Am 23. September hat im mittleren Werratal ein besonderes Ereignis stattgefunden. Erstmals seit 1945 wurden auf dem kompletten Abschnitt zwischen Bad Salzungen und Gerstungen Personen auf der Schiene befördert. Das Ereignis steht im Zusammenhang mit den bereits seit mehreren Jahren laufenden Bemühungen, die Strecke für den Güterverkehr auszubauen und für den schienengebundenen Personennahverkehr zu reaktivieren. Im Rahmen der nichtöffentlichen Bahnfahrt konnten sich die Beteiligten, darunter Entscheidungsträger auf Regions-, Landes- und Bundesebene umfassend über den derzeitigen Zustand der Schieneninfrastruktur informieren. Eingeladen zur Demonstrationsfahrt hatten Reinhard Krebs und Torsten Warnecke als Landräte im Wartburgkreis in Thüringen und im hessischen Landkreis Hersfeld Rotenburg. Gefolgt sind nicht weniger als 60 Vertreter und Vertreterinnen aus den Bereichen Politik, Verwaltung, Industrie, Verbänden und Verkehrswesen und nutzten die Gelegenheit, sich ein eigenes Bild über die Werratalbahn zu verschaffen.
Als Fazit kann festgehalten werden, dass ein verstärkter Einsatz für die lange Zeit im Dornröschenschlaf liegende Werratalbahn lohnenswert ist. Von einem Ausbau würde im Bereich des Güterverkehrs die regionale Wirtschaft insgesamt und hier besonders die strukturbestimmende Kaliindustrie profitieren. Positive Impulse gehen ebenfalls von einer Wiederaufnahme des Personenverkehrs aus, für ein erweitertes Angebot in ÖPNV und nicht zuletzt für die touristische Entwicklung der Region. Dieser Einschätzung stimmen die Landräte zu. Für beide ist die Werratalbahn schon heute eines der Topthemen für die Entwicklung des mittleren Werratals in den kommenden Jahren. „Ich bin hochmotiviert, nach vorne zu schauen, um diese historische Eisenbahnlinie für die regionale Entwicklung von Westthüringen und Osthessen wieder zu aktivieren. Diese Werratalbahn, als eine der wichtigsten Nebenstrecken zwischen Südostdeutschland und Nordwestdeutschland wieder zu beleben, ist aus meiner Sicht sehr sinnvoll – auch um weiter zusammenzuwachsen in Thüringen und Hessen“, so Landrat Reinhard Krebs. Ergänzend äußert Landrat Torsten Warnecke „Die Bahnstrecken in Deutschland harren dringend zusätzlicher Verbindungen. Ein dichtes Netz führt zu einem verbesserten Angebot, ob für den Personen- oder Güterverkehr. Deshalb der Einsatz aus Hersfeld-Rotenburg für diese auch historisch gewichtige Verbindung“.
Sobald die noch ausstehende Frage der Finanzierung geklärt ist, wird es zuerst darum gehen, mit einer Machbarkeitsstudie zu beleuchten, ob ein Ausbau für den Güterverkehr und eine Reaktivierung der Personenförderung wirtschaftlich sinnvoll ist, die erforderliche Kosten-Nutzen Bewertung besteht und ob das Projekt das bestehende Bahnnetz sinnvoll ergänzt. Wenn ein positives Ergebnis vorliegt, können die Signale auf der Basis einer fundierten Informationsgrundlage in Richtung „grün“ springen und die nächsten Schritte auf dem Weg zur Werratalbahn 2.0. angegangen werden. Dabei ist das Ziel, dass bald nicht mehr nur nichtöffentliche Demonstrationsfahrten stattfinden. So schnell wie möglich, soll es wieder einen regelmäßigen Bahnverkehr geben. Er wird die Menschen dann aus dem mittleren Werratal schnell, bequem und umweltverträglich zu den umliegenden Fernverkehrsbahnhöfen auf einer modern ausgebauten Bahnstrecke bringen, die auch den Anforderungen des Güterverkehrs mit ausreichenden Kapazitäten Rechnung trägt. „Während der Bahnfahrt war die Euphorie bei allen Teilnehmenden zu spüren. Dies war nicht nur eine historische Personenzugfahrt, sondern hoffentlich der Beginn einer noch besseren Verzahnung des hessisch-thüringischen Grenzgebietes“, so der erste Kreisbeigeordnete Dirk Noll aus Hersfeld-Rotenburg.
Bei einem Zwischenstopp in Vacha wurde mit Impulsvorträgen für die Teilnehmer und weitere, hier hinzugekommene Gäste, das Thema vertieft. Die Begrüßung der Anwesenden in Vacha übernahmen Landrat Reinhard Krebs und Landrat Torsten Warnecke. Im Anschluss unternahm Markus Schmidt von Pro Bahn Thüringen e.V. einen kurzen Streifzug durch die Eisenbahngeschichte und die bisherigen Reaktivierungsaktivitäten. Für Markus Schmidt hat die Region „die historische Chance, zukünftig für die Bevölkerung und die regionale Wirtschaft, wieder eine leistungsfähige schienengebundene Verkehrsinfrastruktur zur Verfügung zu stellen und damit aus dem Schatten der uns umgebenden, verkehrlich besser erschlossenen Regionen, herauszutreten.“ Welche Bedeutung die Werksbahn für das Kalirevier hat und welche Entwicklungen hier absehbar erfolgen sollten, hat Andreas Metz als Leiter der Logistik bei der K+S Minerals and Agriculture GmbH dargestellt. „K+S befürwortet und unterstützt den Ausbau der Bahninfrastruktur im Werratal“, sagte Metz. Der Kaliproduzent selbst transportiert seit ein paar Jahren immer mehr über die Schiene: Während die Menge an Produkt, das auf diesem Wege transportiert wird, relativ gleichbleibend ist, ist der Bedarf für den Transport von Salzwasser, das nicht regional entsorgt werden kann, angestiegen. In Zukunft geht die Tendenz zum umweltfreundlichen, emissionsarmen Transportmittel, der den CO2-Fußabdruck verbessert, noch deutlich nach oben: Durch die Reduzierung der Einleitung von Salzwässern in die Werra und die Haldenabdeckung ist K+S in den kommenden Jahren noch mehr auf den Schienengüterverkehr für das Salzwasser und das Abdeckmaterial angewiesen. Deshalb Metz: „Um den Herausforderungen gerecht zu werden, sind auf der bestehenden voll ausgelasteten Gleisinfrastruktur im Vorfeld entsprechende Voraussetzungen zu schaffen.“
Als Geschäftsführer des Nordhessischen Verkehrsverbundes (NVV) ging es Steffen Müller darum zu zeigen, wie mit Schienenausbau und- reaktivierung das Rückgrat des öffentlichen Personennahverkehrs gestärkt werden kann: „Ich freue mich, dass die Region ihre Chance auf eine neue Schienenstrecke für den Personennahverkehr mit Unterstützung des NVV nutzen will. Deren Erreichbarkeit für künftige Fahrgäste muss dabei in der Prüfung besondere Beachtung finden,“ so Steffen Müller. „Bahnstationen müssen da liegen, wo der Bedarf am größten ist: In der Nähe der Ortskerne.“ Anschließend gab es einen Bericht von Torsten Wilson, dem Leiter der Stabsstelle Masterplan Schieneninfrastruktur beim Thüringer Ministerium für Infrastruktur und Landwirtschaft, der aufgezeigt hat, welche Herausforderungen und Chancen mit der Reaktivierung von Eisenbahnstrecken in Thüringen verbunden sind. „Für die Thüringer Landesregierung ist die Verlagerung des Verkehrs von der Straße auf die Schiene ein wichtiges Anliegen. Aktuell wird eine Konzeptstudie zur Reaktivierung von Eisenbahnstrecken in Thüringen gestartet. Auf dieser methodischen Grundlage könnte die Werratalbahn ebenfalls untersucht werden“, so Wilson.
Die Kosten für die mit einem erheblichen organisatorischen und technischen Aufwand verbundene Demonstrationsfahrt haben beiderseits der Landesgrenze alle an der Strecke liegenden Kreise und Kommunen gemeinsam aufgebracht. Möglich gemacht haben die Fahrt nach einem anspruchsvollen Genehmigungsverfahren die Betreiber der genutzten Streckenabschnitte, die DB Netz AG, die K+S Minerals and Agriculture GmbH und die RbT Regiobahn Thüringen GmbH und von Behördenseite die Landeseisenbahnaufsicht Thüringen (LEA) und das Regierungspräsidium in Kassel. Aber auch aus der regionalen Wirtschaft heraus hat es an verschiedenen Stellen tatkräftige Unterstützung gegeben. Stellvertretend seien nur die Gaststätte Kellerhaus in Vacha, die Hasselmann GmbH und die STM – Steffen Müller GmbH als Organisator der Zugfahrt genannt. +++ pm