Die „Tollen Tröten“ begeisterten im Güterbahnhof

Alsfeld. „Davon hätten wir gerne noch mehr gehört“ – Den Wunsch vieler Gäste der letztjährigen Vernissage des Alsfelder Kunstvereins hatten sich die Verantwortlichen für dieses Jahr gemerkt. Das Ergebnis: Die Musikformation „Tolle Tröten“ unter der Leitung von Ulrike Schimpf spielte anlässlich der aktuellen Ausstellung nicht im Rahmenprogramm, sondern in einem eigenen ersten großen Konzert und lieferte ihrem begeisterten Publikum zweieinhalb Stunden abwechslungsreichster Saxophonmusik, bereichert von Percussion, Tuba und Klarinette.

Wie sehr die Alsfelder sich auf dieses Konzert gefreut hatten, verdeutlichte ein Blick in den vollbesetzten Güterbahnhof: Es hatte den Anschein, als ob alle, die noch nicht in die Ferien aufgebrochen waren, diesen Nachmittag in dem faszinierenden, flirrenden Ambiente des alten Industriegebäudes verbringen wollten. Der letzte Stuhl wurde herbeigeholt, selbst Teile der Lounge aus dem Außenbereich nach innen gebracht, mediterrane Snacks und Prosecco rundeten das Bild eines perfekten Sommertages ab. Und dann kam die Musik – und zwar mächtig! Mit dem „Circus March“ von Julius Fucik eröffneten die 15 Musikerinnen und Musiker mit ihrer Bandleaderin Ulrike Schimpf einen Abend, der es in sich hatte. Nicht zuletzt bereicherte die witzige, fantasievolle Moderation von Saxophonist Udo Gonder das Programm ganz ungemein. „Kunst und Klänge“ versprach er dem Publikum und die Möglichkeit, sich zu jedem einzelnen Stück selbst Bilder zu malen – in der Vorstellungskraft, die die Melodien anregen würden. Gesagt, getan.

„Brother Wind“, das zweite Stück, nahm die Gäste sogleich mit auf eine stille, blühende Sommerwiese – die Gedanken gingen auf Reisen, angeführt von der Musik, die die Tollen Tröten in verschiedensten Zusammensetzungen darboten. Schon zu Beginn glänzten sie durch eine unglaubliche musikalische Vielfalt – alle Stimmlagen waren hier vertreten, dazu kamen die mächtige Tuba und der Rhythmus, der mal brachial, mal verhalten, mal jazzig, mal rockig den Güterbahnhof musikalisch färbte.

Die „Tollen Tröten“, so erläuterte Ulrike Schimpf, sind die Vogelsberger Abordnung des Konzepts „Sax Con Action“, sie spielen in einer Mischung aus Unterricht und Ensemblespiel. halten sich eher an Patterns als an vorgefertigte komplette Notenblätter, und stellen das Gefühl für Töne und Harmonien in den Vordergrund.

Dabei liefern weniger klassisch durchnotierte Stimmen, sondern vielmehr musikalische Patterns die Basis, um ein Gefühl für Harmonie und Zusammenspiel zu entwickeln. Gelungene Improvisationen sind ein Ausdruck dessen. „Wir kommunizieren während unseres Spiels, musikalisch oder mit Blicken.“ Es werde nicht viel dirigiert, alle Musikerinnen und Musiker spielten auf Augenhöhe, gleichberechtigt. Schimpf lud alle Interessierten dazu ein, diese Art des Musikmachens für sich zu entdecken – auch als Musiker! Wie schön das sein kann, unterstrichen die nächsten Stücke, die – als ob es nicht schon schön genug gewesen wäre – wirkliche Urlaubsstimmung in das Gemäuer zauberten: „Island in the Sun“ von Harry Belafonte, „My little Suede Shoes“ von Charlie Parker und „One Note Samba“ von Antônio Carlos Jobim sorgten dafür, dass diejenigen, die keinen Sitzplatz hatten, im Vorteil waren, sie konnten lässig swingen und auch hier und da schon mal kleine Tänzchen wagen.

Sehr musischen Jazz brachten die Künstlerinnen und Künstler mit den „Milestones“ von Miles Davis unter das Publikum. Ganz individuell starteten sie ganz, ganz tief, bevor nach und nach die höheren Saxophonstimmen einsetzten. „Immer nur Tröten“ – die heimliche Hymne der Formation, brachte erneut richtig gute Laune auf die Bühne – Wiedererkennung garantiert, denn inspiriert ist dieses Stück ganz klar von dem Popsong „Küssen verboten“ der Band „Die Prinzen“. Natürlich fehlte auch das Stück „Tequila“ nicht – der ewige BigBand-Klassiker, der eigentlich als Rock’n’Roll-Stück gedacht war und wie kaum ein anderer nach Strandbar, Spaß und Sommer klingt. Sommerlich, doch ganz anders, das unvergängliche Stück „Summertime“ von George Gershwin, das als Jazzstück genauso gut geht wie als Lied, das alle aus der Oper „Porgy and Beth“ kennen. Richtig rhythmisch wurde es kurz vor der Pause noch einmal mit dem weltbekannten Stück „Hava Nagila“, ein Lied, das häufig auf jüdischen Hochzeiten gespielt wird und auch im Güterbahnhof zum Mitklatschen und Tanzen verführte.

Mit „Peter Gunn“, einem Thema aus dem Film „Blues Brothers“, starteten die Tollen Tröten in die zweite Hälfte. Temporeich, brachial – auch das können Saxophone sein. Wie zuvor, ließ auch dieses Stück den Improvisationstalenten untern den Musikerinnen und Musiker jede Menge Raum zur Selbstverwirklichung – das Publikum freute es! Zurück zum Gefühl der lauschigen Sommernacht brachte das Stück „Naima“ von John Coltrane die Gäste. Nicht zuletzt die lässige Begleitung des Cajóns machte diese Wirkung aus. Mit „Blue Monks“ – ein absolut schwelgerisches Stück mit dem der Komponist Thelonious Sphere Monk sich und dem Blues ein Denkmal gesetzt hat, überzeugte die Formation einmal mehr: Ihre Vielstimmigkeit, ihr lässiges und begeistertes Zusammenspiel – all das übertrug sich auf die Gäste, die nicht müde wurden, zu applaudieren. Klar, dass der Klassiker „Take Five“ auch auf dem Programm der leidenschaftlichen Musikerinnen und Musiker stand, genauso wie das Funkstück „Chameleon“ von Herbie Hancock. Jedes einzelne dargebotene Werk trug natürlich die Handschrift der Interpreten – sie machten sich die Stücke mit ihrem Spiel zu eigene, präsentierten sie auf ihre Art und Weise und eröffneten auch geübten Hörern neue Klangwelten. Dass sie damit an diesem frühen Abend natürlich den ausgestellten Werken des Kunstvereins die Schau stahlen, war klar. Die Künstlerinnen und Künstler des Vereins nahmen dies aber gerne hin!

Mit den Stücken „Devil No. 2“, mit dem sie der Klangvielfalt ihres Konzerts sogar noch Elemente aus der Gregorianik hinzufügten, und „Hattie Wall“ beendeten sie ihr Konzert, nicht ohne Zugabe natürlich. „Mercy, Mercy“ spielten die Musikerinnen und Musiker zum Abschluss – jede und jeder Einzelne von ihnen bekam in dieser ausgedehnten Version eine letzte Plattform für seine Kunst und die Möglichkeit, sich vom Publikum zu verabschieden.

Dieses Konzert war das erste, das die Tollen Tröten gestaltet hatten – der Wunsch des Publikums war klar: Es soll nicht das letzte gewesen sein! Das weitere Programm im Rahmen der Sommerausstellung des Kunstvereins bietet am 22. Juli ab 14 Uhr einen Malworkshop mit den Künstlerinnen Britta Jakobi, Tanja Gremmel und Inge Zuschlag in und um die Location an. Am 23. Juli liest der Historiker und Autor Matthias Nicolai um 15 Uhr aus historischen Alsfelder Begegnungen. Als musikalische Begleitung für diese Veranstaltung konnte Marina Melikian, Trägerin des Bundespreises der Sologitarre, gewonnen werden. Die Ausstellung selbst ist noch bis zum 30. Juli von Dienstag bis Sonntag von 11 bis 17 Uhr im Güterbahnhof zu sehen. +++