
Die Einführung der D-Mark in der DDR am 1. Juli 1990 bedeutete weit mehr als einen Wechsel des Zahlungsmittels – sie wurde zum Wendepunkt in der deutschen Geschichte. 35 Jahre später erinnerte die Point Alpha Stiftung mit einer gut besuchten Abendveranstaltung im Haus auf der Grenze an diesen historischen Schritt. Die Bonner Historikerin Dr. Annabelle Petschow beleuchtete in ihrem Vortrag eindrucksvoll die politischen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Dimensionen der damaligen Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion.
„Die Währungsunion war keine ökonomisch-rationale Entscheidung, sondern eine politisch erzwungene“, erklärte Dr. Petschow. Sie zeichnete das dramatische Bild einer DDR im Umbruch: wirtschaftlich am Ende, hoch verschuldet, die Infrastruktur veraltet und mit wachsender Abwanderung konfrontiert. Die D-Mark wurde in dieser Situation zum Symbol für Stabilität, Versorgungssicherheit und Hoffnung – und zur dringenden Forderung der Bevölkerung.
Hinter den Kulissen lief bereits ein Wettlauf mit der Zeit. Während außenpolitisch der Zwei-plus-Vier-Vertrag vorbereitet wurde, drängte die Bundesregierung – auch auf Bitten der DDR-Führung – auf eine schnelle Umsetzung der Währungsunion. Bereits im Februar 1990 legte Bonn erste Vorschläge vor. Eine gemeinsame Expertenkommission schuf die technische Grundlage für das Zusammenwachsen zweier völlig unterschiedlicher Wirtschaftssysteme.
Im März 1990 bestätigte die erste freie Volkskammerwahl den Wunsch nach Einheit. Der Wahlsieg der Allianz für Deutschland wurde zum Mandat für einen raschen Kurs Richtung Wiedervereinigung – inklusive Währungsunion und einem Wechselkurs von 1:1 für Löhne und Renten.
Doch der Preis war hoch: Zwar kam es kurzfristig zu einem Konsumboom, langfristig aber auch zu tiefgreifenden sozialen Einschnitten. Die Treuhandanstalt, ursprünglich als Treuhänderin für Volkseigentum gedacht, wurde rasch zum Privatisierer tausender DDR-Betriebe. Massenentlassungen, Betriebsschließungen und Unsicherheit prägten die 1990er-Jahre – und hinterließen ein Gefühl der Entfremdung, das in Teilen der ostdeutschen Bevölkerung bis heute nachwirkt.
Dennoch hob Petschow auch die Chancen hervor, die mit dem Systemwechsel verbunden waren: unternehmerische Freiheit, Reisen, politische Mitbestimmung. Sie erinnerte an Persönlichkeiten wie Petra Hoyer, die nach der Wende ein eigenes Unternehmen gründete – stellvertretend für viele Ostdeutsche, die das neue System mitgestalten wollten.
Ihr Vortrag war nicht nur eine historische Analyse, sondern auch ein Appell für eine differenzierte Erinnerungskultur: „Die Friedliche Revolution und die Transformation Ostdeutschlands waren eine doppelte Herausforderung – für jeden Einzelnen und die Gesellschaft insgesamt“, so Petschow. Die Deutung dieser Zeit sei bis heute umkämpft.
Die Point Alpha Stiftung dankte Dr. Petschow für ihre differenzierte Darstellung und der Hessischen Landeszentrale für politische Bildung für die Unterstützung. Wer den Vortrag nachverfolgen möchte, findet das Video auf dem YouTube-Kanal der Stiftung. +++
Hinterlasse jetzt einen Kommentar