Wirtschaft hält Debatte über Akademisierungswahn für „irreführend“

Berlin. Die deutsche Wirtschaft hält die Debatte über einen angeblichen „Akademisierungswahn“ in Deutschland für gefährlich. In dem der „Welt“ vorliegenden gemeinsamen Positionspapier „Wir brauchen alle!“ verteidigen der Bundesverband der Deutschen Arbeitgeber (BDA), der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) und die Deutsche Telekom die gestiegenen Studierendenzahlen. „Die Debatte über eine mögliche Überakademisierung oder gar einen Akademisierungswahn ist irreführend, undifferenziert und schadet dem Gedanken von mehr Durchlässigkeit zwischen den Bildungsbereichen“, sagte BDA-Vizepräsident Gerhard Braun.

Immer mehr Experten, Bildungsforscher und Verbände hatten in den vergangenen Monaten den Grundsatz „Bildung lohnt sich“ in Frage gestellt. Selbst der Deutsche Industrie- und Handelskammertag (DIHK) warnte vor einer übertriebenen Akademisierung. Grund dafür ist deutlich gestiegene Studienanfängerquote bei gleichzeitigem Rückgang der Ausbildungsverträge. BDI, BDA und Telekom warnen in ihrem Positionspapier davor, beide Bildungsbereiche gegeneinander auszuspielen. „Die Wirtschaft braucht sowohl Absolventen aus der beruflichen als auch aus der akademischen Bildung“. Beides lasse in Einklang bringen, wie die duale Berufsausbildung belege. Seit 1995 ist der Anteil der Ausbildungsanfänger mit Studienberechtigung um mehr als acht Prozentpunkte von 15,5 auf 24 Prozent gestiegen. „Dies zeigt: Die duale Berufsausbildung ist eine attraktive Option für Studienberechtigte“, heißt es in dem Papier.

Dass es so viele Studenten gäbe, läge auch an den vielen ausländischen Studenten. „Die hohe Studienanfängerquote ist auch die erhebliche Zahl der ausländischen Studierenden an deutschen Hochschulen zurückzuführen“, heißt es in dem Papier. 2012 kamen knapp 80.000 Studenten – rund 16 Prozent – aus dem Ausland. BDA-Vize Braun kritisiert, die Debatte über die Akademikerschwemme setze an der falschen Stelle an. „Die laufende Diskussion über eine mögliche Überakademisierung überlagert die gegenwärtigen bildungspolitischen Herausforderungen.“ So gebe es immer noch jährlich rund 50.000 Schulabbrecher. Fast 20 Prozent aller Jugendlichen seien nicht ausbildungsreif. Und die Abbruchquote an Hochschulen betrage durchschnittlich fast 30 Prozent, heißt es in dem Papier. Statt die Debatte über den Akademisierungswahn anzuheizen, brauche es eine „schlüssige Gesamtstrategie zur Fachkräftesicherung“, heißt es in dem Papier weiter.

Besonders an Schulen gebe es Reformbedarf. Schulen, die zur Hochschulreife führen, sollten berufliche und hochschulische Bildung gleichberechtigt vorstellen. Die Wirtschaft fordert auch, Brücken zwischen beruflicher und akademischer Bildung auszubauen. Zur Finanzierung schlägt sie Studiengebühren vor: „Durch die Wiedereinführung von nachgelagerten und sozial verträglichen Studienbeiträgen können die Hochschulen ihren Mittelbasis verbreitern“, heißt es in dem Papier. +++ fuldainfo