
Der deutsch-französische Publizist und Politikwissenschaftler Alfred Grosser sorgt sich um die Demokratie in Deutschland. "Die Auswüchse von Chemnitz sind eine Katastrophe. Die Ausländerfeindlichkeit, die sich hier ausdrückt, ist beängstigend. Das man in diesem Ausmaße Leute angreift, nur weil sie Ausländer sind, ist eine neue, schreckliche Entwicklung", sagte er der "Heilbronner Stimme". "Besonders schlimm ist: Viele Menschen sagen, sie seien gegen die Nazis, aber sie defilieren mit ihnen."
Grosser hofft auf mehr Widerstand gegen Rechts: "Die Zivilgesellschaft muss lauter werden gegen Rechts. Ich würde mir ein sehr deutliches Widersprechen wünschen, um zu zeigen, dass man da nicht mitmacht. Bislang höre ich aber viel zu wenig. Außerdem sollten sich alle demokratischen Politiker deutlich von solchen Hetzjagden distanzieren. Aber das haben bislang noch nicht alle getan." Der Soziologe glaubt, dass viele Menschen heute sogar Angst hätten, für ihre "Fremdenfreundlichkeit kritisiert zu werden". Das erinnere ihn an frühere Zeiten. "Man ist dagegen, aber man schweigt und macht damit mit. Das ist echtes Mitläufertum." Wenn man die Grundwerte missachte, dann sei die Demokratie in Gefahr, so Grosser. "Die in der französischen Revolution erkämpften Werte Freiheit, Gleichheit und Brüderlichkeit müssen bewahrt werden." Er begrüße den Aufruf des EKD-Ratspräsidenten Heinrich Bedford-Strohm, der die Deutschen zu mehr Zivilcourage aufgefordert hat.
Gysi: Soziale Ängste sind Ursache für Rechtsruck
Der Linken-Politiker Gregor Gysi sieht eine Ursache für die Vorfälle von Chemnitz in den "sozialen Ängsten" der ostdeutschen Bevölkerung. "Die Ostdeutschen haben nach der Wende Massenarbeitslosigkeit erlebt, und deshalb haben sie doppelt so große soziale Ängste wie die Menschen im Westen", sagte der Vorsitzende der europäischen Linken der "Frankfurter Rundschau". "Nun haben sie Angst, dass die Flüchtlinge wieder zu etwas Ähnlichem führen: dass sie ihre Kultur durcheinanderbringen, sie sozial gefährden und so weiter." Hinzu komme, dass die Ostdeutschen "bei der Herstellung der Einheit zu Menschen zweiter Klasse wurden", so der Linken-Politiker. Gysi fügte hinzu, diese Erklärungen hätten "mit Rechtfertigung nichts zu tun. Aber ich muss ja wenigstens verstehen, wie es dazu gekommen ist".
Der ehemalige Chef der Linksfraktion im Bundestag warf Unionspolitikern wie dem bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder und Bundesinnenminister Horst Seehofer (beide CSU) vor, "den Weg Richtung AfD light" zu gehen. Er halte das für "grundfalsch, übrigens auch bei Linken". Die Gefolgsleute der Rechten müsse man "immer vom Gegenteil überzeugen", sonst "rechtfertige ich ja noch ihre Entscheidung für die AfD". Mit Blick auf die sächsische Landtagswahl im kommenden Jahr sagte Gysi, wenn ohne die Linke eine Regierungsbeteiligung der AfD nicht zu verhindern sei, sei sowohl eine Koalition mit der CDU als auch die Ablehnung eines solchen Bündnisses für seine Partei "schwierig". Er deutete allerdings eine Bereitschaft zum Mitregieren mit den Worten an: "Die Hoffnung, die AfD würde schon abwirtschaften, wenn sie mal regiert, teile ich nicht. Die hat in der Geschichte schon einmal getrogen." +++
Manche meinen, das Überhandnehmen von rechtsradikalen, antidemokratischen, autokratischen Tendenzen bis zur Regierungsübernahme könnte bei uns nicht passieren. Wie blauäugig! Man muß sich doch nur mal umschauen: in Ungarn, in Polen, in der Türkei und aktuell in den USA passiert gerade das: dort werden Demokratien gewissermaßen auf demokratischem Weg - scheinbar demokratisch legitimiert - geschliffen, die Presse auf Linie gebracht, Justiz und Verfassung beschnitten, Minderheiten bedroht!
Da hilft kein Schönreden, hilft keine Werte-Diskussion a là Merkel, noch dazu meist im Nachhinein, um anschließend wieder zur Tagesordnung überzugehen. Wie Merkel es in Polen und der Türkei vorexerziert hat. Oder möchte Merkel am konkreten Beispiel lernen, wie sie die auf Machterhalt ausgerichtete Unions-Politik künftig noch nachhaltiger gestalten kann?
Hier müssen - insbesondere innerhalb der EU - Klartext geredet, Gegenmaßnahmen und ggf. Sanktionen ergriffen werden. Das vermisse ich seit Jahren. Die Einlassung der EU z.B. in Polen - Abschaffung einer unabhängigen Justiz -, das wäre in Polen noch nicht durch alle Instanzen gegangen, halte ich für eine üble Ausrede. Hier hätte bereits im Vorfeld unmißverständlich und konsequent eingegriffen werden müssen. Könnte das ein anderer Kanzler bzw. eine andere Kanzlerin besser als Merkel? Mein Bauchgefühl sagt derzeit: ja! Könnte das die SPD besser als die Union? Die Geschichte sagt ganz eindeutig: ja!
Vor allen Dingen: wehret den Anfängen (aktuelles Beispiel: Guantanamo-light und Polizeiaufgabengesetz in Bayern - nicht auszudenken, was passiert, wenn das in die Hände von Rechtsextremen fällt)!
Ich vermisse die Vorschläge kluger Politologen, Staats- und Verfassungsrechtler etc. , wie sich eine Demokratie wie die unsrige - gewissermaßen vorbeugend - vor solchen Entwicklungen schützen kann!
Und noch etwas: die aktuellen, mehr den Wahlkämpfen als der Sache geschuldeten Diskussionen um Gewalt von autonomen und/oder extremistischen Linken, z.B. im Zusammenhang mit dem G20-Gipfel in Hamburg, so verurteilenswert diese sind, kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass aktuell, zumindest in Europa und USA, die Demokratie massiv von Rechts und nicht von Links bedroht wird - wie ja auch bereits in der Weimarer Republik "erfolgreich" vorexerziert. Im Gegensatz zu dem Verfassungsschutzpräsidenten Maaßen, dem obersten Desinformations-Beamten, sieht das übrigens das BKA ähnlich!
Und die rassistischen und rechtsextremistischen, von AfD/PEGIDA befeuerten, „Aufmärsche“ und Treibjagden auf Ausländer und Andersgläubige zeigen einen eindeutigen Trend, dem im übrigen Leute wie Dobrindt mit seiner Ausrufung einer konservativen Revolution oder Söder mit seinem AfD-Kopie-Kurs hinterherlaufen.
Verkehrte, postfaktische Welt:
https://youtu.be/QqoSPmtOYc8
Viel Spaß und neue Erkenntnisse beim Anhören!