
Sascha Gramm ist zurück. Am Montag traf der Extremsportler aus Hainzell wieder in seiner Heimat ein, gegen 18 Uhr. Er nahm am längsten 6-Tages-Etappenlauf der Welt teil, um den zweitgrößten Bergsee der Welt in der kirgisischen Region Issyk Kul. Am Morgen der Schlussetappe musste er das Rennen beenden und auf die Signale hören, die sein Körper gesendet hatte. Doch er darf sich als Sieger fühlen. Kommen Sie mit auf eine Abenteuerreise in einem Abenteuerland. Fernab der westlichen Zivilisation. Voller Spannung, voller Hingabe und Emotionen. Sportlich und menschlich.
Gramm, der am kommenden Montag seinen 46. Geburtstag feiert, wirkt entspannt. Zufrieden mit sich und einem speziellen Erlebnis im Rücken. Kaum angekommen in der Heimat, hatte er am Tag danach schon wieder gut zu tun. Berufliche Verpflichtungen, „Ich habe eine Bilanz eingebracht“, das ist sein Kerngeschäft als kaufmännischer Leiter. Sein Tagesgeschäft – wie etwa normales Training oder als Lauftrainer einen Kurs anzubieten. „Das in Kirgisistan, das war Champions League“, schiebt er nach, als wolle er Dritten den Mund wässrig machen.
In der anderen Welt angekommen, ist er einziger deutscher Teilnehmer. „Es spricht niemand deine Sprache“, sagt er lapidar, „die meisten der zwölf Teilnehmer haben Russisch gesprochen“. Es ist quasi eine exquisite Teilnehmerzahl in einer beinahe exotischen, in jedem Falle andersartigen Welt. Und es gilt, sich in und mit ihr vertraut zu machen. „Dass so wenige mitmachen, lässt auch Rückschlüsse auf die unglaubliche Herausforderung zu“, sagt Gramm.
Der Hainzeller richtete den Fokus nur auf sich. Sich akklimatisieren, vier Stunden Zeitverschiebung, auf einer Höhe zwischen 1.600 und 2.000 Metern unterwegs zu sein, sich den klimatischen Bedingungen anzupassen – „die Sonne war richtig aggressiv, mit morgens schon 25 Grad. „Ich hatte eine Regenjacke im Rucksack. Am zweiten Tag hab‘ ich sie wieder rausgeworfen“. Vom Ort der Landung, der kirgisischen Hauptstadt Bischkek, standen Gramm fünf Stunden Autofahrt bevor bis zum Start des Rennens. Zu ihm gesellte sich ein US-Amerikaner, zusammen verbrachten sie die beiden ersten Tage in der Unterkunft. „Wir haben zu zweit in einer Jurte gepennt“, fügt Gramm hinzu. Kühl war die und bot Schutz vor der Sonneneinstrahlung, sie hatte sogar eine Dusche. Auch eine Wettkampf-Besprechung gab‘s, aber nur auf Russisch. Später, ein Tag vor dem Rennen, stieß ein Russe hinzu. „Royal Gate“ nannte sich der Ausgangspunkt des Rennens am „Fairy Tale Canyon“.
1. Tag, 86 Kilometer: Die Bedingungen schienen nicht nur zermürbend, sie waren es auch. „Wir haben den Issyk Kul, den See, gesucht und wollten was von der Natur sehen“, scherzte Gramm. Doch sie fanden nur Dreck und Staub vor – und super viel Verkehr. Man muss wissen: Es gab nur diese eine Verkehrsstraße um den Issyk Kul. „Es galt, den Tag zu überstehen“, benannte der in Osthessen Heimische das Nahziel. Die Straßen waren nicht asphaltiert. Straßen aus reinem Dreck. Die Hoffnung: Die nächsten Tage sollten besser werden.
2. Tag, 79 Kilometer: Die Läufer atmeten auf, einen Großteil durchliefen sie auf Hauptverkehrsstraßen. Mit sehr viel LKW und Bussen. „Es dauerte keine zehn Sekunden, bis der nächste kam“, gibt Gramm das intensive und nahe Spiel wieder. Zu den Bedingungen, die von Trockenheit und Staub geprägt waren, sagt er nur: „Du musst die Situation annehmen. Vieles wird zur Routine. Da geht‘s nicht um sportliche Ergebnisse.“
Schön, dass Sascha Gramm in dieser andersartigen Welt ein spezielles Erlebnis hatte. Eines, das sein Herz berührte. Es war eine Begegnung mit Land und Leuten. Eine besondere. Eine mit einem elfjährigen Mädchen. Beide verständigten sich auf Englisch. Ein Stückchen Herzenswärme kam heraus. Als Dank für Übernachtung und Herzlichkeit ließ er dem Mädchen über deren Mutter ein Schweißband da. Er erwartete keine Reaktion. Doch sie kam: Das Mädchen ließ ihm einen selbst gebastelten Vogel aus Filz da. „Ich habe mich gefreut und war überrascht“, erinnert sich Sascha, „wir haben uns gegenseitig angegrinst. Der Vogel bekommt einen besonderen Platz bei mir zu Hause. Immer, wenn ich den Vogel sehe und an ihn denke, denke ich auch an das Mädchen.“ Als er das Präsent bekam, befand er sich bereits unmittelbar vor dem Start am zweiten Tag. Er hatte das Gefühl, wie wichtig es ist, „sich über Kleinigkeiten zu freuen“. Es war eine kleine, aber besondere Freude über Grenzen hinaus. Und es war mehr, als Politiker oft leisten können oder dazu imstande sind.
3. Tag, 45 km: „The Short Stage“, die kurze Etappe. Nahe Cholpon Ata – dort, wo vor ein paar Jahren die World Nomad Games, die Weltnomadenspiele stattfanden. Das letzte Teilstück dieses Abschnitts war speziell. „Überall wurde gebaut in der Stadt. Es war absolutes Chaos“, erinnert sich Sascha Gramm. Überhaupt schildert er alles so nahe und intensiv, als sei er noch immer vor Ort. Es war derart unübersichtlich, dass die Polizei als Eskorte fungierte. Und die Läufer bis zum Tagesziel leitete. Aber auch dieses dankbare Erlebnis bleibt haften: Weil die Etappe relativ kurz und übersichtlich war, fanden die Läufer noch die Zeit zu einem kleinen Ausflug. Anziehungspunkt waren heiße Quellen in der Nähe. Die Sportler durften – was so wichtig war – regenerieren.
4. Tag, 85 km: Dieser Donnerstag – mittlerweile war der 8. Mai – war ein einsamer Tag für die acht Verbliebenen. Einige waren in der Zwischenzeit nicht mehr dabei – Strecke, klimatische Bedingungen, Körper und Gesundheit hatten ihren Tribut gefordert. Aber Sascha Gramm war nach wie vor mittendrin. Komplett im Staub. Komplett im Dreck. Und es lief gut für den Hainzeller. Noch immer.
Sind Sie neugierig geworden? Wollen Sie weiterhin mitfiebern in dieser spannenden Geschichte voller sportlicher, aber vor allem menschlicher und länderübergreifenden Episoden? Vier Etappen liegen hinter uns, und die fünfte steht noch an. „Eine eigentlich unglaubliche“, wie Sascha Gramm sie nennt. Folgen Sie ihm. Er hat es verdient: der Sportler. Der Mensch. Einer, der Brücken baut. Der nächste Beitrag folgt morgen. +++ rl
Toller Bericht – man merkt sofort, wie viel Leidenschaft Herr Gramm in seine Mission steckt. Solche Einblicke liest man wirklich gerne. Ich bin gespannt auf den nächsten Teil!