwischen Russland und Hessen sind ebenso in dieser Veröffentlichung thematisiert wie die Auswanderung aus Hessen nach Russland im 18. Jahrhundert.

Ebenso sind die wissenschaftlichen Beziehungen dokumentiert, bspw. seien nur Michail Lomonossov, der als russischer Universalgelehrter mehrere Semester in Marburg studierte und der in Herborn geborene Ernst Fuchs, der von 1823 bis 1827 die Kasaner Universität als Rektor leitete. Damit steht er in einer Reihe deutscher Wissenschaftler, die im 18. und 19. Jahrhundert das russische Universitätswesen mit aufgebaut haben. Und der erste Professor für Rechtswissenschaften an der Moskauer Universität, Philipp, Heinrich Dilthey, stammt aus Schierstein – heute ein Ortsteil von Wiesbaden. Die Gießener Universität war insbesondere im 19. Jahrhundert – vor allem für spätere bedeutende russische Chemiker – ein Zentrum der deutsch-russischen wissenschaftlichen Beziehungen. Wem es an Zerstreuung in Hessen fehlte, für den standen nach Eröffnung der ersten Spielbank 1856 in Monaco auch solche bald in Bad Homburg, Wiesbaden und Bad Ems zur Verfügung. Nicht nur von Fjodor Michailowitsch Dostojewski (1821 – 1881) wissen wir, wie sehr russische Reisende allzu oft Opfer ihrer unersättlichen Spielleidenschaft wurden.
Wie in keinem anderen Werk der Weltliteratur hat er in dem Roman „Der Spieler“ (Igrok) die grundlegenden Züge der Psychologie des Spielers dargestellt.

Als einer der bedeutendsten russischen Finanzminister des 19. Jahrhunderts ging Georg Graf von Cancrin, der am 16. Nov.1774 in Hanau geboren wurde, in die Geschichte Russlands ein. Sein Wirken und seine Arbeit hinterließen deutlich Spuren in der zerrütteten und durch ihn wieder zur Gesundung gebrachten russischen Wirtschaft. Die Geburtswiege eines Frankfurter Oberbürgermeisters stand in Russland. Der am 23. September 1907 in Moskau geborene Jurist Werner Bockelmann war ab 1955 Stadtoberhaupt der Main-Metropole und der Onkel von Udo Jürgens. Nur einige wenige Beispiele für die engen bilateralen Beziehungen, die in der vorgelegten Veröffentlichung ausführlich dargestellt werden. Das Thema „deutsch-russische Nachbarschaft“ wird aktuell von den Themen „Deutschlands Versorgung mit russischem Erdgas“, „Annexion der Krim“, „autoritärer innenpolitischer Kurs Putins“, „dem Cyperkrieg Russlands“ und „Attentate auf Exponenten der politischen Opposition Russlands“ beherrscht. Einem Anliegen des deutsch-sowjetischen Vertrages über gute Nachbarschaft, Partnerschaft und Zusammenarbeit vom 09. November 1990, an die „guten Traditionen einer jahrhundertelangen Geschichte“ anzuknüpfen, wird mit der Herausgabe dieser Publikation Rechnung getragen.

An die versunkene Geschichte des Miteinanders, die von Kooperation, Allianz oder Feindseligkeit geprägt war, gilt es anzuknüpfen. Das bedeutet keineswegs Zustimmung zu oder Akzeptanz aktueller russischer Politik- Russland ist zurzeit kein ´freiheitlicher Rechtsstaat ohne Fehl und Tadel und Kritik an der Amtsführung des russischen Präsidenten ist in mancher Hinsicht berechtigt.
Aber Abschotten, Boykott oder Desinteresse gegenüber dem größten Flächenland der Erde ist ein offenkundiger Beleg für das Fehlen einer langfristigen und zielorientierten außenpolitischen Strategie der EU gegenüber der Russischen Föderation. Es fehlt an der Vision einer „Zweiten Ostpolitik“ – das Erfolgsmodell „Wandel durch Annäherung“ – so wie es Egon Bahr 1963 erstmals pointiert formuliert hat – muss hier Pate für eine solche Neubeschreibung lösungsorientierter statt reaktiv-konfrontativer Politikentwürfe sein. Es muss darum gehen, „Gräben zu überwinden und nicht zu vertiefen“ (Willy Brandt)- denn ohne Russland wird dieser Kontinent den Europäern kein friedliches und prosperierendes Zuhause sein. +++ hs