„Die Stellung der Polizei in der Mediengesellschaft“

Leitender Polizeidirektor Jürgen Fehler im Erlensee Aktuell-Interview

Leitender Polizeidirektor Jürgen Fehler. Foto: Markus Sommerfeld

Wie wird die Polizei in der heutigen Mediengesellschaft wahrgenommen, in der innerhalb weniger Sekunden Livebilder von Ereignissen in den sogenannten „Sozialen Netzwerken“ geteilt werden, ohne Hintergründe darzustellen, bei denen es in erster Linie darum geht, der Schnellste beim Posten zu sein? Was macht dies insbesondere mit jungen Beamten, die gerade am Anfang ihres Berufslebens stehen? Polizisten haben wohl noch nie zuvor derart im Fokus der Gesellschaft und der Medien gestanden wie heute. Hinzu kommt die zunehmende Gewalt gegen Polizeibeamte und Einsatzkräfte von Feuerwehr und Rettungsdiensten.

Erst vor wenigen Wochen kam es zu einem brutalen Angriff auf einen Hanauer Stadtpolizisten, der in der Innenstadt zusammengeschlagen wurde und ins Krankenhaus musste. Vor kurzem veröffentlichte das Hessische Innenministerium die aktuelle Statistik, die zeigt, dass die Gewalt gegen Polizei und Rettungskräfte stark zugenommen hat. Mein Dienstsitz befindet sich am Hanauer Freiheitsplatz im gleichen Gebäude, in dem auch die Polizeistation Hanau I untergebracht ist. Darum bin ich hier natürlich besonders nah dran am Geschehen in Hanau. Jeden Morgen lasse ich mir dort von den Kolleginnen und Kollegen die Lage schildern und informiere mich genau über das Einsatzgeschehen der vorangegangenen Nacht und des vorangegangenen Tages. Das Bild, das mir dort täglich vermittelt wird, macht mich sehr betroffen. Die Beamtinnen und Beamten sind täglichen Provokationen ausgesetzt, sie werden regelrecht „angemacht“ und mit Vorwürfen konfrontiert, nach dem Motto „Wärt Ihr mal beim Anschlag rechtzeitig dagewesen“.

Das heißt, der grausame Anschlag vom 19. Februar 2020 spielt im Verhältnis zwischen Polizei und Gesellschaft nach wie vor eine Rolle?

Die damals erhobenen Vorwürfe gegen die Polizei haben nicht aufgehört. Nach wie vor sind die Beamtinnen und Beamten bewussten Provokationen ausgesetzt. Dies betrifft auch immer mehr diejenigen, die damals überhaupt nicht hier in Hanau waren. Das alles verunsichert gerade die jungen Kolleginnen und Kollegen sehr. Häufig müssen sie erfahren, dass der Respekt gegenüber ihnen gleich Null ist. „Auslachen und Niedermachen“ steht auf der Tagesordnung. So deutlich muss man dies leider sagen und ja, dies hinterlässt Spuren, nicht nur bei den Jüngeren. Die Gesellschaft hat sich ja bekanntlich zu einer „Mediengesellschaft“ entwickelt. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, warum sie von den Ihnen geschilderten Zuständen wenig bis gar nichts erfährt? Die Presseorgane sind die sogenannte demokratische 4. Gewalt im Staat, welche ich vollumfänglich unterstütze. Ich habe allerdings einen Anspruch an diese, und dieser heißt Objektivität. Ich musste leider erfahren, dass einige Journalisten und Redaktionen mit vorgefertigten Meinungen und unterschlagenen Tatsachen Dinge veröffentlichen, die der objektiven Wahrheit nicht entsprechen. Dies wiederum erzeugt eine subjektive Wahrheit, was wiederum dazu führt, dass dieses verbreitete Weltbild von Bürgerinnen und Bürgern aufgenommen und als wahr betrachtet wird. Bei einer objektiven Berichterstattung muss ich als seriöses Medium auch immer beide Seiten anhören, was allerdings Zeit erfordert, die man – wenn man ausschließlich schnelle Schlagzeilen liefern will – nicht hat.

Ein Beispiel:

Bei einer Personenkontrolle, die in der weiteren Region stattgefunden hat, weigerte sich ein Mitbürger, seine Personalien zu nennen. Wie in solchen Fällen üblich, werden vor Ort und ggf. auf der Polizeistelle Maßnahmen getroffen, um dort die Personalienfeststellung durchführen zu können. Der so Kontrollierte hat sich unmittelbar danach bei einer Zeitungsredaktion gemeldet mit dem Vorwurf, die Polizei hätte ihn aufgrund Racial Profiling nur wegen seines Migrationshintergrunds kontrolliert. Er sei mit an seinen Kopf gehaltener Waffe gezwungen worden, zur Wache mitzukommen. Diese Story wurde genau diesen Schilderungen folgend von der Zeitung auch so veröffentlicht. Eine intensivere und bessere Recherche hätten ergeben können, dass dieser Sachverhalt so nicht der Wahrheit entsprochen hat. Es wurde eben nicht auf Basis eines Racial Profilings, sondern aufgrund Verstößen gegen die Coronaverordnungen kontrolliert und der Bürger wurde auch nicht mit einer Waffe bedroht. Die gesamte Kontrolle verlief völlig korrekt und konnte übrigens mit einer Bodycam nachvollzogen werden. Für mich stellen sich folgende Fragen: Wie sollen bei einer solchen Berichterstattung die Kolleginnen und Kollegen Rückhalt in der Gesellschaft bekommen? Von einer Gesellschaft, in der die Polizei zum Prügelknaben gemacht wird? Wenn der Rückhalt in der Gesellschaft fehlt, hat dies verheerende Auswirkungen auf die Beamtinnen und Beamten, die täglich ihren Dienst absolvieren und täglich ihr Leben und ihre Gesundheit für die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger riskieren. Das kann man nicht oft genug betonen.

Haben Sie eine Hoffnung auf positive Veränderungen?

Was speziell die Situation in Hanau betrifft, setze ich meine ganze Hoffnung in den Untersuchungsausschuss des Hessischen Landtags. Es kann nicht sein, dass gerade die Polizeibeamtinnen und – beamte, die in der schlimmen Anschlagsnacht Wunden abgedrückt und alle erdenkliche Erste Hilfe geleistet haben, sich im Nachhinein Beschuldigungen ausgesetzt sehen müssen.

Bleibt als Fazit?

„Die Polizei als Freund und Feind?“ – Freund und Helfer selbstverständlich für alle Bürgerinnen und Bürger. Ausführendes Organ – als die exekutive Staatsgewalt – für alle diejenigen, die Böses im Schilde führen. Natürlich bekommen wir als Polizeibeamte ganz allgemein die Veränderungen in der Gesellschaft in geballter Form als erste zu spüren, daher wünsche ich mir umso dringender ein respektvolles Miteinander, wozu auch die angesprochene objektive Berichterstattung gehört. Denn eins ist klar: Nach dem nahtlosen Übergang von der Coronapandemie mit all ihren Einschränkungen zur Krisenlage aufgrund des Kriegs in der Ukraine liegen bei vielen Mitbürgern die Nerven zunehmend blank. Da muss man nicht auch noch bewusst weiter eskalieren. Was speziell die Situation der Polizei betrifft, muss unbedingt verhindert werden, dass die in Teilen der Gesellschaft verbreitete bewusste Ablehnungshaltung gegenüber der Polizei auf die breite Mitte der Gesellschaft übergreift. Vielen Dank für das Gespräch. Die Fragen stellte Markus Sommerfeld +++

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