Bischof Gerber diskutierte mit Experten in der Katholischen Akademie

Laboratorien der Hoffnung schaffen

Viele im Land sind tief besorgt: um die Demokratie, um die Freiheit, um das Miteinander und um unsere Werte. Angesichts des zunehmenden Populismus und wachsender rechtsextremer Tendenzen in der Gesellschaft war und ist es Fuldas Bischof Dr. Michael Gerber ganz besonders wichtig, ein Zeichen für Demokratie zu setzen. Mit einer hochkarätig besetzten Expertenrunde im Bonifatiushaus, in der über die Entwicklung diskutiert, aber auch nach Lösungen oder zumindest Lösungsansätzen für das tiefgreifende gesellschaftliche Problem gesucht wurde, ist ihm dies gelungen. „Demokratie stärken – Werte verteidigen“ – mit diesem Titel war auf Gerbers Anregung hin der Abend in der Katholischen Akademie des Bistums überschrieben, an dem es nicht nur eindrückliche Situationsbeschreibungen von Experten wie Dr. Claudio Kullmann, dem Leiter des Katholischen Büros in Erfurt, gab, sondern auch viele wertvolle Impulse von Eva-Maria McCormack, Vorstandsmitglied der Adam-von-Trott Stiftung (Imshausen), ferner Geschäftsführerin und Gründerin der „Transformationsmanufaktur“ Talking Hope sowie Prof. Dr. Dr. Holger Zaborowski, Professor für Philosophie an der Katholisch-Theologischen Fakultät Erfurt. Das Format eines Akademieabend mit Expertenrunde sei allen Beteiligten als „angemessen erschienen angesichts dessen, was sich in den letzten Monaten in der Bundesrepublik ereignet hat“, bekräftigte Hausherr und Akademiedirektor Gunter Geiger zur Eröffnung.

Demokratieverdrossenheit wächst

Die Zahl derjenigen, die in West und Ost mit Demokratie zufrieden sind, sei dramatisch zurückgegangen. Der ehemalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle warnt längst davor, dass sich „unsere westliche Demokratie als nur kurze Phase in der Geschichte der Menschheit“ erweisen und „danach wieder die dunkle Zeit der Totalität“ zurückkehren könne „Da hilft nur Engagement für Demokratie“. forderte der Moderator des Abends, hr-Info Redakteur Werner Schlierike, alle Anwesenden auf.  Dabei sei laut Winston Churchill „die Sache eigentlich ganz einfach: Demokratie ist die Notwendigkeit, sich gelegentlich den Ansichten anderer zu beugen.“ Diese Bereitschaft scheine allerdings mehr und mehr zu schwinden.

Zukunft liegt im Miteinander

Eine bedenkenswerte Antwort zum Thema des Abends lieferte Fuldas Bischof selbst zum Schluss der Diskussionsrunde. „Es gibt kein goldenes Zeitalter“, nach dem sich mancher vielleicht zurücksehne. Kirchliche Vision müsse vielmehr „immer nach vorne gerichtet sein.“ „Zukunft gibt es“, gab sich Gerber hoffnungsvoll, „aber nur im Miteinander.“ Mit diesem Satz schloss sich der Kreis zu Gerbers vorausgegangenen Äußerungen, worin er unter anderem betont hatte, dass sich Christen gerade auch „um andere kümmern.“ „Das Wertvolle im Menschen sehen, darum gehe es dem Christentum.“  Vor dem Hintergrund persönlicher Eindrücke –  bereits als acht-Jähriger hatte er die Gedenkstätte Dachau besucht, was ihn nach eigenem Bekunden sehr geprägt hat – bekräftigte der Bischof die „Verantwortung, die wir vor der Geschichte haben.“ Gerade deshalb müsse das „Erbe aus Judentum und Christentum in diesen Tagen stark gemacht werden.“

Seinen Einsatz für Demokratie leitete Gerber aus seinem christlichen Selbstverständnis heraus ab. „Ich bin verwurzelt in der Schönstadt-Bewegung.“ Zugleich habe ihn sehr die eigene familiäre Biographie geprägt. Gerbers Großvater, der sehr wertkonservativ gewesen sei, war zweimal von der Gestapo vorgeladen worden. Ein Pfarrer und Freund Heinrich Bölls, der fünf Jahre in Dachau einsaß, habe seine Eltern getraut. Das Thema sei für ihn also „immer sehr präsent“ gewesen, sagte der Bischof. Die Demonstration „Fulda bekennt Farbe“ am 30. Januar als Bekenntnis für Demokratie und gegen Extremismus war wichtig. Nun stelle sich jedoch die Frage, wie es mit dem Thema in der Region  weitergeht, und: Wie findet Bewusstseinsbildung statt?

In seinem Statement hielt Gerber ferner fest, dass „wesentliche Impulse von unserem christlich jüdischen Glauben ausgegangen sind“ und unsere Gesellschaft beeinflusst hätten – „mehr als wir denken.“ Der Volksbegriff des Volks Israel fuße bereits auf der Erkenntnis: „Wir sind vernetzt, verzahnt mit anderen und tragen Verantwortung. Das, was uns verbindet ist stärker als das, was uns unterscheidet.“

Toxische Stimmung

Nachdenklich stimmten die Experten-Schilderungen der gegenwärtigen gesellschaftlichen Lage. Die Stimmung im Thüringer Landtag habe sich „in den letzten Jahren so stark verschlechtert, ist so toxisch geworden, dass sich sehr viele Menschen zu recht Sorgen machen um die Zukunft unseres demokratischen Systems und … um die Fundamente, auf denen wir stehen“, beschrieb Claudio Kullmann die aktuelle Situation. Der Leiter des Katholischen Büros verdeutlichte, weswegen auch er es so wichtig fand, dass sich die katholische Kirche, dass sich die Bischöfe auch unter Nennung der AFD so deutlich geäußert hätten in den letzten Wochen. „Weil es nämlich nicht nur so ist, dass wir uns an bestimmten Positionen der AfD abarbeiten – da gebe es genug Anlass zu. Wir arbeiten uns aber vor allem daran ab,… dass diese Partei sich anschickt, die Grundlagen unseres parlamentarischen Systems mit den eigenen Mitteln abzuschaffen. Und das erlebe ich im Thüringer Landtag wirklich ständig und fast täglich.“ Das beste Beispiel für diese Verfahrensweise ist aus Kullmanns Sicht die gescheiterte Ministerpräsidentenwahl vor wenigen Jahren. Wörtlich sagte er, „da hat die AfD, nur um das Parlament, die Verfahren und die anderen Parteien verächtlich zu machen, geschlossen den eigenen Kandidaten, der aufgestellt war und auf den Stimmzetteln stand, nicht gewählt.“ Alles nur, „um die Leimrute auszulegen, auf der leider die anderen Parteien ausgerutscht sind.“

Vertrauen verloren

Viele Abgeordnete hätten das Vertrauen zueinander verloren. Verbale Grenzüberschreitungen, gepaart mit der Unterminierung des normalen parlamentarischen Verfahrens gehörten inzwischen zum Alltag. Nur noch ein Viertel der Tagesordnung werde abgearbeitet. Entsprechend wenig „Output“ werde im Landtag produziert. „Gut“ ist es nach Einschätzung Kullmanns daher, dass eine Bewegung im Land gegen die negativen Entwicklungen innerhalb der Gesellschaft entstanden ist.

Das Ganze im Blick haben

Mit einer von 288 Frauen und Männern unterschriebenen Erklärung – darunter auch die Töchter des Widerstandskämpfers Adam von Trott – will die Stiftung, die „Erinnerungsbildung“ betreibt, auf die Unzufriedenheit, den Pessimismus und die Zukunftsangst der Gesellschaft aufmerksam machen. Vorstandsmitglied McCormack sprach sich in der Diskussionsrunde im Sinne des Stiftungsgedankens für eine Gesellschaft aus, die „friedlich und gerecht ist.“ Mit einem Seitenhieb auf die politisch Handelnden forderte McCormack die Politik auf, wieder mehr das „größere gemeinsame Ganze“ in den Blick zu nehmen. Und weniger an die nächste Wahl zu denken

Grundvertrauen und Dialog wichtig

Der Erfurter Philosophieprofessor Zaborowski spielte auf die vorausgegangenen Äußerungen Kullmanns an und betonte, „nicht nur im Parlament, sondern auch in der Stadtgesellschaft ist die Zerrissenheit spürbar.“ Angst spiele mittlerweile eine „große Rolle“. Dabei sei gerade das „Grundvertrauen wichtig für das menschliche Zusammenleben.“ Ebenso dem Anderen mit Wohlwollen zu begegnen. Jetzt könnten „wir feststellen, wie zerbrechlich das demokratische System ist“, wo doch Menschen mit Grundvertrauen gebraucht würden, die sich für andere einsetzen. Zaborowski bedauerte, dass “bestimmte Ausprägungen sozialer Medien radikalisieren“ und im Ergebnis dazu geführt hätten, dass Grundvertrauen verloren gegangen ist. Der Erfurter Philosophieprofessor forderte auf, „Laboratorien oder Versuchsräume der Hoffnung zu schaffen. Wir müssen lernen, den Dialog und eine moderatere Debatte zu führen.“ In puncto Dialog fühlt er sich im Übrigen eins mit einer entsprechenden Erklärung der deutschen Bischöfe, die darin außerdem betonten, wie „wichtig das Ringen um die Sache ist.“

Partizipation stärken

Als schwierig bewertete Bischof Gerber schließlich, wenn Kränkungen zur Triebfeder politischen Handelns werden wie bei Männern wie Putin und Trump, die sich benachteiligt und gedemütigt fühlten. Als Kirche müsse man solche Kränkungen ernst nehmen. „Motor“ politischen Handelns müsse jedoch die Frage sein: „Wie kannst Du Dich einbringen in die Gesellschaft.“ Die „Dämonisierung des Anderen und die eigene Opferrolle“ spielen aus  Zaborowskis Sicht eine starke Rolle, warum  es unter Politikern zu Kränkungen kommen kann, wie von Gerber beschrieben. Mit einem Schlenker auf die deutsche Vereinskultur – die so in den USA zum Beispiel nicht vorhanden ist – betonte der Erfurter Wissenschaftler, Vereine seien „Orte der Einübung demokratischer Grundhaltungen.“ Solche „weichen Voraussetzungen“ sind es nach seiner Einschätzung, die „Demokratie funktionieren lassen.“ Es gäbe viele Partizipationsmöglichkeiten. „Diese müssen wir stärken, um aus Angst, Ressentiments und Wut herauszukommen.“ +++ mb