Deutsche Wirtschaft fürchtet chaotischen Brexit

Europa-Parlamentarier rufen Briten zum Exit vom Brexit auf

Kurz vor der entscheidenden Abstimmung im britischen Unterhaus warnt die deutsche Wirtschaft vor einem Brexit ohne vertragliche Regelung. „In Deutschland hängen ungefähr 750.000 Arbeitsplätze vom Handel mit Großbritannien ab. Ohne Deal würden zusätzlich Millionen an Zollanmeldungen und Milliarden an Zöllen fällig“, sagte der Präsident des Deutschen Industrie-und Handelskammertages, Eric Schweitzer, den Zeitungen der Funke-Mediengruppe.

Zudem würden „Just-in-Time“ Produktionen und Lieferketten unterbrochen. Schweitzer forderte die britische Seite auf, Vorkehrungen für einen chaotischen Brexit zu treffen. Die No-Deal-Vorkehrungen der EU zum Beispiel bei Flugverbindungen oder bei Lizenzen im Güterkraftverkehr seien sinnvoll. „Sollte es nicht gelingen, das Austrittsabkommen durch das britischen Parlament zu bekommen, wäre auch hierfür die britische Seite gefordert. Die EU-Vorkehrungen können nur dann in Kraft treten, wenn die Briten Gleiches ermöglichen“, so Schweitzer. Großbritannien ist Deutschland fünftwichtigster Handelspartner. Das Handelsvolumen beträgt 122 Milliarden Euro. Die deutsche Außenwirtschaft äußerte sich ebenfalls besorgt. „Scheitert der Deal, wären die Auswirkungen auf beiden Seiten, sowohl in Großbritannien als auch in Europa und da insbesondere Deutschland, massiv.

Aufgrund der knappen Zeit bis zum Stichtag wird ohnehin viel Chaos entstehen, das auch den Handel stark betrifft“, sagte der Präsident des Außenhandelsverbands BGA, Holger Bingmann, den Funke-Zeitungen. Ein Brexit ohne Vertrag hätte nach Bingmanns Einschätzung immense Folgen. „Bei einem harten Brexit ohne Freihandelsabkommen drohen deutschen Unternehmen Kosten in Milliardenhöhe. Alle Waren nach und aus Großbritannien müssten an den Grenzen deklariert, Herkunftsnachweise erbracht und Produkte womöglich nach neuen britischen Standards hergestellt werden.“ Man beobachte, dass einige Unternehmen in Großbritannien dazu übergegangen seien, ihre Lager zu vergrößern und Waren zu horten. Das gleiche treffe auf deutsche Unternehmen zu. Die britischen Wirtschaftsverbände blickten nach Einschätzung Bingmanns ebenfalls mit „großer Sorge“ auf den Brexit. „Angesichts der verfahrenen innenpolitischen Situation wirken sie aber auch ratlos, wie man zu einer Lösung in der britischen Politik kommt. Vor dem Hintergrund weisen sie insbesondere auf die zu erwartenden Lieferengpässe oder auch Preissteigerungen hin“, sagte er.

Europa-Parlamentarier rufen Briten zum Exit vom Brexit auf

Mehr als hundert Abgeordnete des EU-Parlaments werben in einem offenen Brief an die Bürger Großbritanniens für einen Verzicht auf den bevorstehenden EU-Austritt des Landes. „Wir bitten darum, im Interesse der nächsten Generation den Austritt zu überdenken“, heißt es im Entwurf des Schreibens, das Anfang der Woche in Großbritannien veröffentlicht werden soll, über das die Zeitungen der Funke-Mediengruppe ebenfalls berichten. Sollte Großbritannien entscheiden, den Austrittsantrag zurückzuziehen, würden die EU-Abgeordneten das unterstützen. „Jede britische Entscheidung, in der EU zu bleiben, würde von uns sehr begrüßt und wir würden mit Ihnen zusammenarbeiten, um die Europäische Union zu reformieren und zu verbessern“, heißt es in dem Brief. Weiter schreiben die Abgeordneten: „Wir haben den enormen Einfluss der britischen Politiker und Bürger in den vergangenen 40 Jahren sehr geschätzt. Wir würden das außergewöhnliche Know-how unserer britischen Kollegen vermissen.“

Mitunterzeichner Peter Liese (CDU) sagte den Zeitungen: „Wir wollen ein Zeichen an die Bevölkerung und damit auch an das Unterhaus senden und klar machen: Wenn die Briten sich entscheiden zu bleiben, sind sie herzlich willkommen.“ Einige „Kleinigkeiten“ müssten in einem solchen Fall geändert werden – aber das sei zu vernachlässigen gegenüber dem „riesigen Schaden“, der bei einem Brexit und besonders einem ungeregelten Austritt entstehe, so der Europa-Abgeordnete aus NRW. „Unsere Herzen und unsere Türen sind offen“, so der CDU-Politiker. Der Vorsitzende des Ausschusses für auswärtige Angelegenheiten des EU-Parlaments, David McAllister (CDU), rief alle Abgeordneten des britischen Unterhauses dazu auf, sich ihrer „großen politischen Verantwortung bewusst zu sein“ und dem Austrittsvertrag zuzustimmen. Den Funke-Zeitungen sagte McAllister: „Nach über 17 Monaten schwieriger Verhandlungen liegt ein für beide Seiten vertretbares Abkommen vor.“ Es sei die Grundlage für einen geregelten britischen EU-Austritt. „Ohne Zustimmung zum Abkommen droht ein harter Brexit ohne eine Übergangsphase“, warnte der Chef-Außenpolitiker des EU-Parlaments. „Das hätte sehr negative Folgen für beide Seiten und sollte unbedingt vermieden werden.“ +++