Sahiti erhielt den Verdienstorden der Bundesrepublik Deutschland

Mit präsidialem Rückenwind

Riccardo M Sahiti (Zweiter von links) beim Empfang mit Bundespräsident Joachim Gauck. Mit dabei seine Ehefrau Elisabet und Romani Rose, Vorsitzender des Zentralrats der Deutschen Sinti und Roma (rechts). Foto: Björn Hadem

Berlin. Riccardo M Sahiti hat Schloss Bellevue mit dem am Anzug angesteckten Bundesverdienstkreuz gerade verlassen und weiß genau, wohin ihn sein Weg als nächstes führen soll: zur Gedenkstätte für die während des Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma im geographischen Dreieck zwischen Reichstag und Brandenburger Tor. Ihnen fühlt sich der romastämmige Dirigent, der seit 1992 in Frankfurt am Main lebt, am Tag seiner Auszeichnung für das Engagement um Völkerverständigung und das kulturelle Erbe seines Volkes am meisten verbunden. Genau diese Überzeugung hat er am gleichen Vormittag auch dem Bundespräsidenten nahegebracht – direkt im Anschluss an die Feierstunde, in der ihm Joachim Gauck das Verdienstkreuz am Bande des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland für seine Bemühungen um den Aufbau und den Erfolg der Roma und Sinti Philharmoniker als kulturelle Botschafter zweier unterdrückter Volksstämme verliehen hat.

Riccardo M Sahiti ist überglücklich über diese Auszeichnung – weil er mehr denn je spürt, dass er als Dirigent des weltweit einmaligen Orchesters die Funktion eines Botschafters übernommen hat. Ein Botschafter, der weiß, wovon er spricht, wofür er einsteht, für was es sich zu kämpfen lohnt. Und er kämpfte auch im Gespräch mit Joachim Gauck: darum, dass die Roma und Sinti Philharmoniker im 14. Jahr ihres Bestehens jene Anerkennung erfahren, die ihrer Bedeutsamkeit angemessen ist. Unter Sahitis Dirigat sind die roma- und sintistämmigen Profimusiker verschiedenster europäischer Berufsorchester schon auf großen Festivals wie dem Beethoven-Fest Bonn, dem Heidelberger Frühling und dem Menuhin-Festival Gstaad aufgetreten, haben Konzertorte wie die Berliner Philharmonie, die Frauenkirche Dresden und die Alte Oper Frankfurt bespielt, mit der Welturaufführung des „Requiem für Auschwitz“ des Sinto-Komponisten Roger Moreno Rathgeb internationale Aufmerksamkeit erlangt und mit einem von arte/RBB produzierten Dokumentarfilm über Sahiti und seinen orchestralen Traum einen medialen Ritterschlag erfahren. Dass ihr künstlerischer Leiter, zugleich Dirigent, Mentor, Kommunikator, Repräsentant und logistische Schaltstelle des Projektorchesters, jetzt das Bundesverdienstkreuz für seine unermüdliche Anstrengung erhielt, die Roma und Sinti als wesentliche Einflussfaktoren der klassischen Musik ins rechte Licht zu rücken, wertet Riccardo M Sahiti zugleich als Meilenstein im Kampf um Anerkennung der Roma und Sinti überhaupt.

Aus seiner Sicht ist es längst überfällig, die Roma- und Sinti-Einflüsse auf eine Vielzahl an klassischen Kompositionen musikwissenschaftlich seriös zu verifizieren. Dafür setzt er sich als Beiratsmitglied des im Aufbau befindlichen „RomArchives“ ein. Das alte Gipsy-Klischee vom virtuosen, aber gesellschaftlich wenig geachteten Stehgeiger, der als „nice to have“-Künstler die kulinarischen Genüsse „alla zingarese“ akustisch in Restaurants zu versüßen pflegte, haben die Roma- und Sinti-Philharmoniker längst relativiert bis widerlegt. Kompositionen wie Sarasates „Zigeunerweisen“ und Franz Liszts „Ungarische Rhapsody Nr. 2“ gehören erwartungsgemäß zum Standardrepertoire der Roma und Sinti Philharmoniker und erfahren durch sie eben die unvergleichlich direkten, temperamentstrotzenden Interpretationen. Längst hat Riccardo M Sahiti als künstlerischer und konzeptioneller Leiter des Orchesters aber auch zeitgenössische Komponisten angeregt, für seinen Klangkörper zu schreiben. Ein Zeichen setzten die Roma und Sinti Philharmoniker, als sie 2014 beim Festival in der Abtei Brauweiler Wagners „Meistersinger“-Ouvertüre ins Programm aufnahmen. Ihnen geht es nur um den künstlerischen Wert genialer Musik und nicht um die strittige Frage, inwieweit sie rezeptionsgeschichtlich in fragwürdigen politischen Zusammenhängen gestanden hat. Die Roma und Sinti wollen mit Musik versöhnen, nicht polarisieren.

Anerkennung und Aufmerksamkeit ist das eine, praktische und damit finanzielle Unterstützung aber das andere: In anderthalb Jahrzehnten ist es dem Philharmonischen Verein der Sinti und Roma Frankfurt am Main e.V., unter dessen organisatorischem Dach die Roma und Sinti Philharmoniker musizieren, noch nicht gelungen, die Verantwortlichen öffentlicher Institutionen und Ämter davon zu überzeugen, dass sich nachhaltige Unterstützung in einer dauerhaften finanziellen und vor allem institutionellen Förderung des Orchesters manifestieren muss – weder auf lokaler Ebene, noch auf denen von Land, Bund und Europa. Die Finanzierung bisheriger Orchesterprojekte erreichte er vor allem mit Hilfe mühsamer Überzeugungsarbeit bei Sponsoren aus der Wirtschaft und dem Stiftungswesen. Die Roma und Sinti Philharmoniker haben ihren beiden Volksstämmen im musikgeschichtlichen Gedächtnis Westeuropas schon jetzt ein Denkmal gesetzt und für sie eine Position erstritten, die die Roma und Sinti als kreative Geister, reflektierte Künstler und leidenschaftliche Interpreten offenbart. Allein fehlt in der öffentlichen Wahrnehmung die Konsequenz aus der Einsicht, dass hochprofessionelle Künstler mit explizitem soziokulturellen Auftrag nicht zum Nulltarif zu haben sind. Seinen Verdienstorden versteht der 55-Jährige als Imperativ und Ermutigung, seine Arbeit fortzusetzen. Je steiniger der Weg ist, desto engagierter tritt Sahiti für seine Vision ein, dass die Roma und Sinti Philharmoniker einmal als festes Berufsorchester eine autonome Existenz führen können. Überzeugung verpflichtet eben – mit präsidialem Rückenwind umso mehr. +++ / von björn hadem