Ethikratsvorsitzende offen für Ende der Impfpriorisierung

Astrazeneca wird in vielen Impfzentren verschmäht

Die Ethikratsvorsitzende Alena Buyx hat in der Debatte um ein mögliches Ende der Impfpriorisierung bis Anfang Juni bei genügend Impfstoff Offenheit signalisiert. „Die primär vulnerabilitätsorientierte Priorisierung war und ist richtig und wichtig, sie hat bereits viele Leben gerettet“, sagte sie der „Rheinischen Post“. „Sie war aber von vornherein nur auf Zeit gedacht, für die Phase der initialen erheblichen Knappheit.“

Je weniger knapp der Impfstoff, desto weniger Priorisierung sei nötig und gerechtfertigt. „Wenn die Menschen in den priorisierten Gruppen ein Impfangebot erhalten haben, dann ist es aus ethischer Perspektive sogar geboten, dass die Priorisierung ausläuft und der Zugang zur Impfung erweitert wird“, sagte Buyx. „Davon unabhängig sollte in jedem Fall vermieden werden, dass Impfstoffe nicht verteilt werden können und entsorgt werden müssen“, sagte die Ethikratsvorsitzende. Der Deutsche Hausärzteverband glaubt, dass ab Ende Mai die Impfpriorisierung in Deutschland aufgehoben werden könnte. Voraussetzung sei allerdings, dass bis dahin alle Risikogruppen geimpft wurden, sagte Vorstandsmitglied Jens Wagenknecht dem Nachrichtenportal T-online. „Der Mai muss ein Monat des Impfens werden.“ Um das Ziel zu erreichen, müsse man nun den Arztpraxen so viel Impfstoff wie möglich zur Verfügung stellen. Denn die Hausärzte könnten noch deutlich mehr leisten: „Wir können mehrere Millionen Menschen pro Woche impfen, wenn der Impfstoff da ist.“ Engpässe oder lange Wartezeiten erwartet Wagenknecht nicht, sobald die Impfpriorisierung aufgehoben ist. Die Praxen könnten auch Massenimpfungen durchführen: „Wenn Sie 55.000 Arztpraxen miteinbeziehen, ist es nur eine Frage von Wochen, bis wir jeden geimpft haben.“

Astrazeneca wird in vielen Impfzentren verschmäht

Die Ablehnung gegen den Impfstoff des Herstellers Astrazeneca führt dazu, dass in vielen Bundesländern Impftermine verfallen und Länder den Wirkstoff nicht mehr in ihren Impfzentren einsetzen. Das berichtet die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“. Auch Personen der Prioritätsgruppe 1 und 2, für die altersbedingt Astrazeneca besonders gut geeignet ist, werden demnach beispielsweise in Nordrhein-Westfalen derzeit ausschließlich mit mRNA-Impfstoffen geimpft. In Hessen wird laut Gesundheitsministerium jeder vierte Termin mit Astrazeneca nicht wahrgenommen. In Niedersachsen war es zeitweise jeder zweite Termin. Astrazeneca wird in Deutschland für Menschen ab 60 Jahren empfohlen, diese werden in den ersten drei Prioritätengruppen abgedeckt. Angesichts lokaler Engpässe mit mRNA-Impfstoffen für priorisierte Berufsgruppen wie Sanitäter etwa in Berlin sagte der Grünen-Gesundheitspolitiker Janosch Dahmen der FAZ: „Wenn wir Astrazeneca jetzt nicht für ältere Menschen prioritär einsetzen, für die der Impfstoff besonders wirksam und risikoarm ist, riskieren wir in der Konsequenz viele Menschenleben, weil Jüngere länger auf ihren Impftermin warten müssen.“ Der SPD-Gesundheitspolitiker Karl Lauterbach kritisiert die Ablehnung des Impfstoffs von Älteren. Er lehnt es aber ab, Personen über 60 verpflichtend mit Astrazeneca zu impfen. „Es zementiert den Eindruck, dass es sich um einen Impfstoff zweiter Klasse handelt“, sagte Lauterbach der FAZ. „Es könnte zur Folge haben, dass sich einige Menschen aufgrund des tiefen Misstrauens gar nicht impfen lassen. Das hätte katastrophale Folgen.“ Auch Solidaritätsappelle, wie sie etwa der Virologe Christian Drosten zuletzt machte, lehnt Lauterbach ab: „Wenn mich ein Impfstoff vor dem Tod und schweren Folgen schützt, ist das kein Akt der Solidarität. Ein solcher Solidaritätsappell würde im Gegenteil die angebliche Zweitklassigkeit noch unterstreichen.“ Nach Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Bayern will auch Berlin die Priorisierung für den Wirkstoff Astrazeneca aufheben. Andere Länder wie NRW, Hessen, Rheinland-Pfalz, Schleswig-Holstein, Baden-Württemberg und Niedersachsen gaben laut FAZ an, derartige Pläne nicht zu verfolgen. Grünen-Politiker Dahmen nannte die Aufhebung der Priorisierung für Astrazeneca „ein weiteres Zeichen der Auflösungserscheinungen im Krisenmanagement der Bundesregierung“. Dem Bundesgesundheitsministerium warf er, „schlechte Krisenkommunikation und viel zu wenig Aufklärung“ vor. Die Vorteile der Vektorimpfstoffe seien nicht deutlich geworden. +++