Ausstellung im KARL zeigt Orte queeren Lebens in der Region

„Diversität ist ein Gradmesser für Demokratie“

Projektleiterin Professorin Dr. Carola Bauschke-Urban von der Hochschule Fulda eröffnete die Ausstellung mit einem Vortrag und lieferte Forschungsergebnisse zu queerem Leben. Foto: Projekt Akzeptanz und Vielfalt in Fulda und Region

Orte, die auf die Existenz queeren Lebens in Fulda und Umgebung verweisen, sind derzeit in der Ausstellung „Queere Worte – Queere Orte“ im Konzeptkaufhaus KARL zu sehen. Queere Fotoamateure haben mit Einmalkameras ihre Wahrnehmungen und ihre individuellen Inszenierungen queeren Lebens in der Region festgehalten. So entstanden rund 600 autoethnographische Momentaufnahmen, von denen eine kleine Auswahl in der Ausstellung im KARL gezeigt wird.

Vertiefende Einblicke in die Lebenswelt queerer Menschen in ländlichen Räumen liefern ergänzend vier anonymisierte Fallbeispiele. Sie basieren auf mehrstündigen biografischen Forschungsinterviews mit queeren Personen aus der Region. Wie die Fotos sind auch die Interviews Teil des transdisziplinären Forschungsprojekts „Akzeptanz und Vielfalt in Fulda und Region“. Dieses vom Hessischen Ministerium für Soziales und Integration geförderte Projekt hat sich zum Ziel gesetzt, die queere Community in der Region zu vernetzen, queeres Leben in ländlich geprägten Räumen sichtbarer zu machen und sich zugleich wissenschaftlich mit dem Thema auseinanderzusetzen. Bislang gibt es in Deutschland kaum Forschung für den ländlichen Raum.

Offener Ort mitten in der Innenstadt

„Wir wollen mit der Ausstellung einen offenen und lebendigen Ort in der Mitte Fuldas schaffen, der die Möglichkeit bietet, sich mit queerem Leben in der Region auseinanderzusetzen, es besser zu verstehen und anzuerkennen“, erklärte Projektleiterin Professorin Dr. Carola Bauschke-Urban von der Hochschule Fulda bei der Eröffnung der Ausstellung Anfang November. „Aus unserer Forschung wissen wir, dass es trotz rechtlicher Anerkennung queerer Lebensformen noch große Lücken in der Akzeptanz queerer Menschen gibt.“ Die Forschenden gehen davon aus, dass das Thema fünf bis zehn Prozent der Gesamtbevölkerung direkt angeht.

„Die Rechte queerer Menschen sind Menschenrechte“, betonte die Wissenschaftlerin. „Je länger wir an dem Thema arbeiten, desto klarer wird: Das Projekt hat hohe Relevanz für die Demokratisierung ländlicher Räume. Vielfalt ist ein Gradmesser für die Demokratie.“

Furcht vor Ausgrenzung trotz rechtlicher Anerkennung

Neuere Studien zeigen, dass viele queere Menschen in die Großstädte umziehen. „Trotz rechtlicher Anerkennung queerer Lebensformen verlassen queere Menschen ländliche Regionen, sobald es möglich ist, etwa wenn sie ein Studium beginnen. Wer bleibt, sieht sich mit einem Umfeld konfrontiert, das eine starke soziale Geschlossenheit aufweist und ein hohes Maß an sozialer Kontrolle ermöglicht“, so Professorin Bauschke-Urban. Aus Furcht vor Ausgrenzung und Ablehnung in der Familie, im Freundeskreis, am Arbeitsplatz vollziehe sich queeres Leben in ländlichen Räumen oft im Verborgenen.

Das Fallbeispiel von Ariana, das in Auszügen in der Ausstellung zu lesen ist, macht es deutlich: „Dann irgendwann ist natürlich das Thema aufgekommen, geht man den Schritt (…). Und dann hab ich mir wieder gedacht: ‚Hör auf mit der Spinnerei‘, ich hab ja dann auch gesehen, was andere für Probleme haben. Im Job oder auch mit den Mitmenschen.“ Inwieweit queere Personen ihre Rechte verwirklichen können, hängt damit stark davon ab, wo sie wohnen, wo ihr soziales Leben in den Familien, am Arbeitsplatz, in der Nachbarschaft und in Vereinen stattfindet.

Dass Befürchtungen, wie Ariana sie äußert, nicht unbegründet sind, belegen auch Zahlen des Bundeskriminalamts. In der ersten Hälfte des Jahres 2019 beispielsweise registrierte es mehr homo- oder transphob motivierte Gewalttaten als im Jahr 2013 insgesamt. Laut Hessischem Ministerium für Soziales und Integration hat mehr als jede zweite queere Person bereits üble Nachrede erlebt. Mehr als ein Drittel sah sich mit Beschimpfungen in der Öffentlichkeit und in der Schule konfrontiert.

Weitreichende Folgen mangelnder Akzeptanz

Welch weitreichende psychische, psychosoziale und physische Folgen das haben kann, führte Professorin Bauschke-Urban in ihrem Eröffnungsvortrag eindrücklich vor Augen. „Diskriminierungserfahrungen im Jugendalter können sich auf die Entwicklung des Selbstbildes und damit auf die Persönlichkeitsentwicklung auswirken“, erläuterte sie. Negative Einstellung gegenüber queeren Lebensweisen seien gerade unter Jugendlichen verbreitet. Im Alter erlebten queere Personen, die Diskriminierung erfahren hätten, oft soziale Isolation.

Häufig verinnerlichten queere Menschen auch die negative Haltung gegenüber ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität. Nicht selten gehe das mit gesundheitsschädigenden Belastungsfaktoren einher. Hinzu komme, auch die Einrichtungen des Gesundheitssystems agierten nicht immer so, dass sie als vorurteilsfreie Räume wirkten. „Aus Angst vor Ablehnung und Zurückweisung bringen queere Personen gesundheitlich relevante Aspekte nicht zur Sprache.“

Mehr noch: Unterschiedliche Studien zeigen eine deutlich erhöhte Suizidrate bei queeren Jugendlichen. So bescheinigt eine Berliner Studie lesbischen, schwulen oder bisexuellen Jugendlichen ein vier Mal höheres Suizidrisiko als heterosexuellen Gleichaltrigen. Und ein US-amerikanischer Report bestimmt Jugendobdachlosigkeit als ein Problem, von dem queere Jugendliche besonders häufig betroffen sind.

Sichtbarkeit ist Voraussetzung für Akzeptanz

„Das alles sind Gründe, Vielfalt und Akzeptanz zu thematisieren“, betonte Professorin Bauschke-Urban und machte zugleich klar: „Diskriminierung queerer Menschen wirkt sich nicht nur negativ auf die Betroffenen selbst aus, sondern auch auf das Klima in Schulen und am Arbeitsplatz.“  Da Akzeptanz nur über Kontakt entstehen könne, müsse queeres Leben auch in ländlichen Räumen sichtbarer werden. Noch bis 17. Februar 2024 will die Ausstellung „Queere Worte – Queere Orte“ einen Beitrag dazu leisten. +++ pm

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