Forum für Experten: Wildnis-Symposium auf der Wasserkuppe

Gersfeld.  Eine wichtige Aufgabe des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön ist die Bildungsarbeit. Kürzlich lud die Hessische Verwaltungsstelle zu einem Wildnis-Symposium mit ausgewiesenen Experten ins Groenhoff-Haus ein. Über drei Stunden lang referierten sie zu unterschiedlichen Aspekten von Wildnis und standen anschließend für Fragen zur Verfügung.

In seiner Begrüßung betonte Martin Kremer, stellvertretender Leiter der Biosphärenreservatsverwaltung und Geschäftsführer des Vereins Natur- und Lebensraum Rhön e. V., die Wichtigkeit, den Schutz der Wildnis zu kommunizieren und die Öffentlichkeit zu informieren. Man müsse die Menschen vor allem auch emotional erreichen, damit die gewonnenen Erkenntnisse in gesellschaftliches Handeln umgesetzt werden können. Das Symposium solle dazu Denkanstöße geben.

Als erster Redner hielt Max Rossberg, Vorsitzender der Euopean Wilderness Society (EWS), einen Vortrag zum Thema „Realisierung einer Wildnisstrategie für Europa“.
Die EWS strebt europaweite Wildnisgebiete mit einer Mindestgröße von 1.000 Hektar an. In diesen Gebieten dürfe es weder Waldbau, noch Jagd geben. Die Natur müsse vollständig sich selbst überlassen werden. Die damit einhergehenden Prozesse seien völlig ergebnisoffen. Es sei aber wahrscheinlich, dass in solchen „Wilderness“-Gebieten sich z. B. Wolf, Luchs und Bär wieder ungestört ausbreiten könnten. Das Ziel der EWS sei ein Netz großer Wildnisgebiete in Europa, wobei auch die Rhön als „Trittstein“ eine Rolle spielen könnte.

Prof. Dr. Roman Türk, Vorsitzender des Naturschutzbundes Österreich und international renommierter Flechten- und Moosforscher führte die Zuhörer in die Welt der „Moose und Flechten als Zeiger der Wildnisentwicklung“ ein. Die faszinierenden Symbioseorganismen aus Pilz, Alge und Bakterium, die im Idealfall ein biblisches Alter von bis zu zwei Millionen Jahren und mehr erreichen könnten, würden leider zunehmend verschwinden. Flechten seien besonders anfällig für Luftverschmutzung (Luftstickstoffe und Aerosole), damit aber auch äußerst sensible Indikatoren dieses Umweltproblems.

Dipl.-Biologe Uwe Barth, der seit über 20 Jahren die Rhöner Pflanzenwelt erforscht, referierte über die „Entwicklung der Rhöner Flora in Prozessschutzflächen“.
Der „Rhönbotaniker“ ist beteiligt am offiziellen, alle zehn Jahre wiederholten Kernzonen-Monitoring. Die PSI-Methode, nach der über die Schutzgebiete ein Raster von 100 x 100 m gelegt wird, sei insofern problematisch, als dass dieses grobe Raster in Anbetracht der oft kleinräumigen unterschiedlichen Biotoptypen in unseren Kernzonen erhebliche Lücken aufweisen kann.

Die Hessische Rhön praktiziere daher begleitend eine Kartierung mit Ehrenamtlichen, bei der Jahr für Jahr ein bis zwei Schutzgebiete im Detail analysiert und die Ergebnisse auch kartenmäßig erfasst werden. Das Verfahren ermögliche mit geringem finanziellen Aufwand eine kontinuierliche Beobachtung bei hoher Transparenz und Einbindung der Bevölkerung. Die Hessische Verwaltungsstelle des UNESCO-Biosphärenreservats Rhön unterstützt dieses Monitoring mit Hilfe von Ehrenamtlichen seit über 10 Jahren. Dies sei ein gelungenes Beispiel für „Citizen Science“, einer Wissenschaft, die von bürgerlichem Interesse und Engagement getragen wird.

Zum Schluss informierte Jörg Tuchbreiter von der Bundesanstalt für Immobilien und Bundesforsten über „Wildnisentwicklung und Waldmonitoring auf Liegenschaften der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben“. Der Referent erläuterte die Deutsche Biodiversitätsstrategie, die vorsieht, dass 2 % der Fläche der Bundesrepublik Deutschland und 5 % der deutschen Waldfläche aus der Nutzung genommen werden. Zentrale Bedeutung haben dabei die ehemaligen, nun ungenutzten Truppenübungsplätze. Diese werden überwiegend in das sog. Nationale Naturerbe und damit in die Betreuung durch die Deutsche Bundesumweltstiftung (DBU) überführt. Derzeit sind vom Bund bereits 155.000 ha bereitgestellt.

Einmalig in Deutschland: Im rund 7.000 Hektar großen Truppenübungsplatz Wildflecken sind über 980 Hektar als Kernzone ausgewiesen. Zwar hat die militärische Nutzung nach wie vor Vorrang, allerdings ist auf die Zonierung Rücksicht zu nehmen. Inzwischen gibt es in vielen Truppenübungsplätzen sog. Prozessschutzflächen, in denen seit Jahrzehnten keine Nutzung mehr stattfindet und in denen sich kleinflächig Wildnis entwickelt.

Zusammenfassend lässt sich festgehalten, dass das Thema Wildnis europaweit im Gespräch ist und ein Blick über den Tellerrand lohnt. Beim Wildnis-Monitoring ist die Rhön dank einer breiten ehrenamtlichen Unterstützung gut aufgestellt und Vorbild für andere Schutzgebiete. Allein in der hessischen Rhön konnten inzwischen 22 Kernzonen mit einer Gesamtfläche von rund 2.000 Hektar Gesamtfläche ausgewiesen werden. Teilweise haben sie bereits einen erheblichen Wildnischarakter. Es bedarf aber auch künftig kontinuierlicher Anstrengung, diese Wildnisgebiete zu sichern und für deren Akzeptanz zu werben. +++ fuldainfo

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