Arbeitsminister will Hartz-IV-Debatte entgiften

Arbeitsminister will "Plattformökonomie" bekämpfen

Sozialleistung, Hartz

Berlin. Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) fordert neue Prioritäten in der Hartz-IV-Debatte. „Die Antwort kann nicht sein, dass wir allein darüber reden, ob wir Grundsicherungsempfängern mehr Geld geben sollten“, sagte er der „Berliner Zeitung“. „Die Qualität des Sozialstaates bemisst sich nicht nur daran, wie hoch im Notfall der soziale Transfer ist. Es geht darum, ob er Menschen aus so einer Situation herausholt“, fügte er hinzu.

Darauf konzentriere er sich – mit der Schaffung des sozialen Arbeitsmarktes, für den die Regierung in dieser Legislaturperiode vier Milliarden Euro ausgeben werde. „Wir müssen die Debatte entgiften“, sagte Heil zur Diskussion über Sanktionen gegen Hartz-IV-Empfänger. „Es ist beides falsch: sowohl die gelegentlich noch immer vorgebrachte Behauptung, alle Langzeitarbeitslose seien faul, als auch die Position, Mitwirkungspflichten würden die Menschenwürde verletzen“, befand der SPD-Politiker. „Niemand muss sich schämen, den Sozialstaat in Anspruch zu nehmen. Aber das entbindet den Einzelnen nicht von der Pflicht, sich auch selbst anzustrengen“, sagte er. Auch künftig werde es Sanktionen geben, erklärte der SPD-Minister. Er wolle aber in der Koalition für zwei Änderungen werben. „Dass die Kosten der Unterkunft für Sanktionen herangezogen werden, verunsichert viele in Zeiten, in denen Wohnraum knapp ist. Das sollten wir nicht tun“, sagte Heil. Auch die verschärften Sanktionen gegen junge Menschen halte er für falsch. „Es gibt fleißige und faule 21-Jährige, es gibt fleißige und faule 27-Jährige. Das Alter darf kein Grund sein, jemanden anders zu behandeln“, sagte er.

Arbeitsminister will „Plattformökonomie“ bekämpfen

Weiter will Heil prekäre Arbeitsbedingungen in der sogenannten „Plattformökonomie“ bekämpfen. „Einige verwechseln Digitalisierung mit Ausbeutung. Wer das tut, hat mich als Gegner“, sagte er der „Frankfurter Rundschau“. „Wenn etwas inakzeptabel ist, dürfen wir nicht tatenlos zuschauen“, fügte er hinzu. Heil nannte das Beispiel eines befristet angestellten Fahrradfahrers eines Essenslieferdienstes in Köln, der versucht habe, einen Betriebsrat zu gründen. „Daraufhin hat er erlebt, wie – oh Wunder – die befristeten Arbeitsverhältnisse ausgelaufen sind“, sagte Heil. „Stattdessen wurden Selbstständige beschäftigt, die noch ihr Arbeitsmaterial selbst mitbringen müssen.“ Der SPD-Politiker betonte: „Da verwechseln offensichtlich einige neue Geschäftsmodelle mit der Möglichkeit, Menschen auszupressen.“ Der Arbeitsminister sagte, der Staat müsse genau hinschauen, wo Recht gebrochen werde. „Nicht jede Form von Soloselbständigkeit ist wirkliche Selbständigkeit“, sagte er. Und setzte hinzu: „Wenn die Leute weisungsgebunden sind und anhaltend nur für einen Auftraggeber arbeiten, dann ist das Scheinselbständigkeit. Das erfüllt den Tatbestand des Sozialversicherungsbetrugs.“ Heil verwies darauf, dass die Bundesregierung Selbständige in das System der Alterssicherung einbeziehen wolle. Und er versprach: „Wir werden für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer willkürliche Befristung massiv zurückdrängen.“

Maschinensteuer sieht Heil skeptisch

Heil (SPD) befürwortet eine offene Debatte über die Frage einer Maschinensteuer, ist selbst aber skeptisch. „Im Grundsatz ist es keine gute Idee, Produktivitätsfortschritte zu besteuern. Denn am Ende schaden wir uns selbst, wenn wir diese Fortschritte behindern“, sagte der dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Stattdessen müsse der Staat Gewinne ordentlich besteuern. „Ich gebe aber zu: Ich weiß nicht, ob ich in zehn Jahren vielleicht anders über eine wie auch immer geartete Maschinensteuer denke – weil sich die Wirtschaft nun mal rasant verändert“, fügte Heil hinzu. Je mehr künstliche Intelligenz zum Produktionsfaktor werde, desto eher stelle sich die Frage. „Wir sollten die Debatte offen und seriös führen – aber ohne Schnellschüsse“, sagte er. +++