Studie: Langer Weg zur Abtreibung

Passgenauere Unterstützungs- und Versorgungsleistungen

Die ELSA-Studie verfolgt einen multiperspektivischen Ansatz. Der Forschungsverbund untersucht verschiedene Facetten des Themas ungewollte Schwangerschaft und Schwangerschaftsabbrüche. Die Perspektive von Frauen, die ungewollt eingetretene Schwangerschaften abbrechen oder austragen, die Perspektive von Ärzten und Ärztinnen sowie die Perspektive von Fach- und Leitungskräften aus Beratungsstellen werden mit Analysen zum aktuellen Stand der psychosozialen und medizinischen Unterstützungs- und Versorgungsangebote in ihrer regionalen Unterschiedlichkeit verknüpft. An der ELSA-Studie beteiligt sind die Hochschule Fulda, das Sozialwissenschaftliche Forschungsinstitut zu Geschlechterfragen Freiburg, die Hochschule Merseburg, die Freie Universität Berlin, die Hochschule Nordhausen sowie die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie II der Medizinischen Fakultät der Universität Ulm. Dem Projektbeirat gehören neben medizinischen Experten auch Fachgesellschaften und Beratungsverbände an.

Lebenslagen und Wohlbefinden im Fokus

Wesentliche Themen der ELSA-Studie sind die Lebenslagen und das Wohlbefinden ungewollt Schwangerer sowie die medizinische und psychosoziale Versorgungssituation, die Nutzung der bestehenden Angebote sowie die Barrieren, die den Zugang erschweren. Hierzu wurden Frauen befragt, die eine ungewollt eingetretene Schwangerschaft abgebrochen oder ausgetragen haben. Als Vergleichsgruppe wurden zudem Frauen mit gewollten Schwangerschaften befragt. Befragungen von Beratungsstellen und Ärzte bilden eine weitere Grundlage der Studie. Methodisch kamen sowohl quantitative als auch qualitative Erhebungen und Analysen zum Einsatz. Ebenso werteten die Forschenden Strukturdaten zur medizinischen und psychosozialen Versorgung aus. Die zentrale Datengrundlage der Studie bildet eine standardisierte Online-Befragung von über 5.000 Frauen mit ungewollten oder gewollten Schwangerschaften. Diese Befragung umfasst zum einen eine repräsentative Erhebung bei 4.429 Frauen, die eine ungewollte oder gewollte Schwangerschaft ausgetragen haben. Hierfür wurden über Einwohnermeldeamtsregister zufällig Frauen mit Kind unter sechs Jahren ausgewählt. Zum anderen wurde eine – im statistischen Sinn nicht repräsentative – Stichprobe von 662 Frauen mit Schwangerschaftsabbruch befragt, die unter anderem über Arztpraxen, Beratungsstellen oder Social Media zu der Befragung eingeladen worden waren.

Belastungen, Ressourcen, Bewältigungsprozesse

In überwiegend qualitativ-empirisch ausgerichteten Vertiefungsstudien untersuchten die Forschenden Belastungen, Ressourcen und die Bewältigungsprozesse von Frauen, die ungewollt schwanger sind und diese Schwangerschaft austragen oder abbrechen, unter Berücksichtigung der erhaltenen Unterstützung und der Erfahrungen mit der Versorgung. Hierbei wurden auch spezifische vulnerable Gruppen einbezogen: Frauen in Gewaltbeziehungen, Frauen mit psychischen Erkrankungen, mit Migrations- oder Fluchterfahrung sowie Frauen mit traumatischen Erfahrungen in der Kindheit. In die Strukturdatenanalysen flossen neben Daten einer Sonderauswertung der Schwangerschaftsabbruchstatistik des Statistischen Bundesamtes eigens recherchierte georeferenzierte Daten von Praxen und Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, sowie von Beratungsstellen ein. Nach jetzigem Stand der Auswertung zeigen die Daten: Frauen mit ungewollten Schwangerschaften befinden sich häufiger als gewollt Schwangere in für eine Familiengründung oder -erweiterung unpassenden bzw. schwierigen Lebenslagen. Der Zugang zur medizinischen Versorgung unterscheidet sich regional und reicht von umfassender Bedarfsdeckung bis hin zu unterversorgten Regionen. Die Anforderungen an die personelle Ausstattung der psychosozialen Versorgung werden bundesweit umgesetzt. Frauen stoßen bei einem Schwangerschaftsabbruch auf Barrieren, zum Beispiel beim Zugang zu Informationen, bei den Kosten für den Schwangerschaftsabbruch oder beim Zugang zum Versorgungsangebot. Vulnerable Gruppen haben spezifische Anforderungen an psychosoziale und medizinische Versorgung, denen die Angebote derzeit noch nicht gerecht werden. 65 Prozent der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, haben deswegen Stigmatisierung im privaten, beruflichen oder öffentlichen Umfeld erlebt. Ärzte und Ärztinnen, die Schwangerschaftsabbrüche in der Facharztweiterbildung praktisch erlernt haben, führen später auch häufiger Schwangerschaftsabbrüche durch.

Passgenauere Unterstützungs- und Versorgungsleistungen

„Die gewonnenen Erkenntnisse zum Erleben und Verarbeiten ungewollter Schwangerschaften, zu den psychosozialen Beratungs- und Unterstützungsangeboten sowie zur medizinischen Versorgungssituation können sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene wie auch von Institutionen und Einrichtungen dafür genutzt werden, um diese Unterstützungs- und Versorgungsleistungen passfähiger auf die Bedarfe der Frauen hin zu entwickeln und dafür gegebenenfalls die adäquaten gesundheits- und fachpolitischen Entscheidungen zu treffen“, erläutert Daphne Hahn, Projektleiterin und Professorin für Gesundheitswissenschaften und empirische Sozialforschung an der Hochschule Fulda. Dies könne beispielsweise die Verbesserung der Informationszugänge und -qualität der Frauen und den Abbau von Stigmatisierungserfahrungen ebenso betreffen wie den Ausbau von Ressourcen oder Strukturen der medizinischen Versorgung, die Qualifizierung der Fachkräfte und den Ausbau von Kooperationen und Schnittstellen zwischen Beratungsangeboten und Versorgungsleistungen. „All dies dient stets dem Ziel, ungewollt schwangere Frauen bestmöglich zu unterstützen und ihre reproduktive Gesundheit zu sichern.“ +++

Sie können uns jederzeit Leserbriefe zukommen lassen. Diskutieren kann man auf X oder Facebook

Popup-Fenster