Altmaier will Corona-Politik auf Prüfstand stellen

Arbeitgeber und Gewerkschaften warnen vor zweitem Lockdown

Peter Altmaier (CDU)
Peter Altmaier (CDU)

Angesichts steigender Infektionszahlen hat sich Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) dafür ausgesprochen, die Corona-Politik auf den Prüfstand zu stellen. „Nach einem halben Jahr Erfahrung mit dem Virus brauchen wir eine medizinische Einordnung dessen, was falsch gelaufen ist und geändert werden muss“, sagte Altmaier den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Wir müssen einen zweiten Lockdown mit aller Macht verhindern. Deshalb brauchen wir zielgenauere Maßnahmen und Korrekturen statt flächendeckender Rundumschläge.“ Der Minister bezeichnete den Anstieg der Neuinfektionen als „alarmierend“. Altmaier appellierte: „Wir müssen diesen Trend abflachen und umkehren, denn es geht um die Gesundheit aller, die Rückkehr der Kinder in die Schulen und den Aufschwung unserer Wirtschaft.“

FDP kritisiert fehlende Kontrollen von Rückkehrern

Der Vize-Chef der FDP-Bundestagsfraktion, Michael Theurer, hat die seit diesem Wochenende geltende Corona-Testpflicht für Reisende aus Risiko-Gebieten als unzulänglich kritisiert. Theurer sagte „Bild am Sonntag“: „Die knallharte deutsche Testpflicht entpuppt sich als löchriger Schweizer Käse.“ Die Kontrollmechanismen seien völlig unzureichend, die Nachverfolgbarkeit nicht gegeben. Bayerns Innenminister Joachim Herrmann (CSU) dämpfte zu große Erwartungen an Kontrollen der Reisenden etwa durch die Polizei an Grenzen oder Bahnhöfen. Herrmann zu „Bild am Sonntag“: „Es besteht keine Pflicht des Reisenden, sich schon an den Teststationen an den Bahnhöfen und an der Autobahn testen zu lassen. Daher wird die Bayerische Polizei Reisende aus einem Risikogebiet, mit welchen sie im Rahmen der Erfüllung anderweitiger polizeilicher Aufgaben zu tun hat, auf einen baldigen Test und die Quarantäne hinweisen.“ Niedersachsens Gesundheitsministerin Carola Reimann (SPD) sagte: „Das Virus reist mit. Wer in ein Risikogebiet reist, trägt eine besonders große Verantwortung – nicht nur für sich und seine eigene Gesundheit, sondern insbesondere für die Allgemeinheit. Direkt nach der Ankunft sind zwei Anrufe erforderlich: einer bei der Hausarztpraxis, um einen Testtermin zu vereinbaren und ein Anruf beim Gesundheitsamt, um seine Ankunft zu Hause zu melden.“ Besonders wichtig sei, „dass man sich – bis das negative Testergebnis vorliegt – in jedem Fall in häusliche Absonderung begeben muss“. Ähnlich äußerte sich Baden-Württembergs Innenminister Thomas Strobl (CDU): „Das Virus macht keinen Urlaub, die unsichtbare Gefahr ist unter uns.“ Wichtig sei: „Testen, testen, testen. Es gilt, Infizierte zu identifizieren, Infektionsketten zu unterbrechen.“ Wer aus einem Risikogebiet heimkomme, müsse wissen, „dass er Leben gefährdet – das eigene und das anderer“.

Arbeitgeber und Gewerkschaften warnen vor zweitem Lockdown

Arbeitgeber und Gewerkschaften warnen angesichts steigender Infektionszahlen eindringlich vor einem erneuten Lockdown in Deutschland. „Einen zweiten pauschalen Lockdown darf es nicht geben“, sagte der Präsident der Bundesvereinigung der deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), Ingo Kramer, der „Bild am Sonntag“. „Wir haben gelernt, dass bei größeren Infektionsherden nicht alles stillgelegt werden muss. Da gibt es kleinere Schließungen, Quarantäne und zeitlich begrenzte regionale Reaktionen. Das beeinträchtigt die Wirtschaft insgesamt nicht so stark, setzt aber verantwortungsvolle Bürger voraus, die nicht demonstrativ ohne Abstand und Mundschutz die Ansteckung in großen Menschenmengen riskieren.“ Auch der Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) Reiner Hoffmann sagte, einen zweiten Lockdown gelte es unbedingt zu vermeiden. „Ich bin aber guter Hoffnung, dass wir inzwischen gelernt haben, mit dieser Pandemie umzugehen. Wenn sich alle an die Hygiene- und Abstandsregeln halten, können wir es hoffentlich ohne einen zweiten Lockdown schaffen.“ Der DGB-Chef forderte zur Stabilisierung des Arbeitsmarktes eine Verlängerung des Kurzarbeitergeldes bis zum Frühjahr 2022. Hoffmann sagte der „BamS“: „Jeder Kurzarbeiter ist ein Arbeitsloser weniger. Deshalb ist es wichtig, dass Unternehmen auch lange genug Kurzarbeitergeld beantragen können. Wenn wir Verwerfungen auf dem Arbeitsmarkt verhindern wollen, müssen wir die aktuelle Regelung bis zum März 2022 aufrechterhalten und das Kurzarbeitergeld weiter aufstocken.“ Arbeitgeberpräsident Kramer sagte dazu: „Kurzarbeit hält die Belegschaften für den Aufschwung zusammen, also sollte sie zielgerichtet da verlängert werden, wo es dann hilft.“ Optimistisch zeigte sich Kramer mit Blick auf die Konjunktur: „Die deutsche Volkswirtschaft wird die Pandemie schrittweise bewältigen. Schon jetzt geht es wieder aufwärts“, so der Arbeitgeberpräsident. „Das Wachstum im nächsten Jahr kann mit fünf bis zehn Prozent so stark sein wie das für dieses Jahr vorhergesagte Minus. Und spätestens 2022 wird die deutsche Wirtschaft so gut dastehen wie vor der Krise, wenn ihr nicht weiterhin Steine in den Weg gelegt werden, wie die Einschränkung von befristeter Beschäftigung. Was die Wirtschaft jetzt braucht, ist Flexibilität, um schnell reagieren zu können.“ DGB-Chef Hoffmann ist skeptischer: „Wir haben noch anspruchsvolle Monate vor uns. Es ist keineswegs ausgeschlossen, dass zahlreiche Unternehmen insolvent gehen werden. Diese globale Gesundheits- und Wirtschaftskrise trifft uns zu einer Zeit, in der viele Kernbranchen wie etwa die Autoindustrie eh schon unter starkem Veränderungsdruck stehen und die internationalen Beziehungen extrem angespannt sind.“ Er sehe allerdings keinen Grund, panisch zu werden, so Hoffmann: „Wir haben in den vergangenen Monaten ein sehr kluges Krisenmanagement erlebt – sowohl von der Regierung als auch von Arbeitgebern und Gewerkschaften. Ich bin mir sicher, dass die Wirtschaft 2021 wieder Fahrt aufnehmen wird.“ +++