Özdemir will Bekenntnis zum Rechtsstaat von Türken in Deutschland

EU-Beitritt der Türkei infrage gestellt

Grünen-Chef Cem Özdemir
Cem Özdemir (Grüne)

Berlin. Grünen-Parteichef Cem Özdemir hat von den Deutschland lebenden Türken ein klares Bekenntnis zum Rechtsstaat verlangt. „Wie Erdogans Demokratieverständnis aussieht, sehen wir auch in seinem Umgang mit der Presse“, sagte Özdemir der „Welt“. Mit Blick auf das Referendum am 16. April, das über die Einführung eines Präsidialsystems in der Türkei entscheidet, appellierte er an die Türken in Deutschland: „Nehmt den Menschen in der Türkei nicht die Freiheit und Demokratie, die ihr hier in Deutschland genießt. Geht wählen beim Referendum in der Türkei, aber wählt die Demokratie und sagt Nein zu Willkür, Unterdrückung und Intoleranz.“ Özdemir sagte weiter an die Erdogan-Anhänger in Deutschland gerichtet: „Überlegt Euch mal, warum ihr selbst lieber nicht unter dem Erdogan-Regime in der Türkei leben wollt, dass ihr den Menschen durch ein Ja beim Referendum in der Türkei aber zumutet.“ Darüber hinaus verlangte der Grünen-Vorsitzende „von der Kanzlerin und der großen Koalition, sich gegenüber der türkischen Regierung vehement für die Pressefreiheit im Allgemeinen und für die Freiheit von Deniz Yücel ganz besonders einzusetzen“.

Türkische Gemeinde: Vorgehen gegen Yücel Vorgeschmack auf Erdogans Verfassungsänderung

Nach Ansicht der Türkischen Gemeinde in Deutschland gibt die Inhaftierung des „Welt“-Korrespondenten Deniz Yücel in der Türkei einen Vorgeschmack auf die von Präsident Recep Tayyip Erdogan geplante Verfassungsänderung. „Dass Yücel und sehr viele andere Journalisten in der Türkei willkürlich mit Terror-Organisationen in Verbindung gebracht und inhaftiert werden, zeigt die Beliebigkeit, mit der in der Türkei gegen Kritik vorgegangen wird“, sagte der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde, Gökay Sofuoglu, der „Welt“. Es sei „dabei kein Zufall, dass dies im Vorfeld der Abstimmung über die von Präsident Erdogan geplante Verfassungsänderung“ geschehe. Man könne am Fall Yücel „erkennen, was in der Türkei passieren wird, wenn die Verfassung tatsächlich geändert wird“, so Sofuoglu: „Es geht um die Abschaffung der Gewaltenteilung und eine dauerhafte, massive Einschränkung der Presse- und Meinungsfreiheit.“ Die Türkische Gemeinde in Deutschland hatte sich kürzlich gegen die Verfassungsänderung ausgesprochen und die Türken aufgerufen, den Plan bei der Volksabstimmung im April abzulehnen. Hierfür, so Sofuoglu, werde dem Verband auch von vielen in Deutschland „immer wieder Volksverrat vorgeworfen“. Sowohl in der Türkei als auch innerhalb der türkischen Gemeinschaft in Deutschland gebe es bei vielen Menschen „eine sehr undifferenzierte, emotionalisierte Sichtweise, bei der sehr schnell alle Kritiker Erdogans für Vaterlandsverräter gehalten werden“. Viele Türken ließen sich „von türkischen Politikern weismachen, Journalisten seien Mitglieder von Terrorgruppen“. Diese Behauptung werde oft „ungeprüft“ übernommen, und deshalb würden viele Menschen „es mit großem Wohlwollen“ betrachten, „wenn Journalisten drangsaliert und inhaftiert werden“. Es gebe aber auch andere, kritische Stimmen unter den Türken. Daher müsse die deutsche Mehrheitsgesellschaft bereit sein „zu lernen, dass es in der Türkei und genauso in der türkischen Community in Deutschland nicht nur Erdoganisten gibt“, so Sofuoglu weiter: „Es wäre sehr hilfreich, wenn sich die deutsche Gesellschaft für die demokratischen und kritischen Kräfte unter den Türken öffnen und sie wohlwollend unterstützen würde.“

Justizminister Maas stellt EU-Beitritt der Türkei infrage

Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) stellt den EU-Beitritt der Türkei infrage. „Hält sich die Türkei nicht an die europäischen Grundwerte, wird eine Annäherung an die EU nahezu unmöglich“, sagte Maas der Zeitung. Der Minister ergänzte: „Die Türkei hat es eigentlich selbst in der Hand. Aber Herrn Erdogan muss klar sein: Wer die Pressefreiheit und Rechtsstaatlichkeit systematisch untergräbt, der entfernt das Land von den Grundwerten der EU.“ Wenn die Türkei ein Rechtsstaat und eine Demokratie sein wolle, dann solle sie den inhaftierten „Welt“-Journalisten Deniz Yücel „und alle anderen zu Unrecht Inhaftierten frei lassen“, forderte Maas. Den Umgang der Türkei mit Yücel nannte der Minister „nicht akzeptabel. Das Wegsperren von missliebigen Journalisten ist mit unserer Definition von Rechtsstaatlichkeit und Pressefreiheit komplett unvereinbar“. Wer der Presse die Freiheit nehme, „der nimmt sie der gesamten Gesellschaft“. Das Verständnis des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan von Pressefreiheit scheine sich grundlegend vom deutschen zu unterscheiden. Maas wies darauf hin, dass die Inhaftierung von Yücel kein Einzelfall sei. „Die massiven Verhaftungen und Entlassungen, insbesondere auch von Richtern, erfüllen mich mit großer Sorge“, so der Justizminister. Eine unabhängige Justiz sei das Kernstück eines Rechtsstaats. „Wenn Richter von der Regierung willkürlich abgesetzt werden, dann zerstört dies die rechtsstaatliche Gewaltenteilung. Richter dürfen nur dem Gesetz unterworfen sein, nicht den Wünschen der politisch Mächtigen“, sagte Maas. Die Bundesregierung werde den Gesprächsfaden zur Türkei nicht abreißen lassen, betonte der SPD-Politiker. Allerdings sei dabei klare und deutliche Kritik nötig: „Wenn Journalisten mundtot gemacht werden sollen, wenn Richter entlassen und eingesperrt werden, dann ist die Zeit der leisen Töne vorbei. Ohne aufklärenden und kritischen Journalismus ist die Demokratie nicht frei. Und: Ohne unabhängige Richter kann ein Rechtsstaat nicht funktionieren.“ Mit Blick auf einen möglichen Wahlkampfauftritt Erdogans in Deutschland sagte Maas: „Wer bei uns die Meinungsfreiheit für sich reklamiert, sollte auch selbst Rechtsstaat und Pressefreiheit gewährleisten.“ Türkische Politiker, die in Deutschland auftreten wollten, sollten wissen, „welch hohes Gut für uns die Presse- und Meinungsfreiheit ist“. +++