Merz hört mit – Urgesteine in Gemangschelahsche

Bleibt zu hoffen, dass das Urgestein nicht zum Geisterfahrer wird!

Gerhard Merz

Gießen/ Fulda. Das Urgestein gilt unter all den Gesteinen, aus denen unsere Erde seit dem Zeitpunkt ihrer Festwerdung – also seit mehreren Milliarden Jahren – zusammengesetzt ist, als das altehrwürdigste. Es ist der Inbegriff des Soliden, des Bodenständigen, das schlechthin Unvergängliche, das im wahrsten Sinne des Wortes Urwüchsige. Fast könnte man sagen, es ist die Legende, die Ikone, wenn nicht gar der Mythos unter den Gesteinen dieser Welt.

Dies letztere übrigens mit mehr Recht als auf den ersten Blick anzunehmen. Denn: „Der Begriff Urgestein (auch Urgebirge) ist ein überholter Begriff der Geologie. Er …. wurde insbesondere im 18. und 19. Jahrhundert verwendet. Aufgrund der weiten Verbreitung metamorpher Gesteine nahm man zu dieser Zeit an, solche Gesteine seien durch einen Vorgang zu Beginn der Entstehung der Erde entstanden, der heutzutage nicht mehr zu beobachten wäre. Erst mit der Entdeckung, dass auch jüngere Gesteine von Metamorphose betroffen sein können, wurde diese Vorstellung aufgegeben.“ (Quelle: WIKIPEDIA) Als „metamorph“ wird ein Gestein bezeichnet, „das aus einem Gestein beliebigen Typs infolge einer Erhöhung des Umgebungsdruckes bzw. der Umgebungstemperatur verhältnismäßig tief in der Erdkruste entsteht.“ Bei dieser Umwandlung wird der feste Zustand beibehalten.

Schon diese wenigen Bemerkungen werfen ein Licht auf die alles andere als unwandelbare Natur des Urgesteins, das man sich wohl eher als eine Art Weichei unter den Gesteinen vorstellen muss, jederzeit auf Druck reagierend, anpassungsfähig und stets bereit, tief unter der Erdkruste dunklen, ja sinistren, klandestinen, obskuren Zwecken zu dienen. So betrachtet erscheint das Urgestein natürlich geradezu wie geschaffen für die Welt der Politik, ist diese doch mit ihren vielen Gemengelagen (gerne auch „Gemangschelahsch „ ausgesprochen) der dunkelste Ort auf dieser Welt: der Ort, wo man den Menschen Steine statt Brot zu essen gibt, wo man mit den Steinen, die man in den dicken Brettern vor dem Kopf hat, die zu bohren die vornehmste Aufgabe der Politik ist, wo man mit diesen Steinen also auf andere wirft statt sie sich auf die eigenen Füße fallen zu lassen.

Es ist also einerseits wenig verwunderlich, dass auch zur heutigen Zeit und gerade in der Politik Urgesteine immer häufiger anzutreffen sind. Und damit sind wir nun endlich bei Norbert Blüm, dessen Karriere in der Gesteinsformation der freien Radikalen begann, ihn dann als Narr an den Hof Helmuts II. führte und der nun sein Leben als CDU-Urgestein fristet, bei all diesen durch eine Erhöhung des Umgebungsdruckes ausgelösten Metamorphosen freilich immer seine feste rundliche Gestalt behielt. Blüm darf heute wegen seiner Ubiquität und trotz einer gewissen Quecksilbrigkeit als Urbild, gewissermaßen als das Urgestein der Urgesteine gelten. Freilich ist er nicht allein, schon in der CDU selbst ist die Konkurrenz scharf. Heiner Geißler z.B. wird bald neben dem CDU- auch noch ein Attac-, vor allem aber ein Talkshow-Urgestein sein und vielleicht ist der Tag nicht fern, wo beide als erratische Blöcke aus dem Cambrium der BRD vor dem Bundeskanzleramt aufgestellt werden, um der Bundeskanzlerin, deren Urgesteinwerdung – wenn nicht alle Zeichen täuschen – gerade begonnen hat, den rechten Weg zu weisen. Ob man dermaleinst auch Blüms und Geißlers Altvorderen Helmut Kohl, auch ein Urgestein allererster Güte, dorthin stellen wird, steht dahin.

Prädestiniert für Urgesteine ist natürlich die SPD, die als älteste Partei auf deutschem Boden sozusagen insgesamt zum politischen Urgestein der Republik zählt und die mit Willy Brandt, Helmut Schmidt, Egon Bahr, Hans-Jochen Vogel und vielen anderen ein besonders hohes Urgestein-Aufkommen aufzuweisen hat. Geradezu als fleischgewordenes Urgestein – und damit gleichzeitig als Beispiel, wie das Urgestein bei aller Beibehaltung der festen Form doch seinen Charakter und seine Konsistenz ändern und wie es dergestalt den unterschiedlichsten Herren dienen kann – darf in der FDP Hans-Dietrich Genscher gelten, dieses rätselhaft-chamäleonartigste aller Urgesteine. Die Rolle wird ihm freilich von Gerhart Baum und Burkhard Hirsch streitig gemacht, die als politisches Doppel-Urgestein auftreten, darin dem Duo Blüm-Geißler nicht unähnlich, alle eng verwandt mit dem Duo Statler und Waldorf, den Urgesteinen der Muppets-Show.

Schwerer als die SPD hat es in der Disziplin Urgestein-Bildung „Die Linke“, denn sie ist noch nicht so alt wie es das Urgestein-Wesen eigentlich erfordert, hat aber andererseits natürlich viel mehr Erfahrung darin, sich unter Erhöhung des Umgebungsdrucks wechselnden Verhältnissen anzupassen, eine Erfahrung, die in den Biografien von Gregor Gysi und Oskar Lafontaine schön zum dialektischen Ausdruck kommt. Eine wechselhafte, gewissermaßen metamorphe Biografie weist auch Joschka Fischer auf, wobei zu erforschen wäre, ob es sich bei den Steinen, die er in seinen Street-Fighting-Years warf, um grüne Urgesteine gehandelt hat.

Dass man auch schon in vergleichsweise jungen Jahren zum Urgestein, nun ja: reifen kann, zeigt das Beispiel des SV Schalksmühle-Halver, der sich von seinem Urgestein, dem 29jährigen Christian Feldmann, trennt, weil dessen Gesundheit der ständigen Erhöhung des Umgebungsdrucks offensichtlich nicht mehr standhielt (handball-world.com, 7. März 2016). Da fehlte wohl einer wie „Dr. Bob – das Urgestein des Dschungelcamps“ (Gala).

Dass das beharrende Prinzip des Urgesteins und das dynamische des Motorsports keine Gegensätze sein müssen, macht Williams-Technikchef Pat Symonds deutlich: „Techniker-Urgestein erklärt: So lässt sich Überholen erzwingen“ (motorsport-total.com, 25. Februar 2016). Bleibt zu hoffen, dass das Urgestein nicht zum Geisterfahrer wird! Was aber ist das alles gegen Hans-Jürgen Ehlers: Der 76-Jährige ist „das Urgestein beim internationalen Tractorpulling am Pfingstmontag in Haßmoor“, dem Ereignis des Jahres in dem 290-Seelen-Dorf. Der Superpull des Nordens, heißt die Veranstaltung, die Hans-Jürgen Ehlers am 25. Mai von 10 bis 17 Uhr zum 24. Mal eröffnet. Der 76-Jährige hat mit seiner Leidenschaft am Pfingstmontag 1982 in Jübeck begonnen (Kieler-Nachrichten, 22. Mai 2015). Er brachte, um es mit einem Wort zu sagen, einen Urgestein ins Rollen. Like a rolling stone! +++ fuldainfo | gerhard merz