Katastrophenschützer verteidigt Maßnahmen

Energie- und Wasserwirtschaft fordert Rückbau versiegelter Flächen

Die Katastrophenschützer in Rheinland-Pfalz verteidigen sich gegen den Vorwurf, im Vorfeld der Überschwemmungen zu wenig gewarnt zu haben. „Diese Wetterlage konnte in dieser Heftigkeit nicht so frühzeitig vorhergesagt werden, um noch mehr Maßnahmen zu treffen. Aber mit unseren Maßnahmen konnten wir zumindest erreichen, dass keine Stauseedämme in Gefahr waren“, sagte Thomas Linnertz, Präsident der Aufsichts- und Dienstleistungsdirektion (ADD), die in Rheinland-Pfalz den Katastrophenschutz koordiniert, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Er vermute, dass viele Menschen die Warnungen falsch eingeschätzt haben. „Es gab schon am Mittwoch Warnungen des Deutschen Wetterdienstes, auch Katwarn und Nina haben ausgelöst. Viele Menschen haben jedoch gedacht, dass vielleicht der Keller volllaufen würde. Aber so hohe Pegelstände wie bei der Ahr, das hat noch niemand erlebt, das hat uns alle überrascht.“ Noch am Mittwoch hätten alle Landkreise und Einsatzleitungen die Situation weitgehend im Griff gehabt. Dann kippte die Lage jedoch schlagartig. „In der Nacht zu Donnerstag hat sich die Lage so dramatisch verändert, dass wir vor einem riesigen Problem standen. So viele Vorsichtsmaßnahmen können Sie gar nicht treffen, wie da Wasser vom Himmel prasselte. Die Flüsse sind so schnell angestiegen, dass wir gar nicht mehr die Menschen evakuieren konnten. Hinzu kommt, dass wir wegen des Mobilfunk- und Stromausfalls viele Menschen nicht erreichen konnten. Damit kämpfen wir weiterhin in vielen Regionen, und das ist auch einer der Gründe, warum so viele Menschen vermisst werden. Ich hoffe sehr, dass wir möglichst schnell die Menschen finden“, sagte Linnertz dem RND.

Mindestens 126 Tote nach Hochwasser – Weitere Opfer befürchtet
Beim Hochwasser im Südwesten und Westen Deutschlands sind mindestens 106 Menschen ums Leben gekommen, hinzu kommen mindestens 20 weitere Todesopfer jenseits der Grenze. Rheinland-Pfalz meldete mindestens 62 Tote, alle im Kreis Ahrweiler. NRW zählte mindestens 43 Todesopfer. Außerdem kam Tagebau Inden mit hoher Wahrscheinlichkeit ein Arbeiter ums Leben. „Vermutlich kann nicht mehr davon ausgegangen werden, den Mitarbeiter noch lebend zu finden“, teilte RWE am Freitagabend mit. Die Hochwasser führende Inde hatte bei Lamersdorf einen Deich überspült und war anschließend in den Tagebau eingedrungen. Der 58-jährige Beschäftigte wurde von den Wassermassen mitgerissen. In Erftstadt sagte ein Vertreter des Krisenstabes, es werde mit mehreren Todesopfern gerechnet, nachdem ein Ortszeit weitgehend über- und unterspült wurde. Unter anderem, weil Einsatzkräfte beobachtet hätten, wie Fahrzeuge mit Insassen von Wassermassen weggerissen wurden. Die Polizei Koblenz ermahnte, trotz teilweise aufgehobener Straßensperrungen Fahrten in die Katastrophengebiete zu vermeiden und Platz für die Einsatzfahrzeuge zu lassen. Die Stadt Trier teilte mit, im Moment würden keine Helfer benötigt. Auch Sachspenden würden derzeit nicht gebraucht. Stattdessen solle man spenden. In Belgien wurden in Zusammenhang mit dem Hochwasser mindestens 20 Todesopfer gezählt, für den 20. Juli wurde Staatstrauer angeordnet.

Städte und Gemeinden fordern schnelle Hilfe nach Unwetter
Der Deutsche Städte- und Gemeindebund fordert schnelle Hilfen von Bund und Ländern nach der Unwetterkatastrophe, aber auch verkürzte Planungsverfahren für Klima- und Katastrophenschutzprojekte. In den betroffenen Städten und Kreisen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz seien Teile der Infrastruktur weitgehend zerstört, sagte der Hauptgeschäftsführer des Städte- und Gemeindebundes, Gerd Landsberg, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Hier brauchen wir einen nationalen Kraftakt des Bundes und der betroffenen Bundesländer, mit dem der Wiederaufbau schnell und unbürokratisch organisiert und finanziert werden kann.“ Es müssten kurzfristig Ersthilfen bereitgestellt werden, aber auch Finanzzusagen für nötige Baumaßnahmen erfolgen. „Gleichzeitig zeigt die Katastrophe, dass wir die Anstrengungen nicht nur im Hinblick auf den Klimawandel, sondern insbesondere auch mit Blick auf die Klimafolgenanpassung deutlich verstärken müssen“, sagte Landsberg weite  r. Dazu gehöre insbesondere ein Klimaschutzbeschleunigungsgesetz, so dass die Planungsverfahren beschleunigt und mögliche Gerichtsverfahren verkürzt würden. „Hier kann man sich beispielsweise die Erweiterung oder den Neubau von Talsperren, die Schaffung von großen Überschwemmungsgebieten, aber auch den Umbau unserer Innenstädte mit mehr Grün und mehr Freiflächen vorstellen“, so der Hauptgeschäftsführer. „Die für einen klimagerechten ökologischen Umbau in der Fläche notwendigen Mittel können die Kommunen niemals alleine aufbringen“, sagte Landsberg. „Deswegen muss aus der weiteren CO2-Bepreisung langfristig finanzieller Spielraum für derartige Maßnahmen geschaffen werden.“

Umweltbundesamt-Chef fordert nach Unwetter konsequenten Klimaschutz
Der Chef des Umweltbundesamts, Dirk Messner, fordert nach der Unwetter-Katastrophe in NRW und Rheinland-Pfalz konsequenten Klimaschutz. „Wer zurzeit im Westen des Landes aus dem Fenster schaut, sieht die dramatischen Folgen des Klimawandels“, sagte er den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Die Richtung stimmt“, so Messner weiter. Das „Fit for 55“-Paket, dass die EU-Kommission am Mittwoch vorgelegt hat, mache Klimaschutz zum europäischen Zukunftsprojekt. „Positiv stimmt dabei insbesondere, dass in allen entscheidenden Handlungsfeldern Ziele mit umfassenden, konkreten Maßnahmen und Instrumenten hinterlegt werden“, sagte der Amtsleiter. „Vor allem für den Verkehr und Gebäudesektor brauchen wir diese Maßnahmen dringend.“ Die Kommission habe wichtige Bausteine für den Weg in ein klimaneutrales Europa vorgelegt, sagte Messner. Jetzt gehe es darum, einen Konsens unter den Mitgliedsstaaten herzustellen: „Deutschland muss dabei eine entscheidende Rolle spielen und im Sinne europäischer Solidarität handeln.“ Die Energieforscherin des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), Claudia Kemfert, kritisiert die Klimapolitik in Nordrhein-Westfalen: „Die klimapolitische Bilanz in NRW ist mau, insbesondere da der Kohleausstieg zu spät kommt, Tagebaugebiete hätten früher geschlossen und Dörfer nicht abgebaggert und umgesiedelt werden müssen“, sagte die Ökonomin der „Rheinischen Post“. Die beschlossenen Klimaziele seien „unambitioniert und nicht kompatibel“ mit den Pariser Klimazielen. „Besonders sichtbar“ sei der unzureichende Klimaschutz am schleppenden Ausbau der erneuerbaren Energien in NRW, sagte Kemfert. Mit den pauschalen Abstandsregeln für Windenergie sei der Ausbau praktisch zum Erliegen gebracht, auch die Solarenergiepotenziale würden nicht genutzt. Bisherige Bau- und Infrastrukturplanungen berücksichtigten zu wenig extreme Klima- und Wetterereignisse, so Kempfert. Zudem sei der bisherige Hochwasserschutz unzureichend. W eniger Bodenversiegelung sowie Kanalisierung von Flüssen, ausreichende Überflutungsflächen für den Hochwasserabfluss und mehr Deichschutz seien zur Risikovorsorge notwendig.

Rückversicherer erwartet mehr Naturkatastrophen
Der Rückversicherungskonzern Münchener Rück erwartet eine Zunahme von Schäden durch Gewitterstürme und andere Naturkatastrophen in Deutschland. „Wir beobachten empirisch, dass die Schäden kontinuierlich steigen“, sagte der Chef-Klimatologe des Münchner Unternehmens, Ernst Rauch, dem „Spiegel“. Es gebe mehr Häuser, Gebäude und Fahrzeuge und somit mehr Werte, die Schaden nehmen könnten. Zudem sieht er „klare Indizien, dass ein Teil der wachsenden Schäden nicht sozioökonomisch zu erklären, sondern dem Klimawandel zuzuordnen ist“. Die jüngsten Überschwemmungen hätten ihn nicht überrascht, so Rauch. „Sie sind Teil einer Entwicklung, die wir in Europa und teilweise auch in Deutschland schon seit vielen Jahren beobachten.“ Rauch zufolge haben Sommergewitter in Deutschland in typischen Jahren zwei bis drei Milliarden Euro Schaden verursacht, Tendenz steigend. Der Trend werde sich fortsetzen. „Wir erwarten eine Zunahme von Naturereignissen wie Schwergewitt ern.“ Anders als etwa in Florida, wo der Versicherungsschutz für Gebäude um das 20- bis 30-fache teurer sei als in Deutschland und einige tausend Dollar pro Jahr betrage, bleibe die Absicherung von Klimarisiken hierzulande bezahlbar. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) erklärt sich die jüngste Unwetterkatastrophe ähnlich: „Da soll man sich nichts vormachen, wir sind mitten im Klimawandel und was da gerade passiert, ist ein schlimmes Beispiel dafür. Und ich fürchte es wird nicht das letzte Beispiel sei“, sagte er am Freitag RTL/ntv. Es gebe keinen Streit mehr darüber, dass man Klimaschutz massiv vorantreiben müsse. „Wir müssen allerdings um die Wege ringen, denn das ist ein unendlich schwieriges Projekt“, so der SPD-Politiker. Die Ministerpräsidentin des besonders betroffenen Bundeslandes Rheinland-Pfalz, Malu Dreyer (SPD), kritisierte in dem Zusammenhang die deutsche Klimapolitik: „In den vergangenen Jahren haben wir in Deutschland vieles nicht umgesetzt, was notwendig gewesen wäre“, sagte sie den Zeitungen der „Funke-Mediengruppe“. Die Unterstützung des Umbaus der Wirtschaft zu einer klimaneutralen Produktion sei „im großen Stil“ an der CDU/CSU gescheitert.

Energie- und Wasserwirtschaft fordert Rückbau versiegelter Flächen
Der Spitzenverband der Energie- und Wasserwirtschaft (BDEW) fordert angesichts der Hochwasserkatastrophe, die Betonierung der Innenstädte drastisch zu reduzieren. „Insgesamt sind heute deutlich zu viele Flächen versiegelt, hier müssen durch eine integrierte städtebauliche Planung wieder mehr Versickerungsflächen entstehen“, sagte BDEW-Hauptgeschäftsführer Martin Weyand dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. Außerdem müsse die Fähigkeit geschaffen werden, Wasser zu speichern, etwa durch die Begrünung von Fassaden und Dächern. Weyand sagte ferner: „Extremwetterlagen nehmen durch den Klimawandel zu – die aktuellen Hochwasser-Ereignisse, aber auch die langen Trockenperioden in den Vorjahren belegen das. Das hat auch Auswirkungen auf unsere Trinkwasserversorgung.“ Der sichere Schutz der verbleibenden Trinkwasserressourcen vor Verunreinigungen müsse in den Fokus rücken. „Die Politik muss endlich EU-Nitratrichtlinie vollumfänglich umsetzen und für eine verursachergerechte Finanzierung der Abwasserentsorgung sorgen. Unsere Trinkwasserressourcen dürfen wir nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.“

Wetterdienst sieht Klimawandel nicht als Flut-Ursache
Nach Ansicht des Deutschen Wetterdienstes (DWD) ist nicht bewiesen, dass der Klimawandel die verheerende Flutkatastrophe im Westen Deutschlands ausgelöst hat. Diplom-Meteorologe Andreas Friedrich vom Deutschen Wetterdienst sagte der „Bild“: „Ein solches regionales Unwetter ist ein Einzelereignis, das ist Wetter. Die Behauptung, der Klimawandel ist schuld, ist so nicht haltbar.“ Allerdings gebe es in der Tat eine Häufung schwerer Unwetter seit zwei Jahrzehnten. „Unsere Klimatologen nehmen einen Anstieg solcher Unwetterereignisse in den vergangenen 20 Jahren wahr.“ Für wissenschaftliche Aussagen über das Klima reiche diese Datengrundlage jedoch nicht aus. Friedrich widersprach damit den Aussagen führender Politiker von Union, SPD und Grünen, die den Klimawandel schnell als Flut-Ursache benannt hatten. Auch Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hatte angemahnt, den Kampf gegen den Klimawandel entschieden auzufnehmen, um „Extremwett  erlagen wie diese“ in Grenzen zu halten. Die Verbindung des extremen Starkregens mit dem Klimawandel widerspricht laut „Bild“ auch der Position des Umweltbundesamtes. Bereits in einer Veröffentlichung von 2019 („Monitoringbericht zur Deutschen Anpassungsstrategie an den Klimawandel“) hatte die Bundesbehörde betont, dass es für Deutschland keinen Trend zu mehr Hochwasser im Sommer und auch keinen Anstieg der Niederschlagsmengen im Sommer gebe. „Ein einzelnes Hochwasserereignis lässt sich nicht mit dem Klimawandel erklären“, schrieben die Experten zudem.

FDP will Bundestagsabgeordnete aus dem Urlaub holen
Die FDP fordert eine Sondersitzung des Bundestages, um weitere Hilfen für Opfer der Unwetterkatastrophe im Westen Deutschlands anzuschieben. „Wichtig ist, dass den Menschen in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz schnellstmöglich geholfen wird. Dafür muss der Bund zeitnah eine unbürokratische Nothilfe beschließen“, sagte der Parlamentarische Geschäftsführer der FDP-Bundestagsfraktion, Marco Buschmann, dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Die Bundesländer alleine können das nicht leisten.“ Dabei könne man auf bewährte Mechanismen setzen. „Mit dem Aufbauhilfefonds aus dem Jahr 2013 haben wir so ein Instrument. Dieser sollte aufgestockt und genutzt werden, damit schnell den Menschen geholfen werden kann, die vor den Trümmern ihrer Existenz stehen“, sagte Buschmann. „Der Deutsche Bundestag könnte das bei einer baldigen Sondersitzung auf den Weg bringen“, schlug er vor. „Dies wäre zusätzlich auch ein deutliches Signal an die vielen betroffenen Menschen, dass das Parlament ihnen zur Seite steht.“ +++

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