Juso-Chef Kühnert will mit der Logik hinter Hartz IV brechen

Coming-Out für viele junge Menschen immer noch schwierig

Berlin. Juso-Chef Kevin Kühnert mahnt, die SPD müsse in ihrem Erneuerungsprozess mit der Logik hinter Hartz IV brechen. „Wir wollen etwas Gerechteres als Hartz IV, das breite Akzeptanz genießt“, sagte Kühnert der „Frankfurter Rundschau“. „Es darf nicht nur um die 78. Korrektur einer Reform gehen, die ganz viele Menschen abgrundtief ablehnen“, fügte er hinzu. „Mein Ziel ist nicht, dass am Ende nur rauskommt: Hartz IV war doof“, erläuterte Kühnert. „Mein Ziel ist, dass wir mit der Logik dahinter brechen, die nämlich nicht nur Betroffenen als Drohkulisse erscheint.“ Jetzt sei die ganze Partei gefordert, im Erneuerungsprozess etwas Besseres zu finden. „Die Höhe der Regelsätze, Sanktionen, Weiterbildung, Schonvermögen und wie wir Kinder aus diesem System rausbekommen – das alles steht auf der To-do-Liste“, sagte der Juso-Vorsitzende. „Die Erneuerung der SPD ist erst dann gelungen, wenn diesmal nicht nur die SPD selbst findet, dass sie gelungen ist“, sagte er.

„Der Personenkult war absurd“

Kevin Kühnert findet den Hype absurd, der sich während der No-Groko-Kampagne um seine Person entwickelt hatte. „Der Personenkult war absurd“, sagte der Vorsitzende der SPD-Jugendorganisation dem Kölner Stadt-Anzeiger. „Ich bin ja auch gar nicht der Entdecker einer Geheimrezeptur, wie man die Sozialdemokratie im 21. Jahrhundert retten kann“, fügte er hinzu. „Ich habe mit den Jusos zusammen zunächst mal nur die Position gehalten, die der SPD-Parteivorstand im September und im November zwei Mal beschlossen hatte: Die große Koalition ist abgewählt.“ Dass die Jusos damit solche Kreise gezogen hätten, habe auch daran gelegen, „dass wir die einzige organisierte Gruppe in der SPD waren, die das so durchgezogen hat. Da hatten wir eine gewisse Exklusivität“, sagte Kühnert. Auf die Frage, ob er Angst hatte, dass er wie Schulz nach dem Hype auch schnell wieder abstürzen könnte, sagte Kühnert: „Das war mir nicht so wichtig. Martin Schulz hat Hype und Absturz in einer Bewerbungssituation erlebt: Er wollte Kanzler werden. Ich war ja schon in dem Amt, in dem ich gern arbeiten wollte: Juso-Vorsitzender.“ Seine Aufgabe sei, die politische Stimme eines Jugendverbandes zu sein. „Den Job kann man auch machen, ohne dass dafür alle applaudieren“, so der Juso-Chef.

Coming-Out für viele junge Menschen immer noch schwierig

Sein öffentliches Coming-Out hat anderen jungen Menschen den Schritt im eigenen Lebensumfeld leichter macht. „Ich selbst war so 15, 16 Jahre alt, als ich mein Coming Out hatte – die Situation hat sich gar nicht so tief in mein Gedächtnis eingraviert“, sagte er der Berliner Zeitung. „Das liegt vermutlich daran, dass ich Glück hatte. Bei mir war ziemlich schnell alles fein. Das wünsche ich anderen auch“, fügt er hinzu. Zu vereinzelter Kritik, man müsse doch über solche Themen gar nicht mehr reden, sagte er: „Wer in der Öffentlichkeit steht, muss sich darauf einstellen, im Zweifel immer wieder nach einer Freundin gefragt zu werden. Ich hätte also die Möglichkeit gehabt, dann jedes Mal verlegen auf den Boden zu schauen. Oder eben einfach offen und selbstverständlich darüber zu sprechen, dass ich schwul bin.“ Kühnert ergänzte: „Das war mir auch deshalb wichtig, weil es noch immer viele junge Menschen gibt, für die das Coming-Out schwierig ist. Mir haben einige 16-Jährige geschrieben, die sich bei mir für die Ermutigung bedankt haben.“ Auf die Frage, ob wir in 30 Jahren in einem Land leben, in dem es überhaupt keine Rolle mehr spielt, ob jemand schwul ist oder nicht, antwortete er: „Eindeutig nein. Dafür ist Sexualität viel zu sehr ein Thema, für das sich die Menschen immer interessieren.“ Und es werde in der Gesellschaft auch noch lange so sein, dass kleinere Gruppen Gesprächsthema der Mehrheitsgesellschaft seien: „Linkshänder eher als Rechtshänder, Homosexuelle mehr als Heterosexuelle.“ Das sei ja auch nicht weiter schlimm. „Es geht einfach nur um die Selbstverständlichkeit, dass jeder so leben kann, wie er will und wie er ist“, sagte er. +++

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