Schlüchterner Arzt Faghih-Zadeh spricht über Digitalisierung in der Medizin

„Ärzte mit Herzblut wird es immer geben“

Die Ärzte Ingo Roth (links), Davud Faghih-Zadeh und Zuzana Zimmermann von Häusärzte MKK beschäftigen sich seit Jahren schon mit der Digitalisierung der eigenen Praxen. Foto: Bensing & Reith

Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ersetzt ab 1. Juli den bisherigen „Gelben Schein“ – eigentlich ersatzlos, doch die Übergangsfrist ist jüngst bis Ende 2022 verlängert worden. Dennoch: Ein weiterer Schritt in der Digitalisierung der Medizin. Aber auch ein guter? Der Schlüchterner Arzt Dr. Davud Faghih-Zadeh von Hausärzte MKK spricht im Interview über die Chancen, aber auch die Risiken der Technologisierung in der Medizinbranche.

Was genau ändert sich mit Einführung der elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung?

Eigentlich müssen Praxen den Krankenschein ab Juli verpflichtend digital versenden. Die Frist ist wegen technischer Probleme und der Pandemie allerdings kürzlich auf Ende 2022 verschoben worden. Ab 2023 muss die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt dann aber ausschließlich online zur Krankenkasse geschickt werden – und geht von dort digital weiter zum Arbeitgeber.

Was halten Sie davon?

Grundsätzlich begrüße ich den Schritt. Denn dadurch werden bundesweit enorme Mengen an Papier eingespart, was der Umwelt zugute kommt. Die Corona-Pandemie hat diese Prozesse generell beschleunigt: Die elektronische Gesundheitskarte, das E-Rezept und etliche Gesundheits-Apps sind nur ein paar Beispiele. Und ich finde: Sie alle haben durchaus auch ihre Berechtigung.

Gibt es auch Nachteile?

Patientenversorgung hat immer auch eine zwischenmenschliche Komponente. Und die darf niemals vergessen werden, das halte ich für enorm wichtig. Schließlich geht es bei all der Digitalisierung in der Medizin am Ende immer noch um die Gesundheit von Menschen. Und da ist es einfach wichtig, in Ruhe zuzuhören, Fragen zu stellen, da zu sein, sich Zeit zu nehmen und mit den Leuten zu sprechen.

Und das geht durch die Digitalisierung verloren?

Das kann passieren. Es muss aber nicht sein, wenn man die neuen Technologien und Möglichkeiten richtig nutzt. Sie können schließlich auch dafür sorgen, dass Dinge, für die man als Arzt früher viel Zeit investieren musste, jetzt schneller von der Hand gehen. Und diese freigewordene Zeit kann wiederum für Behandlungen genutzt werden.

Was hat Ihre überörtliche Gemeinschaftspraxis Hausärzte MKK bislang alles in Sachen Digitalisierung getan?

Wir gehören zu den ersten Praxen im Main-Kinzig-Kreis, die Telemedizin nutzen. Damit können wir direkt bei den Patientinnen und Patienten zuhause Dinge wie EKG, Lungenfunktion und mehr checken. Sollte etwas auffällig sein, kann direkt ein Arzt zugeschaltet werden. Dadurch erhöht sich die Qualität der Hausbesuche enorm. Außerdem haben wir ein neues Telefonsystem mit einem smarten digitalen Assistenten installiert. Und auch das Qualitätsmanagement haben wir vollständig digitalisiert. Dokumente, Prozesse, Aufgabenzuweisungen und mehr sind jetzt komplett zentral auf unserem Server abgelegt. Alle unsere Praxen können darauf zugreifen.

Ist die Digitalisierung in der Medizin eher Fluch oder Segen?

Das lässt sich nicht so einfach beantworten. Betrachtet man den demografischen Wandel, dann ist es großartig, dass wir dank Telemedizin und Co. überhaupt die Möglichkeit haben, so vielen Menschen helfen zu können. Denn es ist doch so: Heute ist ein einzelner Arzt für wesentlich mehr Patientinnen und Patienten verantwortlich als früher. Dieser Versorgungsengpass kann aktuell nur durch die Digitalisierung abgefangen werden.

Wie sieht es mit diesem Versorgungsengpass auf lange Sicht aus? Kommunizieren wir bald nur noch mit Computern, um unsere Diagnosen und Therapien zu erfahren?

Nein, ganz sicher nicht. Es wird sie immer geben, die Ärzte mit Herzblut, die sich mit vollem Einsatz um die Bedürfnisse ihrer Patientinnen und Patienten kümmern. Allerdings dürften alle Mediziner in den nächsten Jahren noch stärker in ein hochtechnisiertes, medizinisches System gepresst werden, das auf Effizienz und Ökonomie getrimmt ist. Es ist ganz wichtig, dass auf dieser Strecke die Nähe zu den Menschen nicht verloren geht.

Wie lässt sich das schaffen?

Einerseits spielt uns die demografische Entwicklung in die Karten. Alle, die heute zwischen 0 und 20 Jahre alt sind, dürften in circa 50 Jahren zu der bevölkerungsärmeren Altersgruppe gehören – und dann wiederum auf deutlich mehr Ärzte treffen. Diese können sich dann wieder deutlich mehr Zeit für einen einzelnen Patienten nehmen – so wie in den guten, alten Zeiten.

Und andererseits?

Da müssen wir alles dafür tun, dass sich die jungen Leute für den Beruf des Hausarztes begeistern. Das sehe ich persönlich auch als eine meiner wichtigsten Aufgaben an. Deshalb bin ich Lehrarzt im Auftrag der Goethe-Universität Frankfurt. Und in unseren Praxen ermöglichen wir es den Studierenden, sich ein umfassendes Bild von dieser wunderbaren Arbeit als Hausarzt zu machen. Sie können während ihrer Famulatur oder im praktischen Jahr voll bei uns mitarbeiten. Denn der Beruf des Allgemeinmediziners ist aus meiner Sicht nicht nur extrem abwechslungsreich, sondern eine echte Erfüllung. +++ pm

<strong>Info</strong>
Die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinidung (eAU) ersetzt den klassischen Krankenschein auf gelbem Papier ersatzlos. Seit Anfang 2022 kann das elektronische Meldeverfahren von den Praxen genutzt werden, ab 1. Juli sollte es eigentlich Pflicht sein. Die Übergangsfrist ist aber kürzlich bis Ende 2022 verlängert worden. Ab 2023 muss die Bescheinigung dann aber von den Praxen ausschließlich online an die Krankenkassen gesendet werden, diese müssen den E-Krankenschein an den Arbeitgeber weiterleiten. Die Papier-Bescheinigung wird ab diesem Zeitpunkt nicht mehr benötigt. Das Ziel der Digitalisierungsmaßnahme ist weniger Bürokratie.