Erinnerungen an die „Stunde Null“ der Bundeswehr

Besuch in der Erinnerungsstätte „Wiege der Bundeswehr“ in Andernach

Im Februar 1956 begrüßte in der Krahnenberg-Kaserne Bundeskanzler Konrad Adenauer die ersten Rekruten der Bundeswehr. Foto: Michael Schwab

Wie verwaist wirkt die Andernacher Krahnenberg-Kaserne. Uniformen: Fehlanzeige. Lediglich ein ziviler Security-Mitarbeiter wacht am Schlagbaum des Haupttors. Um Gäste einzulassen, die zur weiß-grauen Baracke 17 mit ihrer militärhistorischen Sammlung möchten. Sie ist neben dem historischen Kasernentor abseits des heutigen und einem massigen, quadratischen Turm eines der wenigen erhaltenen Relikte aus den Anfangstagen der Bundeswehr. Heute eine viel besuchte Erinnerungsstätte auf dem Gelände des Instituts für Wehrmedizinalstatistik und Berichtswesen der Bundeswehr. Denn am 20. Januar 1956 schlug auf dem Exerzierplatz der Krahnenberg-Kaserne für die Bundeswehr sozusagen die „Stunde Null“. Als nämlich Bundeskanzler Konrad Adenauer in dem ehemaligen Luftwaffenlazarett I/XII. aus Kriegstagen die ersten Rekruten begrüßen konnte: zur Indienststellung der noch jungen Streitkräfte der Bundesrepublik Deutschland. Seitdem gilt der Standort in Andernach als „Wiege der Bundeswehr“.

Das historische Holzgebäude steht inzwischen unter Denkmalschutz. Zwischen 2010 und 2015 konnte es dank des Einsatzes des Fördervereins „Wiege der Bundeswehr“ komplett renoviert werden. Rund 500 Quadratmeter groß ist die Fläche, auf der sich heute die gleichnamige militärgeschichtliche Sammlung als „Ausstellung im Exponat“ präsentiert. Ein Aspekt, auf den Vereinsvize Oberstleutnant a.D. Dieter Ulrich Schmidt großen Wert legt, als er mit Mitgliedern und Gästen der Fuldaer Sektion für Sicherheitspolitik (GSP) auf „historische Spurensuche“ zum Start der ersten deutschen Parlamentsarmee geht.

Historische Klammer

„Für uns ist dieser Besuch gewissermaßen als historische Klammer zu sehen und ungemein wichtig, so kurz nachdem die Bundeswehr 2021 ihren 65. Geburtstag gefeiert hat“, betonte Sektionsleiter Michael Trost. Deutschlands erste Friedensarmee habe es in ihren Anfangstagen nicht leicht gehabt, als viele Deutsche andere Sorgen hatten als die Wiedereinführung von Streitkräften oder entschieden gegen eine Wiederbewaffnung waren. Auch die zurückliegenden Jahre hätten die Armee durch die Aussetzung der Wehrpflicht, Mangel an militärischem Personal und zivilen Fachkräften sowie verbesserungswürdigem Ausrüstungsstand hart auf die Probe gestellt. Nun beginne für sie eine erneute „Zeitenwende“ durch das 100 Milliarden Euro schwere Investitionspaket des Bundes beziehungsweise neue geopolitische Herausforderungen und nicht zuletzt durch die Folgen des russischen Angriffskrieges gegen die Ukraine.

Zeitzeugen erzählen

Etwas verbindet die Anfangszeit der „neuen Armee“ mit der Gegenwart: die Diskussion um und über die Bundeswehr. Was Soldaten und Öffentlichkeit Mitte der 50er Jahre bewegt hatte , vermittelte Schmidt anschaulich in lockerem Plauderton. Mit seiner Frau hat Schmidt übrigens das Ausstellungskonzept für Baracke 17 erarbeitet und auch mit weiteren Helfern Zeitzeugenerinnerungen zusammengetragen. Insgesamt 80 neben zivilen überwiegend militärische Zeitzeugen – vom einfachen Dienstgrad bis zum Offizier – aus den frühen Jahren der Bundeswehr konnten ausfindig gemacht werden. 37 ließen sich schließlich per Videoaufzeichnung interviewen. Sie berichteten, mit welchen Schwierigkeiten sie anfänglich zu kämpfen hatten: etwa mit der einfachen Art der Unterbringung in den ehemaligen Lazarett-Baracken der Luftwaffe, der eisigen Kälte im Winter, unzureichender Dienstbekleidung, aber auch den Tücken ihrer aus amerikanischen Beständen stammenden Erstausstattung an Waffen und natürlich den Protesten und Demonstrationen gegen die damals noch als „Neue Streitkräfte“ bezeichnete Bundeswehr. Auch ehemalige „Rekrutierungsoffiziere“ des „Personalgutachterausschusses“ wie der Bruder des bekannten Tierforschers Dr. Bernhard Grzimek, Brigadegeneral a.D. Rupprecht Grzimek (98-jährig im Februar 2022 in Eichstätt verstorben) oder Generalmajor a.D. Dr. Dietrich Genschel (1934 – 2017), ein von der Stasi verfolgter DDR-Flüchtling und überzeugter Antikommunist, kommen im Ausstellungsvideo zu Wort. Als „Männer der ersten Stunde“ untermauern sie, wie schwierig es anfangs war, aus dem Bestand vorwiegend kriegsgedienter Soldaten die geeignetsten und unbelasteten Freiwilligen für die neue Bundeswehr zu finden.

Spezielle weitere Themenfelder wie „Ausbildung“, „Die Garnisonsstadt Andernach“, „Verwaltung“ oder „Militärseelsorge“, außerdem ein komplett ausgestatteter Unterkunftsraum (Stube) mit Bett, Spind und Ausrüstung der Soldaten sowie die originale Zahlstelle der ursprünglichen Kaserne runden den Bestand der militärgeschichtlichen Sammlung ab. Mit dieser Präsentation wird ein wichtiger Teil des Auftrags der Sammlung erfüllt: neben der Bildung und Forschung insbesondere auch das Sammeln und Bewahren wesentlicher Informationen. Gerade zivile Gäste der Erinnerungsstätte sollen mit modernen museumspädagogischen Mitteln an den „Problemkreis Militär, Staat und Geschichte in früherer Zeit“ herangeführt werden. Damit leistet der Förderverein einen entscheidenden Beitrag zum besseren Verständnis der Bundeswehr und der Sicherheitspolitik. „Gerade die sicherheitspolitische Öffentlichkeitsarbeit ist auch unser Auftrag als GSP“, wie Trost ergänzt.

Adenauers Verdienst

Dass überhaupt wieder eine deutsche Armee aufgebaut werden konnte, ist nach Schmidts Worten dem damaligen Bundeskanzler Konrad Adenauer zu verdanken. Nach dem Scheitern der so genannten Europäischen Verteidigungsgemeinschaft (EVG) 1954 – die EVG war ein politisches Projekt mit dem Ziel, eine gemeinsame europäische Armee zu schaffen – wurde die Bundesrepublik am 5. Mai 1955 in die NATO aufgenommen. Zuvor hatte der Bundeskanzler den Bundestag überzeugen können, neue Streitkräfte aufzustellen. In die NATO aufgenommen worden sei die noch junge Republik allerdings nur, „weil Adenauer den alliierten Partnern etwas zu bieten hatte“, nämlich qualifiziertes Personal aus Weltkriegs-Generälen, Offizieren und 12 Heeres-Divisionen. Anfang 1956 war es dann soweit. Die ersten drei Bundeswehr-Standorte konnten in Betrieb gehen: Die Luftwaffe bezog den Fliegerhorst in Nörvenich, die Marine den Stützpunkt in Wilhelmshaven und das Heer schließlich die Krahnenberg-Kaserne in Andernach. Im Ausbildungsstandort des Heeres wurden am historischen Datum des 20. Januar 1956 insgesamt 1.850 Soldaten aller drei Teilstreitkräfte zur offiziellen Indienststellung der Bundeswehr zusammengezogen. Militärattachés aus 17 Ländern sowie rund 200 Journalisten begleiteten den feierlichen Moment.

Auch wenn nur noch wenig an die Kaserne von damals erinnert, freut sich Schmidt, dass auf Initiative von Oberarzt a.D. Franz Adolf Maldorf die letzte Baracke gerettet und 2009 unter Denkmalschutz gestellt werden konnte. Dass dieser historische Ort überhaupt erhalten werden konnte, ist dem 2010 vom damaligen Leiter des Sanitätsamtes der Bundeswehr, Generalstabsarzt Dr. med. Hans-Jürgen Dick, gegründeten Förderverein „Wiege der Bundeswehr“ und seinen Aktiven zu verdanken. Dank seines Einsatzes und des vieler anderer können Besucher der Sammlung heute nicht nur ein Gefühl für die schwierigen Anfänge der Bundeswehr bekommen, sondern vielleicht auch noch etwas vom „Geist von Andernach“ verspüren. Die, die damals dabei gewesen waren, haben dieses Gemeinschaftsgefühl so beschrieben: Es bestand aus der „Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, dem Willen, etwas zu leisten und der gerne getragenen Pflicht zur Kameradschaft.“ +++ pm/ms

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