Es hat nicht die Corona-Pandemie gebraucht, um den Wert der schnellen medizinischen Versorgung in Wohnortnähe in den Mittelpunkt zu rücken. Schon gar nicht im Main-Kinzig-Kreis. Julia Fock ist seit gut einem Jahr Koordinatorin für die ärztliche Versorgung und geht dorthin, wo diese Versorgung aus unterschiedlichen Gründen gestärkt werden muss. „Einer Reihe von Arztpraxen droht die Schließung, weil kein Nachfolger in Sicht ist“, berichtet Fock. „Da setzen wir an, beraten, bringen Kommunen und Ärzteschaft zusammen und unterstützen in allen Phasen dieses Übergangs. Damit hatten wir im ersten Jahr gute Erfolge erzielen können.“
Die Liste der Kommunen ist lang, in denen sich Julia Fock schon eingebracht hat. Biebergemünd, Gelnhausen, Hasselroth, Langenselbold, Nidderau, Rodenbach: „Die schnelle Wiederbesetzung einer Arztpraxis wünscht sich jeder. Doch in der Realität ist das so kurzfristig, vor allem in ländlicheren Regionen, schwierig“, erklärt Fock. „Es braucht eine gute Vorlaufzeit und eine gemeinsame Anstrengung, damit eine bedarfsgerechte Versorgung auch zukünftig funktioniert. Und jedes Mal sind die Voraussetzungen von Gemeinde zu Gemeinde unterschiedlich. Unterschiedliche Ausgangsbedingungen, bisherige Anstrengungen, der Grad der Vernetzung, und vieles mehr sind ausschlaggebend und machen die Arbeit in den Gemeinden sehr individuell.“ Es gebe keine Musterlösung für Ärzte und Kommunen bei der Nachfolgersuche, „wobei wir aber durchaus das Ziel haben, aus unseren Erfahrungen und Daten ein Muster für künftige Fälle zu finden“.
Für Erste Kreisbeigeordnete und Gesundheitsdezernentin Susanne Simmler kristallisieren sich bereits Gemeinsamkeiten bei der Lösungsfindung heraus. „Wenn es gelingt, alle relevanten Akteure zusammenzubringen, ganz fokussiert auf die Situation vor Ort, dann lassen sich auch Lösungen finden. Die Fäden müssen nur an einer zentralen und im medizinischen Bereich versierten Stelle zusammenlaufen“, sagt Susanne Simmler. „Wir erkennen, dass wir alle wohnortnah unseren Hausarzt und einen Facharzt haben wollen und auch haben müssen. Aber das ganz konkret, in Zeiten des Ärztemangels und gerade in ländlicheren Stadt- und Ortsteilen zu gewährleisten, das bedarf einer strukturierten Koordination. Unser Konzept geht auf und wir können mit unserer Koordinierungsstelle einen wichtigen Beitrag leisten für diese Versorgung.“
Julia Fock als Koordinatorin im Gesundheitsamt hat in ihrem ersten Jahr ein breites Netzwerk aufgebaut. Sie setzt auf den fortwährenden Kontakt zwischen den vielen Akteuren. Die regionale Lenkungsgruppe ermöglicht etwa, je nach Bedarf, den schnellen Austausch zwischen den Main-Kinzig-Kliniken, dem Klinikum Hanau, dem Weiterbildungsverbund, der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen, dem Hessischen Sozialministerium, dem Gefahrenabwehrzentrum und dem „Team Leben im Alter“ in der Kreisverwaltung. Es hat Runde Tische mit Bürgermeistern gegeben, Gespräche mit Gesundheitskoordinatoren aus anderen Landkreisen und diverse Vorträge im Kreisgebiet. Wenn für Gemeinden nach langer Suche schließlich neue Hausärzte gefunden werden, dann ist das oft auch der sichtbare Erfolg dieser Hintergrundarbeit. Ein Ergebnis, an dem viele über einen längeren Zeitraum mitgewirkt haben: „Die schnelle Lösung auf Knopfdruck gibt es nicht“, so Fock.
Konzepte für die medizinische Versorgung von morgen
Gesundheitsdezernentin Susanne Simmler berichtet über die Konzeption der Koordinierungsstelle. „Um den Bürgerinnen und Bürgern auf der einen Seite und Ärzten auf der anderen Seite kurzfristig zu helfen, muss zunächst der Bedarf geklärt werden. So kann es auch durchaus gelingen die Versorgung zu sichern, indem die Ärzte in der direkten Umgebung weitere Patienten aufnehmen, sofern noch Kapazitäten da sind. Auch eine Zweigpraxis zu gründen kann für bestimmte Ärzte in Betracht kommen“, so die Erste Kreisbeigeordnete. Weiterbildungsassistenten oder andere interessierte Ärzte werden ebenfalls gezielt angesprochen; ihnen werden einige Perspektiven im Kreis aufgezeigt. „Wir tragen so mit dazu bei, die notwendige ärztliche Versorgung direkt zu sichern. Langfristig geht es aber nur über nachhaltige strukturierte Konzepte am jeweiligen Ort, die auch über die Stadtgrenzen hinausweisen und mit denen sich auch neue Mediziner finden lassen“, so Simmler.
Eine erste größere Maßnahme war in dem Zusammenhang bereits 2018 das Projekt „Landpartie 1.0“. Über dieses Programm werden angehende Mediziner während ihres Blockpraktikums in Arztpraxen im Main-Kinzig-Kreis finanziell unterstützt. Parallel dazu bietet der Main-Kinzig-Kreis in der Zwischenzeit auch ein eigenes Förderprogramm in Form von finanziellen Anreizen für Niederlassungen und Gründungen von Gemeinschaftspraxen oder Medizinische Versorgungszentren an, also Kooperationsstrukturen, die die Arbeitsbedingungen verbessern. „Die Erwartungen junger Mediziner an ihre Zukunft haben sich verändert, entsprechend anzupassen sind also auch die Konzepte für die medizinische Versorgung von morgen“, so Koordinatorin Fock. Eine Kreisförderung gibt es darüber hinaus für bestehende Praxen, die ihre Praxisstruktur ausbauen oder verändern. Über die verschiedenen Projekte und Angebote informiert Julia Fock Ärzte und Kommunen direkt.
Mit diesen ganz verschiedenen Ansätzen habe der Main-Kinzig-Kreis die ärztliche Versorgung damit schon nachhaltig stärken können, fasst Susanne Simmler zusammen. „Wir können es aber dabei nicht belassen. Gerade nach den letzten Monaten ist klargeworden, dass wir noch intensiver gemeinsam mit allen Beteiligten auch für die nächsten fünf bis zehn Jahre planen müssen“, so Simmler. „Im nächsten Schritt wollen wir für das gesamte Gebiet des Main-Kinzig-Kreises vorausschauen können, wo in den nächsten Jahren Praxisschließungen drohen und dort frühzeitig das Thema Nachfolge und Übergänge in den Blick nehmen. Dazu bedarf es einer breit angelegten Analyse über die Versorgungsstruktur.“ Diese Analyse soll in den nächsten Monaten entstehen. Der Kreisausschuss hatte bereits im Juli entschieden, dass sich eine zusätzliche kreiseigene Stelle um diese Analyse kümmern wird. Seitens des Gesundheitsamts wird es eine persönliche Befragung aller Hausärzte im Kreis geben, aus der nicht nur die aktuelle Versorgungssituation sondern auch die möglichen Perspektiven und Entwicklungen abgeleitet werden sollen.
Gleichzeitig wird die Anwerbung um interessierte Ärzte und Medizinstudenten fortgesetzt, gerade auch auf digitalem Wege. Langfristiges Gesamtkonzept und die konkrete Problemlösung bei der Ärztesuche laufen dabei parallel weiter. „Wir bauen auch hier auf den direkten Kontakt mit allen Beteiligten, den Ärzten, den Kommunen und der Kassenärztlichen Vereinigung. Es muss Schluss sein mit der Diskussion um Zuständigkeiten. Wichtig ist, dass wir langfristig ein funktionierendes Netz aus ärztlicher Versorgung haben – ob in Maintal oder in Sinntal“, beschreibt Simmler den Kern der Anstrengungen. Der Landkreis habe hier mit der Koordinationsstelle und vor allem auch der Aufstockung der personellen Kapazitäten für eine Konstante in dem wichtigen Prozess der ärztlichen Versorgung für alle Bürgerinnen und Bürger gesetzt. „Eine gute hausärztliche Versorgung in der Nähe ist nicht nur ein Zukunftskriterium für kleinere Dörfer, sondern vor allem eine Aufgabe der Daseinsvorsorge, für die wir als Staat verantwortlich sind“, findet Gesundheitsdezernentin Susanne Simmler. „Wir verstehen es daher auf Kreisebene als eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, diese Versorgung beizubehalten und zu kräftigen.“ Das heißt: Die Aufgaben gehen Julia Fock auch in Zukunft nicht aus. +++ pm