Litauen fordert von Deutschland auch Unterstützung bei Luftabwehr

Es ist ein Unterschied, ob man sagt, man sei vereint, oder ob man es auch zeigt

Angesichts der Spannungen mit Russland fordert Litauen von Deutschland nicht nur mehr Soldaten sondern auch Unterstützung bei der Luftverteidigung. Sein Land halte es für „absolut notwendig“ die Truppenpräsenz der NATO in Litauen zu verstärken, sagte der stellvertretende Verteidigungsminister Margiris Abukevicius der „Welt“ unmittelbar vor den Gesprächen von Bundeskanzler Scholz mit den Staats- und Regierungschefs der drei baltischen Staaten am Donnerstag in Berlin. „Es wäre aber auch wichtig, wenn Deutschland und andere Staaten mit Flugabwehrraketen oder Flugabwehrkanonen unsere Luftverteidigung verbessern würden und entsprechendes militärisches Gerät nach Litauen verlegten. Das würde die Abschreckung und unsere Verteidigungsfähigkeit spürbar verbessern. Es gibt jetzt das dringende Bedürfnis, eine klare Botschaft an Moskau zu senden.“

Verteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) hatte am Montag mitgeteilt, in den kommenden Tagen 350 weitere Soldaten nach Litauen zu entsenden. Bisher sind rund 500 deutsche Soldaten in dem baltischen Land stationiert. Deutschland bildet dabei im Rahmen der Enhanced Forward Presence die sogenannte Führungsnation einer NATO-Kampftruppe von etwa 1.000 bis 1.200 Soldaten, die alle sechs Monate rotieren. Abukevicius sagte weiter, die NATO dürfe nicht nur auf die russische Aggression im Osten reagieren, sondern müsse selbst die Initiative ergreifen: „Dies ist der richtige Zeitpunkt, die Länder im Baltikum militärisch zu verstärken. Das ist die einzige Sprache, die Putin versteht. Es ist ein Unterschied, ob man sagt, man sei vereint, oder ob man es auch zeigt. Wir müssen Russland glaubhaft abschrecken – und zwar jetzt.“ Der Vizeverteidigungsminister sieht in den angekündigten russischen Manövern in Weißrussland mit rund 30.000 Soldaten und atomwaffenfähigen Langstreckenbombern einen „gamechanger, der die Bedrohung der NATO, der baltischen Staaten und Polens deutlich erhöht“.

Abukevicius sagte weiter: „Wenn Russland seine Truppen nach dem angekündigten Manöver in Belarus nicht wieder abzieht – womit ich rechne – muss auch die NATO ihre Strategie der Enhanced Forward Presence (EFP) so verändern, dass die NATO-Truppen im Baltikum und in Polen dort permanent stationiert werden. Wir müssten sie dann auch noch besser ausrüsten.“ Abukevicius brachte auch eine künftige Mitarbeit der Ukraine an der EU-Verteidigungspolitik ins Spiel: „Ich kann mir auch durchaus vorstellen, die Ukraine langfristig an dem Projekt Schnelle Cyber-Reaktionsteams (Cyber Rapid Response Teams – CRRTs)zu beteiligen." Die EU-Verteidigungspolitik sieht eine Beteiligung von Drittstaaten ausdrücklich vor und das sollte auch für die Ukraine gelten. Die Unterstützung zur Abwehr von Cyberangriffen ist ein Projekt im Rahmen der sogenannten Permanenten Strukturierten Zusammenarbeit (Pesco) der EU-Staaten. Das Projekt wird von Litauen angeführt, ihm gehören außerdem fünf weitere Staaten an. Falls die Ukraine ein e Mitarbeit beantragen sollte, würden die EU-Länder in diesem Fall darüber entscheiden. Bisher beteiligen sich mit den USA, Norwegen und Kanada bereits drei Drittstaaten am Pesco-ProjektMilitärische Mobilität`.

Mehrheit der Europäer will Ukraine verteidigen

Ein Krieg in Europa – lange Zeit für viele Menschen undenkbar – erscheint den meisten Europäern angesichts der Ukraine-Krise wieder als mögliches Szenario. Umfragen der Denkfabrik European Council of Foreign Relations (ECFR) in Deutschland, Finnland, Frankreich, Italien, Polen, Rumänien und Schweden, über die die „Süddeutsche Zeitung“ berichtet, zeigen, dass die Mehrheit eine Invasion der Ukraine durch Russland noch in diesem Jahr für wahrscheinlich hält. Vor allem in den osteuropäischen Ländern herrscht diese Sorge vor; in Deutschland gehen immerhin 52 Prozent von einem russischen Angriff aus. Große Einigkeit besteht in der Frage, dass in diesem Fall die NATO oder die EU die Ukraine verteidigen sollte – mindestens 60 Prozent stimmen hier zu. Dabei bevorzugen Menschen in Polen, Deutschland, Rumänien und Italien einen Einsatz der NATO, Franzosen, Schweden und Finnen setzen hier eher auf die Europäische Union. Und etwa die Hälfte der Befragten sieht die USA, Deutschland oder Frankreich in der Pflicht.

Dass ihr eigenes Land sich an die Seite der Ukraine stellen sollte, findet allerdings nur in Polen eine Mehrheit (65 Prozent). In allen anderen Ländern reicht die Zustimmung von 43 Prozent (Schweden) bis 37 Prozent (Deutschland), unter den Finnen ist sogar nur jeder Fünfte dieser Meinung. In Deutschland sind der Umfrage zufolge Anhänger der Grünen und der SPD etwas eher bereit, die Ukraine zu verteidigen, als Wähler der Union. Und unter den AfD-Anhängern sind die meisten gegen einen solchen Einsatz. Wenn es um mögliche negative Folgen einer Auseinandersetzung mit Russland geht, zeigen sich deutliche Unterschiede zwischen den einzelnen Staaten. In Polen, Schweden und Rumänien sind mehr Menschen bereit, solche Folgen auf sich zu nehmen, als dies abzulehnen. Besorgniserregend finden die ECFR-Fachleute, dass gerade französische und deutsche Bürger am wenigsten bereit sind, mögliche negative Folgen für die Wirtschaft, hohe Energiepreise, u krainische Flüchtlinge, militärische oder Cyberangriffe durch Russland zu riskieren. Insgesamt aber, so die Experten, „dürfte der russische Präsident überrascht sein davon, dass die meisten Europäer offenbar bereit sind, die Ukraine zu verteidigen“. +++

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