Iglu-Leiterin sieht falsche Entwicklung im Bildungssystem

Özdemir beklagt Pisa-Studie und will Konsequenzen ohne Tabus

Die Leiterin der Internationalen Grundschul-Lese-Untersuchung (Iglu), Nele McElvany, sieht das historisch schlechte Abschneiden von Schülern hierzulande in der jüngsten Pisa-Studie als Resultat einer grundlegend falschen Entwicklung im Bildungssystem. „Vor allem sind wir nicht nur in der Mitte im internationalen Vergleich, sondern wir sind im Mittel schlechter, als wir es früher waren: Das heißt, wir haben nicht ein Bildungssystem, das seine gute Stellung hält oder das sich in eine positive Richtung entwickelt“, sagte McElvany der „Welt“.

Man sei ein Bildungssystem, in dem die Schüler „im Laufe der Zeit schwächere Leistungen bringen, und zwar in Mathematik genauso wie im Lesen und in den Naturwissenschaften und das ist dann ein Problem“. Elvany rät Deutschland davon ab, Lehrmethoden asiatischer Länder wie Singapur, Südkorea und Japan, die in der Pisa-Studie Spitzenplätze belegen, zu kopieren. „Ich würde auf keinen Fall dafür plädieren, dass wir das asiatische Leistungsdruck-System übernehmen.“ Stattdessen sei „eine systematische Förderung der Kernkompetenzen“ nötig: Lesekompetenz, mathematische Kompetenzen, naturwissenschaftliche Kompetenzen, mit wirksamen Methoden und in Kombination mit regelmäßigem Screening der Schüler wie etwa in Singapur. „So sehen wir frühzeitig, wer welche zusätzlichen Förderbedarfe hat. Damit gäben wir Kindern und Jugendlichen die Chance, die Defizite rechtzeitig aufzuholen.“

Özdemir beklagt Pisa-Studie und will Konsequenzen ohne Tabus

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Grüne) fordert angesichts der desaströsen Ergebnisse der jüngsten Pisa-Studie zum Handeln auf und begründet dies auch mit seiner eigenen Migrationsbiografie. „Die Zahlen der neuen Pisa-Studie sind alarmierend“, sagte er dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“. „Wir sind darauf angewiesen, dass wir unsere Kinder bestmöglich auf das Leben vorbereiten, dazu gehört auch eine exzellente Schulbildung. Wenn wir das geistige Vermögen unseres Landes nicht in jeder Generation erneuern und stärken, dann sind wir weg vom Fenster.“ Dabei seien auch Investitionen nötig. „Man kann an der Bildung sparen, dann zahlt man später aber doppelt und dreifach, weil man die Erwachsenen alimentieren muss. Volkswirtschaftlich ist ein ausreichend finanziertes Bildungssystem jedenfalls allemal billiger, als später ein Leben lang Menschen staatlicherseits unterstützen zu müssen.“ Ihm hätte ein bedingungsloses Grundeinkommen für seine Eltern nicht geholfen, sagte der Grünen-Politiker, der ein Kind türkischer Arbeiter ist. „Was uns aber geholfen hätte, wären eine Kita und eine Ganztagsschule gewesen, die den Namen verdient, mit einem gesunden und vollwertigen Mittagessen.“ Er beklagt, dass es Deutschland generell nicht schaffe, den Bildungserfolg von der Herkunft abzukoppeln: „Darum müssen wir uns dringend kümmern und dabei darf es keine Tabus geben.“ Kinder aus ärmeren Familien, mit und ohne Migrationsgeschichte, hätten es überdurchschnittlich schwer – „als Kind einer sogenannten Gastarbeiterfamilie kenne ich das aus eigenem Erleben“. Jedenfalls dürfe es nicht sein, dass man die Leistungsanforderungen in den Schulen den zurückgehenden Fähigkeiten anpasse und etwa Diktate abschaffe. „Das halte ich für einen Fehler, auch wenn ich bei Diktaten selbst oft eine Fünf hatte. Mein Beispiel zeigt schließlich auch, dass man es irgendwann mal lernen kann.“ Außerdem müssten die Kindertagesstätten noch stärker auf die Schule vorbereiten. +++

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