Lauterbach: „Gutachten des Sachverständigenrats ist keine Bibel“

Herauskommen müssten dabei Maßnahmen für den Herbst

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) hat die Bedeutung des Sachverständigen-Gutachtens zu den Corona-Maßnahmen für die Ausarbeitung eines Schutzkonzepts für den Herbst relativiert. Das Gutachten sei „keine Bibel, aus der zu zitieren ist“ und auch „nicht das letzte Wort“, sagte er den ARD-Tagesthemen.

Darüber hinaus gebe es zahlreiche internationale Studien, die Expertise des eigenen Expertenrates und internationaler Wissenschaftler, die mitbeachtet werden müssten. „Das Gutachten ist ein Puzzlestück in einem größeren Puzzle.“ Angesprochen auf die in dem Gutachten massiv bemängelte dünne Datenlage räumte Lauterbach ein, man habe bislang „nicht die perfekten Daten gehabt“. Er blicke aber „nach vorne“, und ab September werde es mit jetzt eingeführten Maßnahmen wie etwa einem Pandemie-Radar in Krankenhäusern und einem Abwassermonitoring eine deutlich bessere Datenlage geben. „Wir werden die Daten im September haben, und dann brauchen wir sie auch“, so der SPD-Politiker. Gemeinsam mit Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) wolle er jetzt „sehr schnell“ zu Regelungen kommen, die die Bürger im Herbst und im Winter besser schützen, so der SPD-Politiker. Herauskommen müssten dabei Maßnahmen für den Herbst, die funktionierten. „Daran werden wir gemessen. Wenn uns das nicht gelingt, dann würden die Bürger im Herbst sagen, das ist misslungen, wir sind nicht gut geschützt im dritten Herbst der Pandemie.“ Dann könne man sich nicht hinter einem Gutachten verstecken oder sagen, das stand aber im Gutachten anders. „Sondern wir werden dafür verantwortlich gemacht, dass das was wir machen funktioniert.“ Dafür müsse man „die gesamte wissenschaftliche Evidenz heranziehen“ und genau das werde man tun. Zur Entwicklung der Corona-Lage sagte Lauterbach: „Es wird ein schwerer Herbst werden, wir müssen vorbereitet sein.“ Er glaube, dass „wir mit der BA.5-Variante, die sich jetzt hier ausbreitet, große Schwierigkeiten bekommen werden“ und rechne mit sehr hohen Fallzahlen, was auch zu einer Überlastung der kritischen Infrastruktur führen könne. „Das ist meine Befürchtung.“

Epidemiologe Ulrichs verteidigt Corona-Gutachten

Der Epidemiologe Timo Ulrichs von der Hochschule für Humanwissenschaften in Berlin verteidigt das Corona-Gutachten. „Aus handwerklicher Sicht ist das ein gut gemachter Bericht. Die Erkenntnisse sind durch Studien gedeckt“, sagte er „Ippen-Media“. Die Kernkritik des Berichts, wonach Daten fehlen, teilt Ulrichs. „Es ist tatsächlich schwierig, in Deutschland Corona-Daten zu erheben. Das liegt an ziemlich starken Beschränkungen, denen das Robert-Koch-Institut unterliegt. Personenbezogenen Daten sind zum Beispiel tabu. Das hat zur Folge, dass wir ziemlich hinterherhinken. Wir wissen nicht, wer geimpft ist.“ Andere Länder seien wesentlich weiter, zum Beispiel Israel. „Dort wurden Daten sehr schnell aufbereitet – nur dann können auch früh geeignete Maßnahmen ergriffen werden“, sagte der Gesundheitsexperte. Dazu komme ein weiterer Grund für die deutsche Langsamkeit: „Die Meldungen laufen über die Gesundheitsämter der Länder, die sehr unterschiedlich arbeiten „, so Ulrichs. Das erschwere es, Daten zentral zu bündeln. „Dazu wurden am Wochenende nie Zahlen geliefert. Unter der Woche schon, teilweise aber auch nur per Fax. Insgesamt war die Kommunikation nicht gerade am Zahn der Zeit.“ Ulrichs hätte sich von dem Bericht drastischere Forderungen gewünscht. „Dass Masken wichtig sind, war auch schon vorher klar. Was fehlt, ist die Forderung, jetzt wieder eine Maskenpflicht in Innenräumen einzuführen.“ Die Sommerwelle baue sich gerade auf. „Wenn die Politik zu lange wartet, hinken wir wieder hinterher. Den gleiche Fehler haben wir schon in den letzten beiden Sommern gemacht. Leider geht der Bundestag jetzt in die Sommerpause. So verschlafen wir die wichtigste Zeit, um endlich mal frühzeitig zu handeln“, sagte der Epidemiologe. +++