Tarifeinheit in Deutschland – Weselsky hat es übertrieben

Berlin. Wäre nicht Claus Weselsky gewesen, das Gesetz zur Tarifeinheit wäre jetzt womöglich nicht gekommen. Zu schwer tun sich Gewerkschaften und Politik damit, zu sehr wird mindestens indirekt das Streikrecht eingeschränkt. Und ist es nicht eigentlich gut, wenn Arbeitnehmer in einem Betrieb auch mal zu fast 100 Prozent organisiert und kampfbereit sind, wie Weselskys Lokomotivführergewerkschaft GDL, statt sich immer nur ducken zu müssen? Deutschland hat, das zeigt die schlechte Reallohnentwicklung, sicher kein Zuviel an starken Arbeitnehmerorganisationen. Dafür muss man schon nach Frankreich oder Italien blicken.

Aber der laufende Arbeitskampf bei der Bahn ist in Reinkultur ein bloßer Machtkampf zwischen Gewerkschaften, der auf dem Rücken eines Unternehmens und des ganzen Landes ausgetragen wird. Damit hat es Weselsky übertrieben. Vielleicht sogar bewusst: Er will noch schnell die Tarifzuständigkeit für das Zugpersonal von der Konkurrenzgewerkschaft EVG erobern, ehe das von der Koalition versprochene Gesetz kommt und seine Kreise begrenzt. Das nennt man eine Politik der verbrannten Erde, unter der andere Kleingewerkschaften, die es nicht so wild treiben, nun zu leiden haben. Die GDL hat mit ihrem rabiaten Auftreten das Potenzial von Spartengewerkschaften deutlich gemacht und damit die Debatte erst losgetreten.

Gewerkschaften in Deutschland waren und sind grundsätzlich kooperativ, die Arbeitgeber auch. Aber Lokführer, Fluglotsen, Piloten, Ärzte, Stellwerker, Kraftwerkfahrer und viele Spezialberufe mehr könnten es jederzeit anders handhaben. Der Missbrauchsmöglichkeit wird nun ein gewisser Riegel vorgeschoben. Dabei ist das Gesetz gegenwärtig bis auf den Einzelfall GDL gar nicht dringend. Es löst eher vorsorgend ein Problem, das entstehen könnte, wenn es mehr Weselskys gäbe. Die Arbeitgeber, die so sehr nach der neuen Regelung gerufen haben, sollten etwas leiser sein. Ihr Ruf nach geordneten Bahnen im Tarifgeschehen wäre glaubhafter, wenn sie selbst dagegen vorgehen würden, dass immer mehr Unternehmen sich der Tarifbindung entziehen. Das sind auch ungeordnete Bahnen.

Schon ein Mindestlohn musste ihnen ja gesetzlich abgezwungen werden. Und ähnlich ist es mit den großen Gewerkschaften, die sich der kleinen Konkurrenzorganisationen nun entledigen zu können hoffen. Sie wären glaubhafter, wenn sie sich selbst mehr um die Belange einzelner Berufsgruppen gekümmert hätten, statt alles unter ihren großen Einheitskamm zu scheren. Das Gesetz zur Tarifeinheit formt noch lange keine neue Tarifkultur in Deutschland. Die müssen Arbeitgeber und Gewerkschaften mehr denn je gemeinsam wieder finden, so die Lausitzer Rundschau. +++ fuldainfo