Europarechtler: EZB überschreitet ihre Befugnisse

Berlin. Nach Einschätzung des Londoner Europarechtlers Gunnar Beck überschreitet die Europäische Zentralbank (EZB) mit ihren jüngsten geldpolitischen Entscheidungen ihre Befugnisse. Die EZB setze sich mit ihrer Politik „willkürlich über EU- und Verfassungsrecht hinweg“, sagte der Professor für EU-Recht an der Universität London „Handelsblatt-Online“. Mit dem Aufkauf verbriefter Unternehmenskredite steige die Zentralbank direkt in die Unternehmensfinanzierung ein. Das sei „ein eindeutiger Verstoß gegen ihr Mandat, denn die EU-Verträge beschränken die Rolle der EZB auf die Geldpolitik und den Kampf gegen Inflation und enthalten ihr allgemein wirtschaftspolitische Aufgaben vor“. „Außerdem verschleiern Kreditverbriefungen oder Asset Backed Securities (ABS) Risiken und gelten als einer der Gründe für die US-Finanzkrise.“

Die von EZB-Präsident Mario Draghi außerdem favorisierten Staatsanleihekäufe seien überdies laut den EU-Verträgen „sowohl bei Direktkäufen als auch beim Erwerb über die Kapitalmärkte strikt verboten, sofern diese staatliche Finanzierungsbedingungen erleichtern“, sagte Beck weiter. Der Jurist warnt vor den Folgen einer solchen Geldpolitik. Mit ihren Käufen dränge die EZB private Investoren aus dem Anleihemarkt. Die zusätzliche Nachfrage wirke sich zudem auf die Anleihenkurse, deren Rendite und somit auch auf die Finanzierungskosten der Emittenten aus. Der Rückkauf von Staatsanleihen (Quantitatives Easing) sei also verbotene monetäre Staatsfinanzierung, selbst wenn diese nicht, wie beim EZB-Programm zum Kauf von Staatsanleihen, OMT (Outright Monetary Transaction), auf Krisenstaaten beschränkt sei. Die EZB hatte am Donnerstag ihren Leitzins überraschend von bisher 0,15 Prozent auf 0,05 Prozent und damit auf ein neues Rekordtief gesenkt. Volkswirte hatten mehrheitlich unveränderte Zinsen erwartet. Zudem greift die Zentralbank zur Bekämpfung von Wachstumsschwäche und Niedriginflation tief in ihre Instrumentenkiste. So will sie ab Oktober mit Krediten besicherte Wertpapiere (ABS) sowie sogenannte gedeckte Anleihen (Covered Bonds) kaufen. Dazu gehören etwa Pfandbriefe.

Rentsch: Skandalöser Akt der Geldvernichtung

Als „skandalösen Akt der Geldvernichtung“ bezeichnete der Vorsitzende der FDP-Fraktion im Hessischen Landtag, Florian Rentsch, die Senkung des Leitzinses im Euroraum auf das Rekordtief von 0,05 Prozent durch die Europäische Zentralbank (EZB). „Es ist erschreckend, dass die Niedrigzinspolitik der EZB offenbar keinerlei Grenzen kennt. Für uns als tragende Volkswirtschaft der EU ist diese Entwicklung mittlerweile höchst bedrohlich, da derartige Entscheidungen massive Nachteile nach sich ziehen. Es kann nicht sein, dass die EZB nur noch Politik für Krisenstaaten macht. Wir brauchen wieder eine vernünftige Zinspolitik, die auch die Situation in anderen Staaten berücksichtigt“, so Rentsch. Die Niedrigzinspolitik der EZB verfolge aktuell einseitig die Interessen der Krisenstaaten und verhindere dadurch zugleich den Druck auf notwendige Reformen. „Es muss doch klar sein, dass Investitionen, die bislang nicht getätigt wurden, bei einer Senkung auf 0,05 Prozent nicht attraktiver werden. Vielmehr werden auf diese in den Krisenländern neue Blasen, beispielsweise im Immobilienbereich, angeheizt“, erklärte Rentsch. Für Deutschland seien die Folgen für alle Sparer, aber vor allem auch in der Altersvorsorge verheerend. „Was gerade geschieht, ist faktisch eine kalte Enteignung. Entsprechend halten wir es für mehr als fahrlässig, dass die Große Koalition parallel zu dieser gefährlichen Situation erhebliche Mehrbelastungen im Rentensystem beschließt. Dass CDU-Vize Bouffier es ohne Einwände mitträgt, dass die Altersvorsorge sehenden Auges an den Abgrund geführt wird, ist bedauerlich. Eine vorausschauende Politik sieht anders aus.“

Linkspartei fordert sofortige Senkung der Dispo-Zinsen

Die Linkspartei fordert, dass die Banken die Leitzinssenkung der Europäischen Zentralbank (EZB) umgehend an die Kunden weitergeben: „Die neuerliche Zinssenkung müssen die Banken sofort zum Anlass nehmen, die Dispo-Zinsen deutlich zu senken, denn ansonsten wird die Gerechtigkeitslücke bei den Zinsen immer größer“, sagte die Vize-Vorsitzende der Linksfraktion im Bundestag, Caren Lay, „Handelsblatt-Online“. „Es kann nicht sein, dass die Banken das Geld für lau kriegen und es an die Kunden für zehn Prozent Zinsen verleihen. Das ist eine Gelddruckmaschine für Banken.“ Lay bekräftigte zudem die Forderung nach einem gesetzlichen Deckel für Dispo-Zinsen. „Die dürften künftig maximal fünf Prozentpunkte über dem Leitzins liegen“, sagte sie. „Das würde eine sofortige Halbierung der Dispo-Zinsen bewirken.“ +++ fuldainfo