Putins Betrug an Russland

Berlin. In Russland sowieso, aber auch bei uns gibt es Leute, die sagen, die Nato und die EU seien schuld an der derzeitigen Eskalation, die nun sogar schon vor den Küsten Australiens stattfindet. Sie hätten Russland gedemütigt. Der Konflikt könne nur durch ein Einlenken des Westens beigelegt werden, zuerst bei den Sanktionen. Die These übersieht nicht nur die Tatsache, dass mit der Annexion der Krim zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg in Europa wieder eine Grenzverschiebung mit Gewalt vorgenommen wurde, ein absoluter Tabubruch. Sie verschweigt auch, dass Polen, das Baltikum und auch die Ukraine ihre Westorientierung frei gewählt haben.

Vor allem aber verkennt die These von der westlichen Schuld oder Mitschuld, dass die tiefere Ursache des Konfliktes das Fehlen von Demokratie in Russland ist. Noch nie haben zwei voll entwickelte Demokratien gegeneinander Krieg geführt. Nicht um Gebiete, nicht um Vorherrschaften, nicht um wirtschaftliche Interessen. Nirgendwo. Demokratien suchen sozialen und wirtschaftlichen Fortschritt mit- und nicht gegeneinander; sie regeln Konflikte friedlich. Ihre Bevölkerungen dulden gar nichts anderes. Die Diktatur hingegen braucht die Konfrontation. Ein Gedankenexperiment macht das deutlich: Man stelle sich vor, Russland wäre demokratisch. Dann würde es sich durch Nato-Truppen an seinen Grenzen so wenig bedrängt fühlen wie Schweden oder die Schweiz.

Und wenn ein demokratisches Russland sogar selbst Mitglied von EU und Nato wäre, dann wäre das Land heute völlig gleichrangig mit England, Frankreich, Deutschland, den USA, denn es gilt das Einstimmigkeitsprinzip. Das ist keine absurde Idee. Anfang der 90er-Jahre diskutierten junge russische Politiker begeistert genau diese westliche Perspektive ihres Landes. Sie träumten von einer Friedensdividende in Form von internationaler Beachtung, Wohlstand und Entwicklung. Und warum nicht: Russland ist ein europäisches Land mit großer Kulturgeschichte. Aber diese Träume sind zermalmt worden vom militärisch-oligarchischen Komplex, dem Putin angehört.

Er hat nach den Massenprotesten im Jahr 2011/2012 zunächst im Innern die Repression massiv angezogen. Und nun setzt er auf eine nationalistische großrussische Mobilisierung, auf Konfrontation mit dem Westen, um wieder Unterstützung für sich zu finden. Er strebt die Augenhöhe der Konfrontation an, nicht die der Kooperation. Was die Methode so gefährlich macht: Sie braucht ständige Eskalation, denn das Volk wird irgendwann merken, dass man Neurussland-Träume nicht essen kann. Russland hat neben seinen Rohstoffen nur eine äußerst schwache ökonomische Basis und ist sozial gespalten wie kein anderes Land in Europa. Das wird nun noch schlimmer.

Die Armen werden noch ärmer durch die Hochrüstung, natürlich auch durch die westlichen Sanktionen. Dabei bräuchte Russland dringend Reformen, es bräuchte eine Bürgerschicht und es bräuchte internationale Kooperation und Investitionen. Unter Ex-Präsident Medwedew gab es dazu einen kurzen, zaghaften Ansatz, bis Putin sich anders entschied. Sein Vorgehen in der Ukraine ist nicht nur eine Bedrohung für andere Völker in der russischen Einflusszone, vielleicht für die ganze Welt. Es ist vor allem eine Bedrohung für das eigene Volk, dem nach mehr als sieben Jahrzehnten Kommunismus schon wieder die Zukunft gestohlen wird, so die Lausitzer Rundschau. +++ fuldainfo